Hanna hat es gegeben und auch wieder nicht... Ihre Freundlichkeit, ihr Sanftmut, ihr mitfühlendes Herz haben die Autorin, die Hanna B. in einem Kibbuz im oberen Galiläa kennengelernt und dann 30 Jahre lang jedes Jahr getroffen hat, tief beeindruckt. Denn sicher hat Hanna, bevor sie nach Israel kam, sehr viel Schreckliches erlebt. Ihre Geschichte aber wurde nie erzählt. Dann war sie plötzlich tot.
So ist eine zweite Hanna entstanden, im Gedenken an die erste. Die Geschichte, die Miriam Pressler erzählt, ist also nicht die von Hanna B. Doch hätte sie gut so sein können…
Die Hanna im Buch, anfangs noch Hannelore, ist ein jüdisches Mädchen aus Leipzig. Sie ist vierzehn, als sie die Chance bekommt, Deutschland zu verlassen. Zusammen mit fünf weiteren Mädchen wird sie ausgewählt, um ins als sicher geltende Dänemark auszureisen. Abschied von der Mutter, die allein zurückbleibt - doch ermutigt sie Hannelore, zu gehen. Wie sie auch deren ältere Schwester Helene ermutigt hatte, die jetzt als Lea in einem Kibbuz in Palästina, dem „Erez Israel“ (hebräischer Name des israelischen Kanaan), lebt.
Anfangs gefällt es Hannelore in dem Lager in Dänemark. Die Mädchengruppe wird ihre neue Familie, aber auch mit den lebensfrohen Däninnen, die dort ihre Sommerferien verbringen, freundet sie sich an.
Dann endet der Sommer. Vorbei mit der unbeschwerten Zeit, der Freiheit, dem Baden im See. Das Lager wird geschlossen, die Mädchen auf barmherzige jüdisch-dänische Familien verteilt. Aus Hannelore, der Name klingt zu deutsch, wird Hanna.
Doch schon bald werden die Mädchen wieder umverteilt. Ankommen und Abschiede prägen fortan ihr Schicksal, denn auch in Dänemark hat sich die Lage verschlechtert, die Nazis haben dort Einfluss gewonnen. Hanna und ihre Freundinnen werden immer weiter aufs Land hinausgeschickt, auf einsame dänische Bauerhöfe, zum Schluss auf eine Insel. Im Sommer zumindest können sie sich regelmäßig treffen, auf Fahrräder radeln sie zur Betreuerin, der Madricha ihrer kleinen Gruppe, wo sie auch immer wieder von Palästina hören und lernen – ihr eigentliches Herzensziel. Dänemark sollte nur der Umweg sein... Sie alle träumen davon, eines Tages ihre in früheren Ferien erlernten Kenntnisse von Landwirtschaft in einem Kibbuz umzusetzen. Zuhause - in einem Land, wo sie niemand mehr vertreiben kann. Doch die Einwanderung ist reglementiert, die Überfahrt kostet Geld...
Ein unglücklicher Umstand trennt Hanna plötzlich von ihrer Gruppe. Sie findet sich wieder in einem Zug. Viehwaggon. Eng zusammengepfercht. Unbekanntes Ziel. Angst, Hunger, Kälte, Tod - neben ihr stirbt leise eine Frau. Ankunft nach langer Fahrt. Noch weiß sie nicht, in welchem Land. Man flüstert vom Ghetto in Theresienstadt. Hanna steht verloren im Menschengewühl am Bahnhof, als sie plötzlich auch ihre Freundinnen dort entdeckt! Die Wiedersehensfreude ist übergroß, doch können die Mädchen noch nicht ahnen, was in den nächsten Tagen, Wochen, Jahren auf sie zukommen soll: Ereignisse, die alles bisher Erlebte weit in den Schatten stellen. Und nichts über die geheimnisvollen Transporte, mit denen ganze Menschengruppen immer wieder sang- und klanglos verschwinden…
Hannas Geschichte ist erfunden, doch nicht die historischen Ereignisse darin. Nicht das Ghetto in Theresienstadt, eigentlich ein Konzentrationslager, 1941 bis 1945 in Nordböhmen nahe der Stadt Bauschowitz/Bohušovice nad Ohri im damals besetzten Protektorat Böhmen und Mähren, Tschechoslowakei, entstanden.
„Theresienstadt ist mit keinem anderen deutschen KZ vergleichbar, da es als ‚Musterlager‘ zur Täuschung der ausländischen Öffentlichkeit konzipiert war“, schreibt Miriam Pressler im Glossar, in dem man sämtliche im Buch mit einem Stern gekennzeichneten Fachbegriffe nachschlagen kann. Sogar einen Propagandafilm hatte man dort gedreht: „Der Führer schenkt den Juden eine Stadt“. Eine Delegation des Roten Kreuzes wurde eingeladen – und getäuscht. Insgesamt waren 152.000 jüdische Menschen aus verschiedenen Ländern in Theresienstadt interniert. 86.000 davon wurden in Vernichtungslager gebracht, 34.000 starben vor Ort an den unmenschlichen Bedingungen. Ein erschütterndes, aber lesenswertes Buch, das sich sehr ausführlich mit diesem schrecklichen Detailaspekt des Holocaust befasst.
Die monatliche ADZ-Reihe „Wertvolle Jugendbücher“ möchte Kinder und Jugendliche zum Lesen in deutscher Sprache anregen. Die Bücher sind in den deutschsprachigen Bibliotheken des Goethe-Instituts auszuleihen.