Beethoven und Brahms ohne Schmackes

Ilarion Ionescu-Galați gab in Hermannstadt ein mattes Dirigat zum Besten

„Hoch auf´m Berg, tief im Tal, grüß ich Dich viel tausend Mal!“ - Johannes Brahms´ (1833-1897) wortloser Gruß an Zielperson Clara Wieck (1819-1896), Witwe des Robert Schumann (1810-1856), ist ein Jungbrunnen der Musikgeschichte. „Forte sempre e passionato“ steht über dem Hornsignal, das einen zornigen Paukenwirbel beschwichtigt und sich siegesgewiss über eine Mauer hinwegsetzt, die das einleitende c-Moll im berühmten Finalsatz hartnäckig aufrichtet. Man eilt ins Konzert, um den Aufruf des Solohorns live zu genießen. Ist es tatsächlich einfach, Honig aus dem Zitat zu saugen, wenn abertausende Aufführungen dem Repertoirestück die Haut des Neuen vor grauer Zeit geraubt haben? Bis an seinen letzten öffentlichen Auftritt heran hielt Maestro Nikolaus Harnoncourt (1929-2016), der die Schlafkammern pauschaler Routine verabscheute und den Standby-Modus der klassischen Orchesterwelt rügte, am Credo unbezwingbarer Neugierde fest: „Ich mache nur Uraufführungen!“


Der Aufenthalt von Ilarion Ionescu-Galați am Pult des Orchesters der Staatsphilharmonie Hermannstadt/Sibiu leuchtete keine Überraschungsecken der 1. Sinfonie in c-Moll op. 68 von Johannes Brahms aus. Der Aufführungsabend am Donnerstag, dem 2. Mai, war vom hochbetagten Orchestererzieher nicht dafür konzipiert worden, Zuhörer und Musiker des Thaliasaals auf eine Entdeckungsfahrt durch klassisch-romantische Standardliteratur mitzunehmen. Bester Punkt seiner Handschrift war der lückenlose Anschluss des Finales an den dritten Satz, den Brahms mit der Vortragsbezeichnung „Un poco allegretto e grazioso“ ausstattet.


Kaum ein Orchesterchef, der auf der Trennlinie zwischen den Sätzen drei und vier kein Schlupfloch zum Räuspern in die Partitur eingräbt. Dass Ilarion Ionescu-Galați bruchlos überleitete, steht Beweis für eine authentische Spielweise, entschuldigt jedoch nicht seinen unzeitgemäßen Interpretationsansatz. Nach aktuell und international gängigen Richtlinien müsste man Meister der Gegenwart von der Klasse eines Simon Rattle oder Kirill Petrenko glatt um Verzeihung dafür bitten, dass im fernen Rumänien des Jahres 2019 noch immer wie in der großen Welt der ersten zwei Jahrzehnte nach dem Zweiten Weltkrieg musiziert wird.

Ionescu-Galați brachte den dritten Satz deutlich unter Tempo. Die Bremse fleischiger Dirigentenhände wurde durch ein undifferenziertes Klangspektrum von Solo-Klarinettist Florin Greluș zusätzlich verstärkt. Auch zeigte Solo-Pauker Radu Crăciun keinen Mumm zu einer für Brahms zünftigen Härte. Anders das gesamte Ensemble, das den ersten Höhepunkt des Finales beherzt ansteuerte und Ilarion Ionescu-Galați zum Mitmachen zwang. Als Antwort darauf ließ der alte Chef dem Orchester Augenblicke später keine Chance, den wenige Takte vor Schluss aufbrausenden Tutti-Choral in unverändertem Tempo zu nehmen. In Europa und der Welt weiß man indessen, dass Brahms hier keinen Geschwindigkeitswechsel notiert hat – auf den großen Podien zählt darum die süffige Gewohnheit eines nicht vom Komponisten stammenden subito ritardando längst zum alten Eisen. Ilarion Ionescu-Galați´ Timbre passt nur bedingt in die Gegenwart.

Ein Fauxpas der Programmplanung war die Wahl des 3. Klavierkonzertes von Beethoven, hatte doch im Rahmen der laufenden Spielzeit Csiky Boldizsár (Klausenburg/Cluj-Napoca) das Stück bereits am Donnerstag, dem 25. Oktober 2018, im Thalisaal in Begleitung desselben Orchesters interpretiert. Alexandra Silocea (Jahrgang 1984) aber schmückte am 2. Mai das wohl am leichtesten spielbare aller fünf Beethoven-Klavierkonzerte mit einer Frische aus, die weder das mittelgroße Orchester, der beleibte Gastdirigent noch der hörbar stumpfe Steinway des Tha-liasaals ausstrahlten.


Unter Ionescu-Galați war das Hermannstädter Orchester über weite Strecken auf sich alleine gestellt. Folglich wurde das bei Beethoven zwecks Strukturierung der Orchesterbegleitung häufig anzutreffende Tremolo von zweiten Violinen und Bratschen durchwegs motorisch statt sprechend wiedergegeben. Nichts von der Klangwelt aus Mozarts Singspiel „Zauberflöte“, das zehn Jahre früher entstanden war und die Spätklassik einläutete, steckte in der Darbietung der Klavierschlacht. Unterbelichtet wurde das enge verwandtschaftliche Verhältnis der Orchestereinleitung „Allegro con brio“ zu Taminos Eröffnungsarie: „Zu Hilfe! Zu Hilfe!, sonst bin ich verloren, der listigen Schlange zum Opfer erkoren“ - Ionescu-Galați erstickte den Hilferuf. Diffus gestaltete er auch den zweiten Satz, dessen Es-Dur-Farbe die Ehrung Sarastros „Heiliger Hallen“ verfehlte.


Die Hermannstädter Staatsphilharmonie erlebt aktuell eine intendanzlose Episode. Neun Anwärter hatten sich auf die Chefstelle beworben. Da der Hermannstädter Kreisrat das Auswahlverfahren erfolglos beenden musste, geht die Suche nach einem Intendanten in die zweite Runde. Welche Maßstäbe wird die künftige Chefperson einhalten müssen? Sarastro wüsste sofort Bescheid: „Dann wandelt er an Freundes Hand/Vergnügt und froh ins bess´re Land.“ Wünscht Hermannstadt sich neue Weiten im Thaliasaal, darf Maestro Ilarion Ionescu-Galați nur noch als Zuschauer am Geschehen teilhaben.