Bei den 65. Internationalen Filmfestspielen in Berlin feierte die Verfilmung des Erotikromans „Fifty Shades of Grey“ der britischen Schriftstellerin E. L. James in der Sektion „Berlinale Special“ am 11. Februar 2015 ihre internationale Premiere. Damit begann – quantitativ und ökonomisch betrachtet – auch der Siegeszug dieses Streifens, der in den USA und Kanada als der bestbesuchte Film aller Zeiten an einem Valentinstag in die Geschichte einging. In Deutschland sahen ihn am Premierenwochenende 1,35 Millionen Zuschauer, in Rumänien auf insgesamt 73 Leinwänden zwar nur rund ein Zehntel davon, aber doch immerhin eine derartige Anzahl von Kinobesuchern, wie sie in etwa der Einwohnerzahl von Hermannstadt/Sibiu entspricht.
Für den rumänischen Kinogänger hat dieses Faktum den erfreulichen Nebeneffekt, dass man – Filmfestivals ausgenommen – endlich auch einmal unter der Woche an einem Gemeinschaftserlebnis partizipieren kann, das, bei aller Vereinzelung der Zuschauer in der Dunkelheit des Lichtspieltheatersaales, einst das Kinoerlebnis ausmachte. Das vorwiegend junge Publikum sorgt dabei für eine ausgelassene und heitere Atmosphäre, die auf der einen Seite, quasi als Übersprungsreaktion, dem heiklen Sujet des Films geschuldet ist: Immerhin handelt es sich bei der Romanvorlage um einen Softporno, bei dem auch ungewöhnliche Sexualpraktiken wie Fesselung und Auspeitschung, Sadismus und Masochismus, zur Sprache kommen.
Auf der anderen Seite operiert der von der britischen Regisseurin Sam (Samantha) Taylor-Johnson inszenierte Film selbst mit humoristischen Elementen, die es dem Zuschauer ermöglichen, aus der fremden und bedrohlichen Welt des BDSM (Bondage & Discipline, Domination & Submission, Sadism & Masochism) immer wieder in die heitere und unschuldige Atmosphäre einer Romanze hinüber zu gleiten, die diesen Film eben auch und vielleicht sogar in erster Linie durchwaltet. Ein Beispiel: Der männliche Protagonist hat sein weibliches Unterwerfungsopfer gerade mit einer erlesenen Krawatte an den Händen gefesselt, da kündigt sich plötzlich der unerwartete Besuch seiner Mutter an, worauf das in sadomasochistische Aktivitäten verwickelte Paar auseinander stürzt wie verliebte Teenager bei der verfrühten Heimkunft der Eltern. Kann es für einen mit den Abgründen der Sexualität konfrontierten jungen Kinobesucher einen besseren Anlass geben, sich mit einem befreienden und erleichternden Lachen von seiner inneren Anspannung zu erlösen?
Auch sonst geht die Regisseurin in jeder Hinsicht behutsam mit den Betrachtern ihres Films um. Blut und andere Körpersäfte fließen nicht, Geschlechtsteile werden nicht gezeigt, Sexualakte nur andeutungsweise ins Bild geholt, Fesselungen und Hiebe hinterlassen keine Striemen oder andere Spuren, die Körper wirken durchweg wie frisch geduscht, alles scheint aseptisch und steril, nur die Narben auf der behaarten Brust des Protagonisten weisen auf eine Realität hin, der sich der Film jedoch konstant verweigert. Im Vergleich mit Lars von Triers „Antichrist“ oder „Nymphomaniac“ erscheint Sam Taylor-Johnsons „Fifty Shades of Grey“ wie eine Matinee für Kinder, wobei verblüfft, dass die beiden Hauptdarstellerinnen der genannten Filme jeweils die gleiche Frisur (Pony mit Pferdeschwanz) tragen und sich auch sonst zum Verwechseln ähnlich sehen.
Wenn man einmal die BDSM-Thematik außer Acht lässt, so fügt sich „Fifty Shades of Grey“ problemlos in ein Romanzen-Schema, das der Kinobesucher aus zahlreichen Hollywood-Filmen zur Genüge kennt: Reicher älterer Mann erobert jüngere mittellose Frau, die sich ihm dafür restlos ausliefert und völlig hingibt. In Christian Grey (Jamie Dornan) aus „Fifty Shades of Grey“ steckt ein bisschen Robert Redford aus „Indecent Proposal“, ein bisschen Richard Gere aus „Pretty Woman“, ein bisschen Hugh Grant aus „Two Weeks’ Notice“, aber eben nur ein bisschen. Gleich Julian in „American Gigolo“ wählt Christian zu Beginn des Films die allerbesten Krawatten aus, die er als erfolgreicher Bankdirektor und milliardenschwerer Mäzen ohnehin trägt und die zugleich als Symbole und Fetische seiner geheimen Lust fungieren. Die Regisseurin verurteilt Jamie Dornan allerdings dazu, den ganzen Film über immer nur ein und dasselbe Gesicht zu zeigen, als handle es sich bei ihm um Tom Cruise, der diese Rolle gewiss mit Bravour und ohne jede Anstrengung absolviert hätte.
Da wird der weiblichen Protagonistin Dakota Johnson, Tochter von Melanie Griffith („Working Girl“) und Enkelin von Tippi Hedren (Hitchcocks „Vögel“), schon weit mehr abverlangt. Sie muss sich als unschuldige Jungfrau namens Anastasia Steele des Öfteren, zunächst unabsichtlich, dann aber immer absichtsvoller auf die Unterlippe beißen, darf dabei die engelsreine Naivität und den aufreizenden Unschuldsblick niemals verlieren, wenn ihr auch als Studentin der englischen Literaturwissenschaft bisweilen gestattet wird, sich der an Thomas Hardy („Tess of the d’Urbervilles“) gewonnenen Erkenntnisse zum Zwecke der Errettung des an die Sadomaso-Welt verlorenen Geliebten aufrichtig zu bedienen.
Der grundsätzliche Konflikt in dieser ungleichen Paarbeziehung wird den ganzen Film über nur exponiert, aber niemals ausgetragen. Christian ist ein Kontrollfreak, der nicht nur auf sexuellem Gebiet völlige Unterwerfung von seiner Partnerin einfordert; Anastasia dagegen will sich zwar gerne kontrollieren lassen, dabei aber partout nicht leiden oder gequält werden. Christian kann eigentlich alles: Geld machen, Hubschrauber und Flugzeuge fliegen, schnelle Autos fahren, Klavier spielen, und in der englischen Literatur kennt er sich auch besser aus als die unbedarfte Anastasia, die gerade ihr Bachelor-Examen hinter sich gebracht hat. Dennoch scheint Christian einen Narren an ihr gefressen zu haben, auch wenn Anastasia seine Pedanterie, seinen Vertragstick und seine Überwachungssucht immer wieder leichthin auf die Schippe nimmt.
Am Ende von „Fifty Shades of Grey“ schließen sich zwar die Aufzugstüren zwischen den beiden Liebenden, die sich mittlerweile getrennt haben. Aber in den Fortsetzungen des Films, die schon aus kommerziellen Gründen gewiss nicht lange auf sich warten lassen werden, dürften diese sich gewiss bald wieder öffnen. Dann wird der Zuschauer erneut Gesichtern ohne Ausdruck, Räumen ohne Leben, Szenarien ohne Wirklichkeit, Plots ohne Plausibilität ausgesetzt sein, dabei jedoch auch die Möglichkeit haben, sich am freiwilligen wie unfreiwilligen Humor der Protagonisten und ihrer Nebendarsteller in rätselhaft vollen und merkwürdig heiter gestimmten Kinosälen ausgiebig zu laben.