Dort wo Regenschirme von der Decke hängen, eine Ritterrüstung stattlich neben einem alten Scheinwerfer steht und Bilder von Toma Caragiu und Amza Pelea die Wände schmücken, dort in einer alten 1930er-Villa, in einem Viertel der vormals Reichen, und später der vormals Parteitreuen, wird manchmal zweimal, manchmal viermal im Monat Theater auf den Kopf gestellt. Was sich da hinter verschlossenen Türen abspielt, das können nur die wenigsten in Worten zusammenfassen. Mit Worten geht man dort ohnehin sparsam um. Schließlich klingt alles nach Interjektion: „Scâr]“ („Knirsch“) soll die Kneipe sein und „Auăleu“ (Auweia) das Theater, das hier 2010 mit eingezogen und, wie es sich für einen Mitbewohner so schickt, nie wieder ausgezogen ist.
Wenn also hier an Samstagabenden die Post abgeht, dann werden Welten geschaffen. Dann wird man schon mal vom treuen Kneipengänger zum unfreiwilligen Theaterbesucher und wenn man lange genug bleibt zum Mittäter einer Intrige, zum Mitbauer einer kleinen, verrückten Welt, die manchmal an Monty Python erinnert und manchmal an die guten, alten Zeiten, als Caragiu noch lebte und als Kabarett auch in Rumänien etwas bedeutete und sich Amerikanismen wie „Stand Up“ noch nicht in die Sprache verirrten, obwohl große Schauspieler wie Caragiu sich darin übten, ohne aber auf Niveau zu verzichten.
Wenn also plötzlich im „Scârţ“ die Hölle ausbricht, Leute durch die Gegend wuseln, durch Hintertüren verschwinden oder aus Fenstern springen, dann können die Eingeweihten nur ein „Auăleu“ ausstoßen. Und meistens hat es nichts mit Sorge zu tun, sondern, so komisch es auch klingen mag, mit Erleichterung. Beunruhigend wäre das Gegenszenario, also ein ruhiger Abend in der bekannten Kneipe, wo alles nach Plan verläuft.
Auăleu, Theater, auăleu!
Alles im Eigenbau, so lautet die Devise des unabhängigen Theaters Au²leu. Man baut etwas von Null in Richtung Unendlichkeit auf. Das, wovor große Theaterhäuser zurückschrecken, betrachten die jungen Schauspieler als Gelegenheit, um eine Herausforderung beim Schopf zu packen, weil es für die talentierten Künstler reizvoller ist. Und bisher konnte das Ensemble seinen Mann stehen – und das, obwohl Geld immer knapp ist.
Hier gibt es keine feste Bühne, keinen festen Spielleiter, keinen festen Bühnenbildner und keinen wirklichen Dramaturgen oder Intendanten. Es klingt wie eine Theaterutopie: Das machen, was einem gefällt. Und keine unnötige Bürokratie oder Hierarchien, alles abseits des Systems. Lukrativ ist es nicht, dafür aber erfolgreich.
Mariana Boghian, Christine Cişmaş, Ioan Codrea, Victor Dragoş, Norbert Lovasz, Ovidiu Mihăiţă und Marian Pîrvulescu bilden das Ensemble des Auăleu-Theaters, obwohl „Ensemble” wieder so furchtbar offiziell klingt. Die sieben Damen und Herren könnte man eher als eine rebellische Rockband beschreiben, mit der entsprechenden „Ich mach wozu ich Bock habe“-Attitüde. Sie sind ein eingespieltes Team, das sich nicht bloß eine Etikette aufsetzen lässt und sich dann auf die von der Etikette vorgeschriebenen Rolle beschränkt.
Man fängt bei Null an und strebt auf das Grenzenlose zu, meint Ovidiu Mihăiţă, Gründer des Auăleu-Theaters. Der Schauspieler hat sich 2010 auf Zelluloid verewigen lassen. Er spielte in der italienisch-rumänischen Koproduktion „La soluzione migliore“ („Die beste Lösung“) mit. Der Film wurde in Temeswar gedreht. Mihăiţă kritisiert das Theater, das sich auf Text und Regie stützt und den Schauspieler dafür opfert. Er glaubt, dass Theater aus dem Spiel heraus entsteht und nähert sich damit der Brookschen Theatertheorie an. Diese besagt, dass ein erfolgreiches Theaterstück nur zweier Dinge bedarf: einem Zuschauer und einem Schauspieler. Deswegen setzt Mihăiţă auch die Arbeit des Au²leu-Theaters mit der Arbeit eines Komponisten gleich. Weil jedes ihrer Stücke Baustein für Baustein aufgebaut wird. Ob Kostüme, Bühnenbild oder Text. Und besonders bei dem Text legt die Gruppe großen Wert darauf, dass es sich nicht um 400 Jahre alten Schinken handelt.
Gegen den Strom
Veraltet findet Christine Cişmaş auch die Arbeit in den großen Theaterhäusern. Die junge Schauspielerin hat 2007 die deutsche Schauspielschule in Temeswar absolviert. Anders als die erfolgreiche Schauspielerin Olga Török, einer Kommilitonin von Cişmaş, hat sie sich gegen eine Vollzeiteinstellung am Deutschen Staatstheater entschieden. Dagegen hat sie Herz und Seele in das Auăleu-Theater gesteckt, weil sie hier kreative Freiheit über den gesamten Schaffensprozess einer Vorstellung genießt.
„Libertatus Captivantus Est“ ist ein Beispiel von einem Auăleu-Theaterstück. Auf den Sprechtext wartet der Zuschauer vergeblich. In „Libertatus Captivantus Est“ fällt kein einziger Satz. Die Schauspieler lassen die Körpersprache sprechen. Avangardistische Experimente sind an der Tagesordnung. Der Text ist nur ein Vorwand. Alles andere entsteht aus der Improvisation und den Ideen der einzelnen Darsteller. Die Zuschauer neben das Angebot dankbar an.
Deswegen wird auch der Eintrittspreis zu den Vorstellungen von den Zuschauern selbst gewählt. Nach jeder Vorstellung wird demokratisch abgestimmt. Man setzt sich damit konsequent vom professionellen Gewerbe ab. Kein Ticket kostet gleich. Ein Risiko, weil Zuschauer auch gar nichts bezahlen können, oder weniger als erhofft.
Hof- und Garagentheater
Derartige Konzepte sind in westlichen Ländern, wie etwa Frankreich, längst aufgegangen. Unabhängige Theatergruppen aus der Pariser Szene machen es auch nicht anders. Für Temeswar bleibt es dagegen einzigartig. Ein Avantgarde-Theater, das sich aus der Spiellust seiner Mitglieder zusammenhält.
Das Repertoire des Hof- und Garagentheaters besteht aus seltsamen und ausgefallenen Stücken: Diabolus Ex Machina – ein Stück über das Böse, das sich stets zur falschen Zeit am falschen Ort einmischt und den natürlichen Lauf der Dinge aus den Fugen bringt; Liebe Elena – ein Stück für Sitzengebliebene, Taugenichtse, Träumer, Professoren, Ausgestoßene, Hilflose, Verlorene, Arme, Lügner. Die Liste geht endlos weiter, denn eigentlich ist es ein Stück für alle, denen es schlecht geht; Die Geschichte aus der Festung der Dinge, die nicht existieren – ein Stück über den Hofnarren, das verkannte Genie. Das sind nur einige Beispiele aus dem Au²leu-Repertoire. Mit dem Ungarischen Staatstheater arbeiteten sie zusammen an dem Stück „Die Kunst einen fahren zu lassen“. Als Vorlage diente Salvador Dalis „Tagebuch eines Genies“.
Mit viel Humor, Selbstironie und Spaß will das Au²leu-Theater, ein Theater für Garage und Hof, Gegenmittel zur oft strengen, viel zu bürokratischen Maschinerie sein. Jeder kennt das Faust-Zitat „Hier bin ich Mensch, hier darf ich es sein.“ Nun,Auăleu steht nicht so auf schwere, klassische Kost, darum heißt es bei ihnen eher „Hier bin ich Schauspieler, hier darf ich es sein.“