Dem Himmel so nah und doch gottverlassen

Bewegender Film über die letzte Schäferfamilie auf den Almen von Jina

Zauber der Bergkulisse im Lauf der Jahreszeiten und rauer Alltag – der Film beeindruckt durch atemberaubende Bilder.

Blökende Schafe ziehen vorüber, dahinter eine atemberaubende Bergkulisse. Vorsichtig schöpft die Sennerin mit dem Holzlöffel den Rahm aus flachen Schalen. „Manchmal kommt schon Staub rein, wenn der Wind recht bläst“, lacht die Frau mit dem jungen Gesicht unter dem schlichten wollenen Kopftuch. Die Filmmusik im Hintergrund erinnert an einen klagenden Jodler.

„Dem Himmel ganz nah“, so lautet der Titel des Dokumentarfilms über die letzte Schäferfamilie, die das ganze Jahr über auf den Almen von Jina lebt, dem höchstgelegenen Dorf der rumänischen Karpaten. Fast ohne Worte spielt sich das Leben der stillen Helden ab, Dumitru und Maria Stanciu mit ihrem halbwüchsigen Sohn Radu: mähen, melken, scheren, schlachten, Wasser holen, Käse machen, essen, schlafen, beten, mit dem Pferdewagen ins Dorf fahren, drei Stunden Fußweg zur Schule. Einsame Nachtwache bei den Schafen, die früher die Nachbarn reihum übernahmen.

Nachdem sie nach und nach abgewandert sind, sind auch die Wölfe zurückgekehrt. Dumitru Stanciu fühlt sich verlassen. Jeder Notfall wird zum Drama bei drei Stunden Fußweg ins Dorf. Doch seine Familie hält weiter die Stellung, wie seit Jahrhunderten. Etwas anderes haben sie nicht gelernt, können sie sich nicht vorstellen, sagt Maria Stanciu.

Selbst Radu, der nun in Hermannstadt die Schule für Veterinärtechnik besucht, kann sich ein anderes Leben nicht denken. Er sehnt sich nach der Freiheit der Berge zurück, in die er eines Tages als Schäfer heimkehren will. Ein schöner Traum, doch wird er ihn realisieren können? Die Geschichte der Stancius musste erzählt werden, schon deshalb, weil sie bald Geschichte sein wird, sagt Regisseur Titus Faschina.

Auf der Spur nach einer im Verschwinden begriffenen Welt suchten er und Kameramann Bernd Fischer 2006 die Almen zu einem Probedreh auf – fasziniert von den Hängen voller Schafe und den Menschen, die den rauen Lebensbedingungen dort seit Generationen trotzten. Doch nur drei Jahre später hatte die Realität den im Entstehen begriffenen Dokumentarfilm überholt. Die ursprünglich ausgesuchte Familie war längst ins Dorf gezogen.

Ringsum verfallende Höfe, der Wind bläst erbarmungslos durch die Planken. Die Natur holt sich schnell zurück, was ihr in Jahrhunderten mühsam abgerungen worden war. Übrig blieben nur die Stancius.

Die Szenen aus dem Leben der Sennerfamilie sind alle ungestellt. Idylle wechselt mit Eintönigkeit, der Zauber der Jahreszeiten mit rauen Alltagsszenen. Symbolisch mutet der Todeskampf des zum Schlachten aufgehängten Schafes an – dann wieder ein berührender Moment, als der Schäfer mit den derben Fingern ein frisch geborenes Lämmchen zum Euter der Mutter dirigiert. Erst mittendrin fällt einem auf, dass der Film schwarzweiß ist. Schwarzweiß wie historische Aufnahmen oder wie ein gewaltiges, beeindruckendes, verblassendes Dokument – so, wie diese Welt langsam und unaufhaltsam verblasst.

Heute bedeckt keine zum Trocknen ausgelegte Schafwolle mehr die Hänge, wie vor drei Jahren. Schmutzig wird sie zu Spottpreisen verschleudert. Im Keller von Dumitru Stanciu stapelt sich der Käse. Etwa 600 Kilogramm, die Produktion eines Jahres, die auf einmal keiner mehr haben will. Am Ende sieht man Vater und Sohn ratlos in einem Supermarkt stehen. Wortlos blicken sie auf das Kühlregal: Unmengen von Käse, glanzverpackt. Die Stancius, stumme Verlierer des Fortschritts...

„Dem Himmel ganz nah“, ein Film von Titus Faschina, mit deutschen und englischen Untertiteln, Gmfilms „good movies“, ISBN 4260065523852