In der ersten Juniwoche fand in Großwardein/Oradea ein internationaler Germanistikkongress statt, der von der Gesellschaft der Germanisten Rumäniens in Verbindung mit der Universität Oradea und der Christlichen Universität Partium veranstaltet wurde. Hauptförderer der mittlerweile elften Großveranstaltung dieser Art in Rumänien war der Deutsche Akademische Austauschdienst (DAAD), dem sich neben den genannten Veranstaltern als weitere Förderer von rumänischer Seite die Banca Comercială Română und Selgros România beigesellten.
Mitveranstaltet wurde der XI. Internationale Kongress der Gesellschaft der Germanisten Rumäniens vom Bürgermeisteramt der Stadt Oradea, vom Institut für deutsche Kultur und Geschichte Südosteuropas an der Ludwig-Maximilians Universität München, vom Forschungszentrum Deutsch in Mittel-, Ost- und Südeuropa der Universität Regensburg, vom „Hungaricum“ genannten Ungarischen Institut derselben Universität sowie vom Deutschen Institut der Johannes Gutenberg-Universität Mainz.
Feierlich eröffnet wurde der internationale Germanistikkongress im Festsaal des Großwardeiner Rathauses. Neben Begrüßungsansprachen und Dankesworten von Vertretern der beteiligten Institutionen und Organisationen kam auch der Hauptveranstalter, die Gesellschaft der Germanisten Rumäniens, in Gestalt ihrer drei Präsidenten zu Wort. Die geschäftsführende Präsidentin, die Kronstädter Germanistikprofessorin Carmen Elisabeth Puchianu, die den gesamten Kongress federführend organisiert hatte und auch die Eröffnungsveranstaltung moderierte, dankte allen Beteiligten für ihren Einsatz und ihr Engagement. Danach gab die amtierende Präsidentin, die Temeswarer Germanistikprofessorin Roxana Nubert, einen Überblick über die Geschichte der rumänischen Germanistik, wobei sie die Verdienste des Ehrenpräsidenten, des Bukarester Germanistikprofessors George Gu]u, besonders hervorhob, der aus gesundheitlichen Gründen am Großwardeiner Kongress nicht teilnehmen konnte und deshalb in absentia mit der Ehrenmedaille der Gesellschaft der Germanisten Rumäniens geehrt werden musste. Musikalisch umrahmt wurde die Eröffnungsveranstaltung von einem kleinen Frauenchorensemble der Universität Oradea sowie von zwei Männerstimmen, die, begleitet von Klavier und Querflöte, deutsches Liedgut in exzellenten Interpretationen darboten.
Der wissenschaftliche Teil der Eröffnungsveranstaltung wurde von zwei Professoren aus Deutschland und Österreich bestritten. Der am Bundesinstitut für Kultur und Geschichte der Deutschen im östlichen Europa sowie an der Carl von Ossietzky-Universität Oldenburg tätige Literatur- und Kulturwissenschaftler Detlef Haberland sprach anlässlich des Zentenariums der geschichtsträchtigen Jahreszahl 1918 über das Thema „Literatur im Umbruch. Der Anteil des östlichen Europas“. Und die an der Universität Wien lehrende Komparatistikprofessorin Andrea Seidler referierte über „Die Wiener ungarische politische Presse der Nachkriegszeit“, wobei sie nicht nur auf die ungarische Emigration des Jahres 1919 einging, sondern auch die späteren, ebenfalls politisch motivierten, ungarischen Emigrationsbewegungen der Jahre 1948 und 1956 mit berücksichtigte.
Solchermaßen auf das Rahmenthema eingestimmt, setzte sich die Arbeit der Kongressteilnehmer am selben Tag sowie an den folgenden Tagen wechsel-weise an der Christlichen Universität Partium und an der Universität Oradea fort. Es gab sprach-, literatur-, kultur- und übersetzungswissenschaftliche Kongresssektionen, ferner eine Sektion zur Didaktik des Deutschunterrichts und ein Forum junger Forscherin-nen und Forscher, nicht zu vergessen den Plenarvortrag am zweiten Kongresstag zum Thema „(Rumänische) Germanistik am Scheideweg zwischen Sein und Schein. Kritischer Ausblick“, der von Carmen Elisabeth Puchianu gehalten wurde.
Themen- und Forschungsbereiche der auf dem XI. Internationalen Kongress der Germanisten Rumäniens gehaltenen Vorträge und Präsentationen waren: Varietäten- und Kontaktlinguistik; Erinnerungsorte in südosteuropäischen Literaturen im Vergleich, wobei siebenbürgisch-sächsischen und banatschwäbischen Erinnerungsorten besondere Aufmerksamkeit zuteil wurde; deutsch-rumänische Sprach-, Literatur- und Kulturbeziehungen; Übersetzungswissenschaft und Konferenzdolmetschen; theoretische und angewandte Linguistik; Literatur und Literaturwissenschaft heute; Raumnarratologie; interkulturelle Aspekte der Landeskunde und der Literaturvermittlung im Deutschunterricht. Ein Diskussionsforum zu Zukunftsperspektiven der rumänischen Germanistik sowie Vorträge zu deutsch-ungarischen Kulturtransferprozessen im mitteleuropäischen Raum rundeten das reichhaltige, vielfältige und anspruchsvolle Vortragsprogramm des Großwar-deiner Germanistikkongresses ab, wobei Diskussionen in allen Sektionen nicht zu kurz kamen und sich auch in den Kongresspausen reichlich Gelegenheit zum wissenschaftlichen Austausch bot.
Eine eigene Sektion zum Rahmenthema des Kongresses gab es zwar nicht, aber das Jahr 1918 als weltgeschichtlicher und europäischer Wendepunkt nicht nur in kultureller, sprachlicher und literarischer, sondern darüber hinaus in gesellschaftlicher, politischer und nationaler Hinsicht, war in zahlreichen Vorträgen in vielen Sektionen dennoch ständig präsent und leistete damit nicht zuletzt einen germanistischen Beitrag zur Zentenarfeier des modernen rumänischen Staates.
Selbstverständlich bot der Kongress der Gesellschaft der Germanisten Rumäniens auch ein interessantes und vielfältiges Rahmenprogramm für seine internationalen Teilnehmerinnen und Teilnehmer. Am Abend des ersten Kongresstages kam im Festsaal der Christlichen Universität Partium Carmen Elisabeth Puchianus Sechspersonenstück „Jedermann oder Die Einladung zum Essen“ zur Aufführung, das vom Kronstädter Studierendenensemble DIE GRUPPE dargeboten wurde. Das an die Tradition des barocken Theatrum Mundi gemahnende Spiel- und Sprechstück, das Choreografie und Bewegung zu Metaphern der Sprachfindung werden ließ, spannte den dramatischen Bogen von der Geburtsszene des Anfangs über das zentrale Festmahl bis zum finalen Zielpunkt des Bühnengeschehens mit der Rezitation der Rilkeschen Verse „Der Tod ist groß. / Wir sind die Seinen / lachenden Munds. / Wenn wir uns mitten im Leben meinen, / wagt er zu weinen / mitten in uns.“
Am Abend des zweiten Kongresstages war eine Autorenlesung in der Großwardeiner Buchhandlung mit dem schönen Namen „Ratio et Revelatio“ geboten, die mit Unterstützung des Österreichischen Kulturforums Bukarest veranstaltet wurde. Die Bukarester Germanistikprofessorin Mariana Lăzărescu stellte zunächst die im österreichischen Hohenems geborene und heute in Wien lebende Schriftstellerin Lisa Spalt vor und ergänzte dann das Bild der Autorin durch ein Zweigespräch mit ihr, das sie durch diverse Fragen strukturierte. Danach las Lisa Spalt einen längeren Text voller Phantasie, Imagination und Humor aus einem unveröffentlichten Manuskript, woran sich Fragen aus dem Publikum anschlossen.
Der kulturelle mündete schließlich in den geselligen Teil: Auf Einladung des deutschen Botschafters in Bukarest, S.E. Cord Meier-Klodt, vertreten durch Botschafter a. D. Hans-Jürgen Keilholz, wurden die Kongressteilnehmer mit einer launigen Rede und einem ebenso mundenden Buffet empfangen.
Am Nachmittag des dritten Kongresstages schließ-lich konnten die Teilnehmerinnen und Teilnehmer die pittoreske und vor allem in ihrem Zentrum besonders geschmackvoll renovierte Stadt Großwardein besser kennenlernen, die ihnen von einheimischen Germanisten im Rahmen von Stadtführungen präsentiert wurde. Mit einem Konzert europäischer Renaissancemusik auf der Großwardeiner Burg und einem anschließenden Abendessen mit Weinverkostung klang auch der dritte Abend des Kongresses gesellig aus.
Der nächste große internationale Kongress der Gesellschaft der Germanisten Rumäniens wird im Frühsommer 2021 wieder in einer anderen Region Rumäniens stattfinden: in der am Schwarzen Meer gelegenen rumänischen Universitätsstadt Konstanza/Constanța.