Am 15. Dezember wurde im Bukarester Kulturhaus „Friedrich Schiller“ der zweisprachige Band „Anton Golopenția. Corespondența germană (1933-1936)/Anton Golopenția. Deutsche Korrespondenz (1933-1936)“ im Rahmen einer dem rumänischen Gelehrten und Soziologen der Zwischen- und Nachkriegszeit gewidmeten Konferenz vorgestellt.
Die deutsche Korrespondenz des in Prigor, Kreis Caraș-Severin gebürtigen Banater Soziologen Anton Golopenția (1909-1951), einem der Gründungsmitglieder der Rumänischen Geopolitikschule, 2017 posthum zum Mitglied der Rumänischen Akademie gewählt, stellt ein kostbares Zeugnis geistigen Lebens in Rumänien und Deutschland jenseits des Trubels des öffentlichen Lebens dar. Diese wurde von seiner Tochter, Sanda Golopenția, 2022 im Bukarester Spandugino-Verlag herausgegeben und kann als Fortsetzung der vierbändigen Buchreihe „Briefliche Rhapsodien“, welche die Korrespondenz zwischen Anton Golopenția und seinen Kollegen hierzulande umfasst, angesehen werden.
Deutsche Briefsammlung und -partner
Golopențias deutsche Korrespondenz besteht aus 370 Briefen, deren Transkriptionen im vorgestellten Band in deutscher Originalsprache und in rumänischer Übersetzung mit kritischen Erläuterungen präsentiert werden. Die Sammlung von Briefen stammt aus den Jahren 1933-36 , als Golopenția mit einem Rockefeller-Stipendium für einen zweijährigen Studienaufenthalt nach Deutschland reiste und diesen mittels eines Humboldt-Stipendiums um ein Jahr verlängerte. Nach seiner Rückkehr nach Rumänien hielt er einige Briefkontakte aus jenen Jahren aufrecht, weil der 14. internationale Soziologiekongress, der in Bukarest stattfinden sollte, bevorstand, schreibt seine Tochter Sanda Golopenția, Sprachwissenschaftlerin und emeritierte Professorin an der Brown University in den USA, im Vorwort zum Korrespondenzband. Wegen des Ausbruchs des Zweiten Weltkriegs wurde der Soziologiekongress zwar abgesagt, aber die Korrespondenz setzte der Soziologe bis 1942 fort. Die erhalten gebliebenen Briefe werden heute im Familienarchiv (AFG) aufbewahrt.
Jede der insgesamt 90 Korrespondenzen enthalten zwischen einem und 41 Briefen. Umfassendere Briefwechsel von zehn bis 40 Briefen sind nicht sehr zahlreich, zu diesen zählen die Kontakte zu dem Berater der Rockefeller-Stiftung, William August Fehling (22 Briefe), zu einem anderen Stipendiaten namens Helmut Haufe, dessen Forschungsthema die Tätigkeit der Bukarester Soziologieschule war und der oft Rumänien besuchte (21 Briefe), zu Adam Hüffner, Fachmann für Wirtschaftswissenschaften (11 Briefe), zu seiner ersten Gastgeberinin, Professor Ellinor Hübner (18 Briefe), zu seinen Freunden Marianne Partsch, später Doktorin im Bereich Rechtswissenschaften (12 Briefe), dem Maler Herbert Schmidt (22 Briefe) und dem schlesischen Lehrer Martin Herrmann (41 Briefe), mit dessen Familie er einen schönen Ferienmonat verbracht hatte. Die Briefe scheinen ausdrücklich im Hinblick auf die Briefzensur verfasst zu sein.
Von den 33 auf einen Brief begrenzten Korrespondenzen enthalten 15 Briefwechsel Erstbriefe von Anton Golopenția an das Archiv der Universität Wien und an Hochschulprofessoren, Forscher, Journalisten, Politik-, Wirtschafts- und Rechtswissenschaftler, Kommilitonen usw., darunter Iván Boldizsár, Walter Greiff, Werner Hagert, Walter Hoffmann, Gunther Ipsen, Karl Jaspers, Hans K.E.L. Keller, Tracy B. Kittredge, Fritz Klein, Adolf Morsbach, Hermann Raschhoffer, Max Sering und Hans Freyer. Letzterer, Soziologieprofessor an der Leipziger Universität, Leiter des Instituts für Kultur- und Universalgeschichte in Leipzig und Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft für Soziologie, prägte den jungen Gelehrten, der sich an seinen Kursen beteiligte und großes Interesse für seine Vorlesungen zeigte.
Der Deutschlandaufenthalt
Mit einem rumänischen Hochschulabschluss im Bereich Rechtswissenschaften und Philosophie setzte Anton Golopen]ia seine Ausbildung im November 1933 an der Berliner Friedrich-Wilhelm-Universität fort. Er hatte seinen Fortbildungsaufenthalt vorher dreimal wegen der Fertigstellung einer umfangreichen Statistik über das rumänische Bildungswesen im Auftrag von Prof. Dr. Dimitrie Gusti, Soziologe, Ethnologe, Bildungsminister und Gründer des Nationalen Dorfmuseums in Bukarest, verschoben.
Auf den Rat seines Studienberaters William Fehling unternimmt er Forschungsreisen nach Schlesien und Leipzig. Anschließend beantragt Golopenția bei der Rockefeller-Stiftung die Förderung eines dreiwöchigen Arbeitsaufenthalts 1934 an der Grenzschule Boberhaus sowie für die Immatrikulierung an der Leipziger Universität. Wie seine Tochter Sanda erzählt, nutzt Anton Golopenția seine Ferien im selben Jahr für eine Schlesienreise, auf der er Löwenberg, Breslau und weitere zehn Städte und Gemeinden besucht, „um die Ergebnisse der deutschen Ostbesiedlung kennenzulernen, die im 15. Jahrhundert bis in die Moldau zu spüren war“ und um die soziologischen Aspekte des Dorflebens zusammen mit einer Gruppe Jugendlicher von der Grenzschule Boberhaus zu untersuchen. Dieses Boberhaus-Projekt setzt ihn in eine lebendige Beziehung zu gleichaltrigen Jugendlichen aus Südosteuropa, die ebenfalls in Deutschland studierten. Gemeinsam mit diesen sowie rumänischen Studierenden in Deutschland und Freunden aus Rumänien, die Deutschland besuchten, hält Golopenția Vorträge auf Südosteuropa-Kolloquien, die die Grenzschule Boberhaus organisiert.
Die von Professor Hans Freyer gehaltenen Vorlesungen am Institut für Kultur- und Universalgeschichte in Leipzig und insbesondere dessen Beschäftigung mit der unmittelbaren sozialen Wirklichkeit und der Idee „nichts ungenutzt zu lassen“, vor allem was die humanistischen Wissenschaften zur Verfügung stellen und deren Anwendbarkeit auf dem Gebiet der Soziologie, übten einen wesentlichen Einfluss auf Anton Golopenția aus und stellen einen zusätzlichen Anreiz für den jungen Soziologen dar, seine Informationen über Rumänien zu überprüfen, zusammenzufassen und sich nicht nur mit seinem Heimatland, sondern auch mit den Nachbarländern zu befassen. So verfasst er zwei Studien „Die Auswirkung der Ideen der deutschen Geschichtsschule auf unsere Konservativen, Kogălniceanu-Eminescu“ und „Die Auswirkung der Schopenhauer’schen Ideen und der Ideen der Neokantianer auf die Junimea/die kulturelle und literarische Strömung der Jungrumänen“.
Zwischen April und Juni 1935 hört Golopenția weitere Vorlesungen zu den Fächern Urbanisierung, Anthropologie, Biologie und Staatsrecht in Hamburg. Unterwegs nach Freiburg im Breisgau, hält er sich für Vorlesungen und Gespräche mit Persönlichkeiten des damaligen akademischen Milieus in Bonn auf. In Freiburg hört er für kurze Zeit Philosophie-Vorlesungen bei Martin Heidegger, bevor er nach Leipzig zurückkehrt und dort seinen Doktortitel erlangt.Seinen Rechenschaftsbericht beendet Anton Golopenția 1936 mit den folgenden Worten: „Durch die Erreichung eines mich relativ befriedigenden Überblicks und einer als Ausgangspunkt für weitere praktische Arbeiten ausreichenden Klärung ist die wesentliche Absicht meines Deutschlandaufenthaltes erfüllt, soweit dies geschehen konnte. (…) Viel weiter können mich gegenwärtig weitere theoretische Studien wohl nicht bringen. Immer stärker fühle ich auch das Bedürfnis, konkrete Forschungen zu unternehmen und auch die Pflicht, mich unmittelbar in den Dienst des rumänischen Aufbaus zu stellen.“
Unter den Umständen des Hitlerregimes
Nach der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten wird in der Zeitspanne 1933-36 die Einschüchterung und Unterdrückung der jüdischen Hochschulprofessoren sowie der Gegner des Hitlerregimes im akademischen Bereich zum Alltag. Ihre einzigen Lösungen blieben die Emigration oder der Rückzug aus dem Berufs- und öffentlichen Leben in der Form der selbstgewählten Frührente. In Berlin merkt Anton Golopenția die Tendenz ihrer Isolierung schon früh. Viele Beispiele solcher Art kann die Leserschaft im Korrespondenzbuch vorfinden. Außerdem enthält das Buch einen ausführlichen Austausch im Briefwechsel mit Immanuel Gerhadt Triebe über die Einführung militärischer Disziplin in den Institutionen zwecks „Homogenisierung“.
In diesem soziopolitischen Kontext hat Anton Golopenția nach Rückzugsgebieten gesucht. Für ihn fungierten das Lesen in den großen Berliner, Leipziger oder schlesischen Bibliotheken, die Aktivitäten im Rahmen der Grenzschule Boberhaus und das Schreiben im gastfreundlichen Haus des Lehrers Martin Herrmann im Herzen der schlesischen Berge als eine wahre Zuflucht. Viele der deutschen Gelehrten, die im Buch erwähnt werden oder mit Anton Golopenția korrespondieren, haben unter dem Druck des Hitlerregimes lange Jahre im Ausland verbracht und manche sind nie mehr nach Deutschland zurückgekehrt.
Forschungen unter Dimitrie Gusti
Nachdem Anton Golopenția heimgekehrt war, führte ein Forscherteam des Nationalen Statistikinstituts zwischen 1941 und 1944 unter seiner Leitung Forschungen in den Regionen Charkiw und Donezk in der heutigen Ukraine zur Identifizierung der östlich des Flusses Bug ansässigen Rumänen durch. Die Ergebnisse der Forschungen zwischen den Flüssen Dnister und Bug, aber auch jenseits des Bug, sowie die Berichte von Golopenția wurden erst 2006 in dem zweibändigen Werk „Die Rumänen östlich des Bug“ veröffentlicht.
Zwischen 1947 und 1948 hatte Anton Golopen]ia das Direktorenamt am Zentralinstitut für Statistik inne. Er kollaborierte mit Dimitrie Gusti an der Ausarbeitung von Soziologie- und Philosophiestudien. Ebenfalls unter der Leitung von Dimitrie Gusti hatte Anton Golopenția 1931 gemeinsam mit Henri Stahl den soziologischen Film „Un sat basarabean – Cornova“(Cornova- Ein bessarabisches Dorf) gedreht.
1948 veröffentlichte er eine ausführliche Studie zum Bevölkerungsstand der damaligen Volksrepublik Rumänien.
Seiner Tochter Sanda Golopenția gelingt es 2001, beim Verlag Editura Enciclopedică „Anton Golopentia: Ultima carte“ („Anton Golopenția: das letzte Buch“) herauszugeben, ein Buch, welches den vollständigen, sich im Archiv des rumänischen Geheimdienstes SRI befindlichen Text der Aussagen ihres Vaters zu der Untersuchung enthält, aufgrund derer er ungerecht eine Haftstrafe im Văcărești-Gefängnis verbüßte und dort anderthalb Jahre später 1951 als politischer Gefangener starb.
Henri H. Stahl (1901-1991), rumänischer Kulturanthropologe, Ethnograph, Sozialhistoriker, Memoirenschreiber und Soziologe im ländlichen Bereich, schrieb über den berühmten Schüler des Soziologen und Ethnologen Dimitrie Gusti: „Anton Golopenția war eine Synthese von mehreren von uns: ein Philosoph wie Mircea Vulcănescu, Gelehrter und Lehrer genauso wie Traian Herseni, ein Forscher wie ich und ein ebenso geschickter Organisator wie Octavian Neamțu“.