Wenn Ihnen der in Bukarest allgegenwärtige Graffiti-Satz „Alles wird gut“ (rum. Totul va fi bine) schon bekannt vorkommt und Sie sich fragen, weshalb er so verbreitet sei, dann trägt Martin Creed die Verantwortung dafür. Creed ist ein berühmter britischer Künstler und zugleich derjenige, der das ermutigende Graffiti mittels seines aus Neonlichtern dargestellten Sinnspruchs „EVERYTHIG IS GOING TO BE ALRIGHT“ inspiriert hat. Erstmals 1999 in New Yorks Times Square errichtet, überblickt die Lichtskulptur seit 2007 auch die amerikanische Großstadt Detroit und seit 2008 ziert sie die Fassaden des „Rennie“-Museums in Vancouver sowie der Scottish National Gallery of Modern Art in Edinburgh.
2001 ließ Martin Creed wieder sein Licht leuchten, und zwar erlangte er weltweite Anerkennung als Turner-Preisträger dank seiner Lichtspiele aus dem Werk Nr. 227: „The Lights Going on and off“ (dt. Die Lichter gehen an und aus), welches in der Tate Modern Kunstgalerie zu sehen war. Das umstrittene Werk sorgte zu der Zeit sowohl für Bewunderung als auch für Ablehnung in der Kunstwelt.
Obwohl der Kunstschaffende für seine Lichtinstallationen berühmt wurde, sind seine Ausdrucksmittel abwechslungsreicher, als man sich vorstellt. In diesem Sinne verwendet er alle Mittel von Malerei, Bildhauerei, Kollage, über Musik bis hin zur Video-Performance als ein eigenartiges unverkennbares Medien-Gemisch. Bis zum 2. Mai 2019 sind vier Beispiele solcher Melange im Bukarester Privatmuseum für Gegenwartskunst MARe (Blvd. Primăverii 15) zu besichtigen, wobei man beobachten kann, wie verschiedene künstlerische Mittel ineinanderfließen.
Letzten Monat hat der berühmte Brite anlässlich der Vernissage seiner Ausstellung vom 12. Februar Rumänien besucht und dem Publikum am Vorabend auch eine lebhafte Live-Performance mit Mundharmonika- und Gitarrenselbstbegleitung im Club Control dargeboten.
Am nächsten Abend trat Martin Creed typisch gekleidet, nämlich mit vier übereinander gestapelten Hüten auf dem Kopf, drei Brillenpaaren an den Augen und sieben zusammengeflochtenen Krawatten am Hals, auf. Der Museumsdirektor, Erwin Kessler, stellte ihn den Gästen als einen Künstler mit schöpferischer Begeisterung, einem gegen die Schönheit in der Kunst orientierten Pragmatismus und einer prägenden philosophischen Einstellung vor. Laut Kessler verwandelt er bei der Auseinandersetzung mit den gewählten Themen Konzepte in Dinge, Gesten in Werke und das Leben in Kunst. Martin Creed scheint auf Platons Ideenlehre anzuspielen, nach der die Ideen in einer göttlichen, den Menschen unzugänglichen Welt schweben, während die irdischen Gegenstände deren nur ungefähr entsprechenden Darstellungen seien.
Von Erwin Kessler gebeten, sich zu seinen Werken zu äußern, errötete der exzentrisch und zugleich lustig wirkende Künstler und bewegte sich aufgeregt. Dann meinte Creed mit schottischem Akzent, er empfände die Kommunikation als schwierig, und nachdem er krampfhaft um die Worte rang, gab er selbstironisch frank und frei zu, dass ihm solche Personen, die Reden halten und ihre Werke ausstellen, arrogant schienen, und danach wusste er nicht, was er weiter sagen sollte. Sein verzweifeltes Geständnis löste beim Publikum sofort mitleidiges Lachen und Beifall aus. Bald darauf gingen die Besucher auf die Suche nach Creeds Werken durch das Museum.
In einem Gespräch erklärte uns der Künstler, dass er eigentlich kein Ausdrucksmittel für seine intermedialen Werke bevorzuge, sondern dass es ihm gefalle, diejenigen Medien und Formate miteinander zu vermischen, die ihm vielfältige künstlerische Ausdrucksformen ermöglichen. Auf unsere Frage nach seiner Inspirationsquelle antwortete Creed, dass seine Ideen dem Alltagsleben entstammen. Nichts anderes als die Versuche und die Anstrengungen des Lebens inspirieren ihn, denn „um zu leben, muss man Werke durchführen, sich bewegen, sich anstrengen“ so Creed. Außerdem versucht der Künstler, die Mühen des Lebens und die Schwierigkeiten leichthin, mit Humor zu behandeln. Mit dieser Auffassung passt Creed ganz gut ins rumänische Umfeld und zu den Rumänen, die trotz ihrer Not dank ihres Optimismus, noch fröhlich bleiben können und ihre Probleme humorvoll behandeln.
Nach der Botschaft seiner Werke befragt, erwiderte der Künstler lapidar, es gebe keine. Das erinnerte an die französische Theorie „L’art pour l’art“ (dt. Kunst für die Kunst) aus dem 19. Jahrhundert, gemäß der die Kunst keine Zweck verfolgt und sich selbst genügt. Die Erklärung ist aber einfacher als erwartet. Für den britischen Künstler steht nicht ein Endprodukt, wie die Botschaft, sondern der Vorgang der Entstehung seiner Werke im Fokus und somit wieder die Anstrengung, sich mit der Wirklichkeit und den Ereignissen des Lebens auseinanderzusetzen. Dabei ist es ihm wichtig, ehrlich zu bleiben. „Wenn ich beim Ausführen meines Werks ehrlich bin, dann hoffe ich, dass vielleicht etwas darin auch in anderen Leuten mitschwingt“, fuhr Creed fort.
Creed ließ einen neuen Schock folgen. Er meinte, er sei nicht der eigentliche Autor seiner Werke. Das kann man verstehen, wenn man sich daran erinnert, dass laut einer postmodernen Theorie der Literaturwissenschaft die Leser, oder in diesem Fall die Betrachter, sozusagen „Mitautoren“ des Werkes werden, wenn sie eine eigene Interpretation dafür entwickeln. Mit dem Motto des Meisters im Gedächtnis, „Leben und leben lassen“, ging es auf den Weg nach seinen im Museum ausgestellten Werken.
Strategisch auf mehreren Ebenen des Gebäudes platziert, erklingen drei seiner vier ausgestellten Performance-Videos simultan und verleihen den Museumsgängern eine neue Perspektive auf das MARe-Museum, dessen Exponate dadurch auch mit akustischem Hintergrund wahrgenommen werden können. Will man „1-100“ hören, so muss man sich im Erdgeschoss Kopfhörer aufsetzen und einen Bildschirm betrachten. Das bunteste Werk, mit dem eingängigsten Lied der Serie, trägt den Titel „Under-standing“ (Verstehen) und befindet sich zwischen dem ersten und dem zweiten Stockwerk. Das Video „Thinking/Not Thinking“, welches der Ausstellung den Titel verleiht, enthält Ähnlichkeiten mit dem 2010 im Museum Abteiberg gezeigten Video „Departure 2005“ des rumänischen Künstlers Mircea Cantor. In jenem Video sind die Darsteller ein lebendiges Reh und ein Wolf, während in Creeds Werk zwei Hunde in gleicher minimalistischer Umgebung wie bei Cantor auftreten.
Nachdem sich die Gäste von der Ausstellung des britischen Künstlers überraschen ließen, folgte eine Party mit geselliger Unterhaltung in der Cafeteria des Museums. Eine Frage beschäftigte die Gedanken der Anwesenden: War der Auftritt des Briten nicht eines seiner Werke, eben eine Live-Performance, bei der er sich selbst als ehrlich und selbstironisch inszenierte?
Die Ausstellung kann noch bis zum 2. Mai im MARe-Museum (Blvd. Primăverii 15) besucht werden. Mehr Angaben unter www.mare.ro