Es gibt kaum ein Klassik-Genre, das festlicher und spektakulärer ist als die Oper: Musik, Schauspiel, Tanz, Kostüme, Bühnenbild und Lichtdesign – alles trägt dazu bei, dass das Publikum am spannenden Geschehen teilnimmt und in die Parallelwelt aufgesaugt wird. Man fiebert mit, man freut sich über seine Lieblingsarien – und wenn man Kenner ist, kritisiert man vielleicht auch mal die mangelnde Akkuratesse einer schwierigen Passage oder die etwas zu avantgardistische Interpretation einer berühmten Szene. Doch wenn die Aufführung gelungen ist und überzeugt, dann werden Regisseure, Opernstars und Dirigenten wie Helden gefeiert.
Allerdings ist die Welt der Oper noch viel umfassender als das, was man auf der Bühne sieht. Diejenigen etwa, die hinter den Kulissen arbeiten, haben keine Fangemeinde im Publikum und kein Porträtfoto auf den Plakaten, ihre Termine werden nicht von Agenturen vereinbart und sie bekommen selten einen Blumenstrauß für ihre Leistung. Sie bleiben im Schatten. Anders ausgedrückt: Sie spielen entscheidende Rollen, ersparen sich aber das glamouröse Drumherum.
Dessen ist sich der Bukarester Dan Ra]iu bewusst, der seit acht Jahren als Chordirektor an der Staatsoper Hannover arbeitet. Ein Blick auf das Repertoire, das er allein für die laufende Spielzeit mit seinem Ensemble erarbeitet, zeigt, dass es ihm nicht langweilig werden kann. Neben Klassikern wie „Don Carlo“, „Die Meistersinger von Nürnberg“, „La Boheme“ oder die unlängst inszenierten „Cavalleria rusticana“ und „Der Bajazzo“ steht viel Musik des 20. Jahrhunderts auf dem Programm: „Intolleranza 1960“ von Luigi Nono, „Die Teufel von Loudun“ von Krzysztof Penderecki, „Peter Grimes“ von Benjamin Britten, „Die Bassariden“ von Heinz Werner Henze. Manche dieser Werke sind gerade für den Chor eine große Herausforderung. Nicht auch für Dan Raţiu, der neben Orchesterleitung und Klavier auch Komposition studiert hat, und somit in der zeitgenössischen Musik zu Hause ist. Außerdem war sein Vater, Adrian Raţiu, ein anerkannter Komponist.
„Ich hatte schon immer den Wunsch, Dirigent zu werden“, sagt Dan Raţiu. „Aber 1987, als ich mich um einen Platz am Bukarester Konservatorium bewarb, gab es den Studiengang Orchesterleitung nicht mehr – vielleicht eine Sparmaßnahme des ‘Goldenen Zeitalters‘. Also bewarb ich mich für Komposition im Hauptfach und nahm Orchesterleitung als Nebenfach – zum Glück wurde das auf sehr hohem Niveau von Horia Andreescu unterrichtet.“
Sein erstes Festengagement führte Dan Raţiu von 1991 bis 1995 als Dirigent an das Opernhaus Kronstadt/Braşov, danach wechselte er an die Oper Graz, wo er zunächst als Korrepetitor tätig war – „eine sehr, sehr gute Schule für einen Dirigenten“, zieht er heute Bilanz. „Einmal hat ein Gastdirigent kurz vor einer Donizetti-Premiere abgesagt, und der Intendant hat mir angeboten, die Aufführung stellvertretend zu dirigieren. Seine Bedingung war, dass ich auch die Leitung des Opernchors übernehme“, erinnert sich Ra]iu. „Ich hatte Chorleitung im Studium kennengelernt und mochte Chormusik, aber erst in Graz entdeckte ich, wie großen Spaß diese Arbeit macht.“ Als Kapellmeister dirigierte Raţiu in Graz Werke von Rossini, Donizetti, Verdi, Puccini und Mozart. Außerdem lehrte er Partiturspiel und Korrepetition an der Grazer Universität für Musik, wo er auch promovierte.
In Hannover betreut er nun seit 2006 neben dem Opernchor den Kinderchor und einen sogenannten „Extra-Chor“, der in großen Aufführungen zum Einsatz kommt. Der „einzige Minuspunkt“ in Deutschland im Vergleich zu Österreich ist seiner Ansicht nach die strikte Trennung der Fachrichtungen: „Wenn man Chordirektor ist, ist man ‘nur‘ Chordirektor, und sehr selten ergibt sich die Gelegenheit, eine Aufführung zu dirigieren. Dafür gibt es aber genug Qualitätsarbeit mit den Chören.“
Allzu große Unterschiede zwischen der rumänischen, italienisch geprägten Gesangschule und der deutschen Singtradition stellt Ra]iu in seiner Tätigkeit in Hannover nicht fest: „Die Opernhäuser sind inzwischen so international, dass man nicht mehr von Gesangschulen sprechen kann. Wir haben Ensemblemitglieder aus Südkorea, Indien, Rumänien, Russland, Bulgarien, Polen, Österreich, Holland, den USA. Es ist ohne Zweifel eine große Bereicherung – aber auch eine Herausforderung, wenn man bedenkt, dass der so bunt zusammengesetzte Chor auf einen gemeinsamen Nenner gebracht werden muss.“ Es sei beispielsweise einfacher, auf Italienisch oder Rumänisch zu singen – die deutsche Sprache habe viel mehr Konsonanten und sei deshalb schwierig auszusprechen, vor allem wenn man gleichzeitig eine fließende Melodie führen müsse. Doch der Text sei ein wichtiger Bestandteil der Opernaufführung und dürfe nicht vernachlässigt werden.
Er selbst hat nach zwanzig Jahren im deutschsprachigen Raum eine akzentfreie Aussprache. Eins vermisst er jedoch: Das Rundfunk-Kammerorchester von Bukarest, das er früher oft dirigiert hat und das er sehr schätzt. „Ich würde gerne öfter nach Rumänien kommen, um zu dirigieren. Als Chordirektor bin ich jedoch ans Ensemble gebunden.“ Kein Wunder, denn es gibt genug zu tun: zurzeit beispielsweise „Castor et Pollux“ von Rameau und eine Ballett- und Chor-Inszenierung der „Wahlverwandtschaften“ von Goethe.