Keine Frage: Es gibt mittlerweile viele Bildbände und Bücher über Siebenbürgen, die Kirchenburgen und die Siebenbürger Sachsen vor und nach dem großen Exodus der 90er Jahre des 20. Jahrhunderts. Manches ist Dutzendware, manches Durchschnitt mit Postkartenidyll. Was der 1935 in Ploieşti geborene und aus einer siebenbürgisch-sächsischen Familie stammende Bildhauer Peter Jacobi jedoch jüngst auf 424 Seiten und in Hochglanzdruck im deutsch-rumänischen Schiller-Verlag als Bildband über Siebenbürgen vorgelegt hat, das lässt alle bisherigen Darstellungen und Bildbände weit hinter sich.
Ein Jahrzehnt nach seinem ersten Buch „Bilder einer Reise“ von 2007 erscheint nun dieser Band mit Fotografien des Künstlers aus Siebenbürgen. Der Titel beinhaltet gleich mehrere thematische Aussagen, wenn es dort heißt: „Siebenbürgen. Bilder einer Reise II. Wehr- und Kirchenburgen. Stillleben nach dem Exodus“. Wobei der Band eine so singuläre Leistung darstellt, dass der Verweis auf den ersten Band durch die Nummerierung gar nicht notwendig wäre. Jacobi kehrt zurück in das Land seiner Jugend und seiner Ahnen. Er dokumentiert mit Hunderten von genauso ästhetischen wie stimmungsvollen Bildern den heutigen Ist-Stand nach dem Exodus. Hier mischt sich in der Tat manches Stillleben mit jetzt oft „stillem“ Leben, wie das gekonnte Wortspiel im Titel insinuiert.
Rückblick, Wehmut, Nostalgie und durchaus auch ein Hauch Sentimentalität, stets gepaart mit existenzieller persönlicher Betroffenheit sind hier gleichermaßen zu spüren und werden vermittelt, wenn Jacobi seine Reisen in die Heimat fotografisch dokumentiert und dabei eine breit angelegte, eindrucksvolle und wirklich imponierende Radiografie dieses Ist-Standes bietet. Es sind betörende und elegische Bilder siebenbürgischer Ewigkeit wie verstörender Vergänglichkeit. Selbst die gezeigten Ruinen und mancher verfallene Kirchenraum gewinnen hier noch eine fast narrative Ästhetik und Symbolik, die sich jedoch immer als Erschließung und Erinnerung versteht, nie bloß als trauernder Abgesang. Wobei auch nichts verklärt wird.
Der monumental angelegte und vom Schiller-Verlag prachtvoll ausgestattete Band ist ein leidenschaftliches Plädoyer für eine nachhaltige Erinnerungskultur und eine Ermutigung für alle Hiergebliebenen wie Ausgewanderten, mit vereinten Kräften und jeder möglichen Unterstützung dieses Kulturerbe zu bewahren, zu pflegen und auch weiter zu beleben. Bilder von Burghütern und Gottesdienstbesuchern zeigen, dass es hier immer noch Leben gibt, selbst außerhalb der großen Städte und prächtigen Stadtkirchen, die gleichermaßen auf vielen Bildern zu sehen sind.
Der Band enthält einzigartige Fotos von ungewöhnlichen Räumen und Raumfragmenten, die bisher noch nicht im Fokus anderer Fotografen gestanden haben. So manche Kirchentreppe, Säule, Kuppeldecke oder Inschrift, so manches Gewölbe und kirchliche Kunstobjekt und auch so mancher Glockenturm finden in den künstlerischen Bildern Jacobis eine ganz eigene Sprache. Mit dem Blick des Bildhauers spürt er eine Vielzahl von Motiven und Situationen auf, die über den alltäglichen Blick weit hinausgehen. Die meisten Fotografien dieses Bandes sind für sich genommen schon Kunstwerke. Wobei Jacobi immer mit dem verfügbaren Licht (available light) arbeitet, was ganz außergewöhnliche und gelegentlich auch ausgefallene Impressionen vermittelt. Die im Druck allesamt exzellenten Bilder – Chapeau den Verantwortlichen für Bildbearbeitung und Layout! – zeigen die pralle Vielfalt dessen, was der Reisende – ob Jacobi oder jeder andere – heute in Siebenbürgen als Gegenwart und Erbe der Sachsen und ihres reichen kirchlichen Lebens vorfindet, der sich nicht mit dem ersten touristischen Blick zufriedengibt. Allen Bildern sind knappe, aber tiefschürfende Beschreibungen und Eindrücke Jacobis beigefügt.
Es sind sehr persönliche Texte und Eindrücke Jacobis, die die Aussagen der vielen Bilder stützen, unterstreichen und vertiefen. Wobei manche Aussage Jacobis auch sehr subjektiv ist, wie etwa der Hinweis, dass „Milliarden Euro“ in Kirchenbauten statt Infrastruktur oder Schulwesen „verbraucht“ wurden (S. 391). Hier stimmen weder Zahl noch Kritik. Gefördert werden in Rumänien über das Kultusdepartement alle Religionsgemeinschaften. Auch die Evangelische Kirche profitiert von staatlichen Bauzuschüssen etwa zum Erhalt der Kirchenburgen. Von „Milliarden Euro“ kann dabei auch nicht die Rede sein, diese Zahl ist Humbug. Und für Infrastruktur und Schulwesen sind nicht die Kirchen zuständig, die ihre Kirchenbauten hauptsächlich finanzieren, sondern der Staat. Es käme auch niemand ernsthaft auf die Idee, mit öffentlichen Geldern finanzierte Kunstwerke zu kritisieren mit dem Hinweis, dieses Geld wäre besser in Schulen oder Straßenbau investiert worden.
Sehr hilfreich ist die konzentrierte Einführung „Aus der Geschichte der Siebenbürger Sachsen – Ein Überblick“ von Konrad Gündisch (S. 14-20). Hier zieht Gündisch auch den wichtigen Schluss: „Das so oft prognostizierte finis Saxoniae ist nicht eingetreten, die siebenbürgisch-sächsische Eigenart und Tradition bleibt, in gewandelter und sich stetig wandelnder Form, erhalten. Wie lange noch? Das kann man nicht sagen.“ (S. 20) Dass dies auch auf ungewöhnliche Weise geschehen kann, dokumentiert Jacobi etwa mit Bildern von Orthodoxen übergebenen Kirchen oder auch einer rumänischen Folkloretruppe, die in der Kirche von Tartlau/Prejmer einen Auftritt absolviert (S. 196). Das war früher wohl undenkbar.
Jacobi, der von 1954 bis 1961 Bildhauerei an der Kunstakademie Bukarest studiert hat und nach seiner Auswanderung von 1971 bis 1998 eine Professur an der Hochschule für Gestaltung Pforzheim innehatte, zeigt viele Aufnahmen von gepflegten, sanierten und nach wie vor imposant wirkenden Kirchen und Kirchenburgen, aber auch beklemmende Beispiele und traurige Beispiele des Verfalls wie etwa in Wermesch/Vermeş (S. 12), Draas/Drăuşeni (S. 139), Dobring/Dobârca (S. 147-151) oder Niederneudorf/Corvineşti (S. 154). Manche Fotos rühren fast zu Tränen.
Zu sehen sind wunderbare siebenbürgische Landschaften, aber auch Alltagsszenen wie eine Schafherde auf dem Weg nach Wurmloch/Valea Viilor, die Fütterung von Schäferhunden mit Polenta, eine Rinderherde in der Dorfmitte und Packesel im Zibinsgebirge. Jacobis Interesse gilt Glocken und Läutwerken genauso wie den Uhrwerken von Kirchturmuhren, Pfarr- und Schulhäusern, Weltkriegsgedenktafeln, Abendmahlskelchen, Kirchenpforten und kunstvollen Schlössern, deren eigene Ästhetik er fotografisch zum Sprechen bringt. Und immer wieder sind kirchliche Innenräume und wunderbare Altäre zu sehen.
Bei manchen Bildern springt das unwiderruflich Verblichene den Betrachter förmlich an, wie etwa bei den umgekehrten Schulbänken von Reußdorf/Cund (S. 87) oder den unkrautüberwucherten Treppen und Türen in Rohrbach/Rotbav und Burgberg/Vurpăr (S. 68 f.). Hinzu kommen Bilder mit echtem Stillleben – wie der Koffer mit dem Besteck des Abschiedsfestes der Auswanderer in Rätsch/Reciu (S. 25) oder dem Schaufenster der örtlichen Kneipe in Klosdorf/Cloaşterf (S. 31) – und auch etliche historische Aufnahmen in Schwarzweiß. Diese stammen meist aus der Privatsammlung Jacobis und zeigen Szenen aus dem früheren Dorf- und Gemeindeleben, aber auch Königin Maria, die Törzburg oder Schloss Peleş.
Der vorliegende Band zeichnet sich nicht nur durch die außergewöhnliche ästhetische und überragende künstlerische Qualität der hier gezeigten Fotos und die nachgerade luxuriöse Gestaltung seitens des Verlages aus, sondern auch durch das sehr leserfreundliche Preis-/Leistungs-Verhältnis. Dieser Bildband sei jedem ans Herz gelegt, dem Siebenbürgen am Herzen liegt.
Peter Jacobi: „Siebenbürgen – Bilder einer Reise II. Wehr- und Kirchenburgen – Stillleben nach dem Exodus“, Bildband, 424 S., geb., Schiller Verlag: Hermannstadt/Bonn 2017, ISBN: 978-3-944529-87-5, Lei 129 / 29,90 Euro