Wer als kleines Kind nicht im Sandkasten gespielt oder am Strand eine Sandburg gebaut hat, wer von der eigenen Mutter keine stundenlangen Predigten wegen Grasflecken an den Hosen und Lehm verdreckten T-Shirts oder Hemden gehört hat, der wird die Begeisterung vieler Internetuser für „Minecraft“ nicht verstehen. Seit fast drei Jahren zieht das äußerlich sehr einfältig gestaltete Open-World-Spiel Abertausende von Menschen verschiedener Altersgruppen in seine Bahn.
Das Erfolgsrezept des Spieles ist so einfach wie die Rittersport-Werbung: „Quadratisch. Praktisch. Gut.“ Man nehme einen Würfel. Dann noch einen. Und einen weiteren und dann noch unendlich viel mehr davon. Man setze diese Würfel zu Bergen, Hügeln, Tälern, Wäldern, aber auch Tieren, Menschen und Monstern zusammen. Man statte den Spieler mit den Fähigkeiten aus, Werkzeug herzustellen sowie Unterkünfte zu bauen, und lasse ihn in diese Würfelwelt eintreten. Austreten wird er nur, wenn der Server abstürzt oder das eigene Haus brennt. Weder die Hausaufgaben noch die wütenden Eltern, weder die vom nächtelangen Spielen rechteckigen Augen noch das schöne Wetter, weder die brüllenden Chefs noch die seit Monaten liegen gelassene Hausarbeit werden den echten „Minecraft“-Süchtigen vom Spiel abhalten.
Die Geschichte
Den ersten Baustein für „Minecraft“ legte der schwedische Programmierer Markus Persson (in der „Minecraft“-Welt besser als „Notch“ bekannt). Auf die Idee, eine Buddel-Welt zu erschaffen, kam der Schwede durch das seit 2009 eingestellte Spiel „Infiniminer“, in dem Mineralien abgebaut und an die Oberfläche gebracht werden mussten. Doch wurden ins neue Spiel Elemente aus anderen Strategiespielen, wie „Dwarf Fortress“ oder „Dungeon Keeper“, übernommen. Wer andere Strategiespiele im „Minecraft“ finden will, wird ohne große Schwierigkeiten fündig.
Am 10. Mai 2009 erschien die erste Version des Spieles. Diese erlebte innerhalb von nur 18 Tagen eine enorme Weiterentwicklung. Aus den anfangs einheitlichen Blöcken entstanden Stein, Erde und Holz, danach Sandstein, Sand und Glas als dessen Nebenprodukt. Lava und Wasser wurden hinzugefügt. Untertage konnte man nun Gold- und Eisenerze finden oder Kohle abbauen. Die so schwer zu findenden und darum umso mehr begehrten Diamanten tauchten erst am 30. Januar 2010 auf. Um ans Holz zu kommen, musste man Bäume fällen.
Und selbstverständlich kamen auch die Monster hinzu, die in der Nacht die Welt beherrschten und den Spieler nicht nur verletzen, sondern auch töten können. Aus diesem Grund muss der Spieler in der dunklen Tageszeit einen Unterschlupf finden, in dem er sich vor Gefahren verstecken kann. Doch nur irgendwelche Erdlöcher zu graben, um darin die Nacht zu überstehen, wurde irgendwann zu langweilig. Man begann Häuser zu bauen.
Gerade diese Möglichkeit, nicht nur zu graben und zu überleben, sondern auch etwas Dauerhaftes, etwas nicht nur Praktisches, sondern auch Schönes, zu erschaffen, macht einen großen Teil des „Minecraft“-Reizes aus. Aus den anfangs einfachen Behausungen mit flachen Dächern wurden wahrhaftige Kunstwerke der Würfel-Architektur. Komischerweise werden diese nicht nur im Multiplayer-Mode, sondern auch im Single-Mode gebaut.
Der menschliche Drang, etwas Bleibendes zu erschaffen und zu hinterlassen, auch wenn es nur in einer Fantasiewelt Bestand hat und womöglich nur als Screenshot überlebt, scheint größer zu sein als das Verlangen nach der Anerkennung durch die Mitspieler. Es gibt kaum etwas, was in den vergangenen drei Jahren nicht in Würfeln nachgebaut wurde. Kathedralen und historische Denkmäler, futuristische Gebäude aus Glas oder als eine Anordnung von verschieden großen Sphären, das Kolosseum, Shakespeares Globe Theater, die Bibliothek von Alexandria, riesige Drachen oder Lego-Männchen. Im „Minecraft“-Reich findet man alles.
Der Spielablauf
Doch nun zum eigentlichen Spiel. Egal ob im Single- oder Multiplayer-Mode, man beginnt mit bloßen Händen. Damit kann man Erdlöcher graben oder Bäume fällen. Aus dem gewonnenen Holz kann man die primitivsten Werkzeuge zusammensetzen und die wiederum zum Steinabbau verwenden. Die Steinwerkzeuge sind zwar etwas besser und halten um einiges länger als die hölzernen, doch sind sie auch nicht das Gelbe vom Ei. Nun muss man sich Untertage auf die Suche nach Kohle und Eisenerz begeben. Je tiefer man kommt, desto wertvoller sind die Mineralien, die man möglicherweise findet.
Die Erze, die man mit schwerer Mühe aus dem Boden geholt hat, müssen im eigens gebauten Steinofen geschmolzen werden. Dafür ist die Kohle ein unabdingbares Material im „Minecraft“. Ausgerüstet mit eiserner Spitzhacke, der Schaufel und der Axt kann man sich in die tiefsten Regionen begeben, um in der Nähe von Lava-Seen und dem Bedrock, der die untere Grenze der Karte anzeigt, die Diamanten zu finden. Die wertvollen Kristalle sind vielseitig einsetzbar, vorausgesetzt, man schafft es, sie auf die Oberfläche zu bringen, wenn man nicht in der Lava verbrennt und von keiner Explosion der bösartigen Creepers erwischt wird. Aus diesen härtesten Kohlenstoffverbindungen kann man die dauerhaftesten Werkzeuge, die beste Rüstung und im Multiplayer-Mode sogar eine Schutzvorrichtung des eigenen Gebietes erschaffen.
Spätestens jetzt, wenn man genug Diamanten hat und eventuell ein geeignetes Territorium abgegrenzt hat, beginnt man zu bauen. Ein größeres Haus, vielleicht ein Schloss. Danach werden ein paar Glashäuser für die lebensnotwendigen Pflanzen sowie Gehege für die Haustiere angefertigt. Tiere sind auch in der Wildnis zu finden, doch sind sie dort nicht so zahlreich und müssen gesucht werden. Schafe, Schweine, Kühe und Hühner kann man ins Gehege mit Weizenähren locken, um sie dort zu züchten.
Doch soll man sich im Multiplayer-Mode vor den bösen Nachbarn hüten. Diese, so sind die Menschen eben, sind auf die Erfolge der Mitspieler meistens sehr neidisch und lassen keine Möglichkeit aus, Schaden anzurichten. Da lockt man mit Mühe zwei Schafe ins eigene Gehege, vermehrt sie zu einer großen Herde und geht zufrieden schlafen, weil es schon längst nach Mitternacht ist.
Am Morgen, noch vor der Schule oder vor der Arbeit, will man sie scheren und findet kein einziges Schaf. Der Tag ist im Eimer! Da sie nicht weglaufen konnten, beobachtet man die nächsten, in mühevoller und stundenlanger Arbeit heimgebrachten Schafe ganz genau. Plötzlich erscheint ein Mitspieler, nutzt einen Spielfehler aus, der ihm erlaubt durch verschlossene Türen zu gehen, und veranstaltet ein regelrechtes Gemetzel im Gehege. Manchmal muss man mehr Angst vor Menschen, als vor Monstern haben!
Die Welten
Apropos Monster. Ist man Zombies, Skelete, Spinnen und Creeper satt, baut man ein Portal und zieht nach Nether um. Eine bizarre Welt, in der alles Kopf steht: Bedrocks grenzen die Welt nach oben ab und Lava-Seen nach unten. Dort findet man Monster, mit denen man es nicht so einfach hat.
Die riesigen, fliegenden Ghasts geben jammernde Geräusche von sich, die an das Schluchzen der Kinder erinnern, und spucken Feuerbälle, sobald sie einen Spieler erblicken. Lavaslimes versuchen auf den Kopf des Spielers zu springen, um ihn umzubringen. Auch die Lohen, deren Körper sich um ihre Köpfe dreht, greifen den Spieler sofort mit Feuerbällen an. Doch trotz all dieser Gefahren lohnt sich ein Abstecher in die Unterwelt von „Minecraft“. Nur dort findet man den brennenden Netherrack, den glühenden und somit Licht spendenden Glowstone sowie den Soul Sand, der zum Pflanzen von Netherwarze unbedingt notwendig ist.
Eine weitere Welt im „Minecraft“ ist beinahe unmöglich zu finden. Die Besucher aus dem so genannten „Ende“ sind Endermen. Diese hohen und dünnen Gestalten erscheinen in der Nacht in der normalen Welt und wandern dort ziellos umher, nehmen Blöcke auf und stellen sie irgendwo ab.
Dem Spieler gegenüber sind sie neutral. Doch schaut man sie direkt an, starren sie zurück. Wendet man sich ab, greifen sie an und verfolgen einen bis sie ihn töten. Ihre eigentliche Welt ist das „Ende“. Um dorthin zu gelangen, muss man ein Portal in einer verlassenen Festung, in der normalen Welt, finden.
Die Aktivierung des Portals ist eine schwere und fast unmögliche Aufgabe. Doch schafft man in die „Ende“-Welt, steht man vor einem weiteren Problem. Ein Drachen kreist im sonnenlosen Himmel. Diesen im Alleingang umzubringen, ist ein Ding der Unmöglichkeit. Tut man sich mit anderen zusammen und hat Erfolg, ist das Spiel, vorläufig, zu Ende.
Ein Abspann, in dem der namentlich erwähnte Spieler gelobt wird, endet mit Worten des berühmten Schriftstellers Mark Twain: „Twenty years from now you will be more disappointed by the things that you didn’t do than by the ones you did do. So throw off the bowlines. Sail away from the safe harbor. Catch the trade winds in your sails. Explore. Dream. Discover“ (In 20 Jahren wirst du mehr enttäuscht sein über die Dinge, die du nicht getan hast, als über die Dinge, die du getan hast. Also löse die Knoten, laufe aus dem sicheren Hafen. Erfasse die Passatwinde mit deinen Segeln. Erforsche. Träume. Entdecke.). Danach wacht man wieder in der gewohnten Welt auf und setzt das Spiel fort. Wenn man will.
Trotz der angespannten Beziehungen zu den Nachbarn ist das Spielen im Multiplayer-Mode um einiges interessanter als im Single-Mode. Der Kampf ums Überleben in der Wildnis wird durch den Wettstreit mit den Mitspielern um das bessere und schönere Haus, um das größere Territorium nur reizvoller. Und dieser Kampf wird nie beendet.
Die Spielaktualisierungen, die in unregelmäßigen Abständen erscheinen, zwingen die Serverbetreiber ihrerseits, die angebotene Spielversion zu aktualisieren. In diesem Fall beginnt das ganze Spiel von neuem. Die Burgen und Paläste der alten Serverversion sind Geschichte. Nun steht man wieder mit bloßen Händen vor den unendlichen Weiten der „Minecraft“-Welt und ist zu neuen Abenteuern bereit.