Arachne zieht ihre langen Spinnenbeine in obszöner Pose über das Plakat, die Brüste erinnern daran, dass sie eine Frau war, die lose Haarmähne erinnert an ihre Verrücktheit – die griechische Sage erzählt von einer talentierten Weberin aus der Antike, die den Mut oder Irrsinn hatte, sich mit Athene zu messen und deren Vermessenheit ausgerechnet von der Göttin der Weisheit gestraft wurde. Arachne ist ein Wesen, das das Purgatorium bewohnt – so hat sie Dante verstanden, so hat Dalí sie gesehen.
Der Mann mit dem spitzen Schnurrbart und dem exophthalmischen Blick, der die Kunstwelt im 20. Jahrhundert schockiert, unterhalten und auf Trab gehalten hat, ist wieder da: Schon einmal war Salvador Dalí der Gast des Kunstmuseums Temeswar: Vor acht Jahren füllte er das Museum mit Gästen, noch nie zuvor hatten die Temeswarer einen so markanten Maler des 20. Jahrhunderts in den hiesigen Ausstellungsräumen erlebt. Damals hatte das Museum, das 129 Werke – vorwiegend Lithografien – ausgestellt hatte, Rekordzahlen an Besuchern geschrieben. Dalí kehrt nun zurück, mit einer noch größeren Welle an über 200 Exponaten; die Rekordzahlen werden wieder geschrieben, wie die Anzahl der Teilnehmer an der Vernissage der Ausstellung „Der Sieg des Irrationalen“ – trotz der Hitze, die am Sonntag ebenfalls Rekorde schrieb – gezeigt haben.
Literatur und Esoterik
Diesmal ist Dalí mit einer Wanderausstellung durch Rumänien unterwegs: Vergangenen Sommer hatte die Tournee in Hermannstadt begonnen, dieses Jahr wird sie in Temeswar fortgesetzt. Bis zum 14. Juli kann man Dalí im hiesigen Kunstmuseum erleben, dann zieht die Kollektion ins Cantacuzino-Schloss nach Buşteni.
In Hermannstadt war Dalí durch die Farbholzstiche zu Dantes „Göttlicher Komödie“ präsent. In Temeswar ist die Ausstellung um diesen Hauptkern (100 der Exponate) errichtet – daher auch das Plakat mit Arachne – aber um einiges erweitert worden: Dalís Vision von Ernest Hemingways „Der Alte und das Meer“, François Rabelais‘ „Gargantua und Pantagruel“ und dem „Dreispitz“ des spanischen Schriftstellers Pedro Antonio de Alarcón y Ariza sowie Tarot-Karten, die den „esoterischen Träumereien des Künstlers“ entspringen, wie das Prof. Dr. Victor Neumann, der Direktor des Kunstmuseums, bei der Vernissage unterstrich.
Die Illustrationen zu Dantes Werk „Divina Commedia“ sind im Auftrag der italienischen Regierung zum Anlass der 700-Jahre-Feier von Dantes Geburt etnstanden, aber das italienische Publikum verweigerte dem spanischen Maler die Ehre, neben dem Gott der italienischen Literatur in der Sonderedition zu erscheinen. Der Verlag „Les Heures Claires“ aus Paris hat dann eine Ausgabe von Dantes Werk in Dalís Sicht herausgegeben – ein Volltreffer, wie sich das erwies, denn seitdem touren die Exponate durch die ganze Welt.
Dalí war nicht nur ein guter Kenner Dantes, sondern auch ein entschiedener Katholik, seine Vision von dem Leben nach dem Tod ist die, die sich in der „Göttlichen Komödie“ wiederfindet. Die Besucher der Ausstellung werden durch die drei Etagen des Lebens Danach geführt: den Himmel, das Fegefeuer und die Hölle. Mit Dantes „Göttlicher Komödie“ in der Hand könnte man die Ausstellung am besten besuchen. Die verschnörkelten Verse und die surrealen Zeichnungen, die 700 Jahre trennen, finden einen anziehenden Zusammenklang.
Kartenspiel und Spiel mit der Kunstgeschichte
Vier Säle sind im Temeswarer Kunstmuseum mit den Exponaten gefüllt, und es gibt in jedem etwas zu entdecken. So etwa den Fischkadaver, den der Alte mitschleppt – man sieht eigentlich nur die Gräten auf einem ockerfarbenen Hintergrund, oder die Darstellung von Pantagruels Träumen, eine Prise Hieronymus Bosch und ein Kilogramm Sigmund Freud: eine Überdosis an männlichen und weiblichen Geschlechtsorganen – Werke, die durch die Psychoanalyse am besten zu interpretieren sind.
Und eine große Überraschung kommt von etwas ganz Trivialem, das eigentlich thematisch und überhaupt mit den anderen ausgestellten Werken nichts gemeinsam hat – außer dem Namen des Meisters. Gemeint sind die Tarot-Karten, alles andere als hohe Kunst also, aber mit Dalís Imagination und seinem Talent sind es kleine Schmuckstücke geworden, die das Herz eines Kunstkenners Freudensprünge vollführen lassen. Die Karten bieten eine kleine Rundreise durch die Kunstgeschichte, ein Spielchen, zu dem der Meister des Surrealismus einlädt: Jacques-Louis Davids „Tod des Marat“, Lucas Cranachs „Die drei Grazien“, Luca Pennis „Diana als Jägerin“, Jean-Antoine Watteaus „Der Gleichgültige“ oder Jean Auguste Dominique Ingres „Das türkische Bad“ sind nur einige Meisterwerke der Kunstgeschichte, die hier als Vorbild verwendet, surrealistisch bearbeitet wurden und eine ganz neue Funktion erfüllen. Dalí hat sich sichtlich amüsiert, das Tarot-Spiel zu entwerfen, das nun brav in Museen ausgestellt wird. In diesen Miniatur-Kunstwerken verewigte er sich auch – als Magier – auf unverkennbare Dalí-Weise.
Über ein Viertelhundert ist seit dem Tod dieses Magiers vergangen und immer noch versetzt er sein Publikum in Erstaunen. Mit erhobenen Augenbrauen oder aber genussvoll schmunzelnd spazieren die Besucher heute noch in Dalí-Ausstellungen, beschauen, bestaunen das Schaffen des Querkopfes und Genies, der er war, – alle wollen Dalí kennen, er entfaltet aber sein ganzes Bouquet wirklich nur den wenigsten, verlangt seinem Publikum alles ab, stellt die höchsten Ansprüche an Allgemeinbildung: Geschichte und Kunstgeschichte, Theologie und Mythologie, Literatur und Psychoanalyse…