Deutsches Leben in Karamurat vor 1940

Dobrudschadeutsche in Dokumentarbildern

Hof Markus Müller | Fotos: Bessarabiendeutscher Verein e. V. Stuttgart

Katholische Bauernmädchen

Wenn bei der Volkszählung 2002 tatsächlich noch 18 Dobrudschadeutsche in der Gemeinde Mihail Kogălniceanu (früher Karamurat/Caramurat) bei Konstanza verzeichnet worden sind, kommen diese beim jüngsten Zensus leider nicht mehr vor. Die wenigen vielleicht Verbliebenen fallen unter die Kategorie der 12 Prozent der örtlichen Bevölkerung, deren Volksangehörigkeit unbekannt geblieben ist. Die Wiederherstellung der kulturellen Erinnerung an die deutschen Einwohner setzt sich jedoch eine bewegende Dokumentarfotoausstellung zum Ziel, die ihre Spuren seit ihrer Ansiedlung im zweiten Teil des 19. Jahrhunderts bis zur Zurückführung 1940 ins Deutsche Reich verfolgt und auch ihre Lebensweise beleuchtet.

Die vorige Woche in der früheren deutschen Gemeinde eröffnete Ausstellung „Deutsches Leben in Mihail Kogălniceanu (Karamurat) vor 1940“ wurde von den Schwestern Andreea und Iulia Wisoșenschi, Nachkommen der dortigen Deutschstämmigen,initiiert und mit Unterstützung der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien, der Kulturreferentin für Siebenbürgen, Bessarabien, die Dobrudscha und den Karpatenraum am Siebenbürgischen Museum in Gundelsheim, Dr. Heinke Fabritius, des Bürgermeisteramts Mihail Kogălniceanu, der Kulturstiftung „Mușata Armână“ und dem lokalen ethnografischen aromunischen Museum „Gheorghe Celea“ organisiert. Das Bildmaterial stammt aus dem Archiv des Bessarabiendeutschen Vereins e. V. in Stuttgart, dem auch die Dobru-dschadeutschen angeschlossen sind und wird für mehr als einen Monat im Foyer der Kulturstätte in Mihail Kogălniceanu verweilen. 

Bei der Vernissage sprachen die seit 2012 amtierende Bürgermeisterin Ancuța-Daniela Belu (PNL), der Historiker Dr. Puiu Hașotti sowie der Vertreter des Bessarabiendeutschen Vereins, Titus Möllenbeck. In ihrem Grußwort äußerte Belu ihre Dankbarkeit für die einstigen deutschen Siedler, die die Ortschaft nach deutschem Muster ordentlich mit breiten Straßen angelegt und zu einem wohlhabenden Dorf entwickelt haben. „Heute leben nur noch sehr wenige Deutsche in Mihail Kogălniceanu.“ Und versicherte, dass die von den deutschen Siedlern errichteten öffentlichen Gebäude, die erhalten gebliebenen sind – die römisch-katholische Kirche, die frühere deutsche und heute rumänische Schule, der katholische Friedhof – von der Lokalverwaltung geschätzt und instandgehalten werden. Zum Schluss rief sie zu einer Gedenkminute für Wilibald Wisoșenschi auf, einen einheimischen Lehrer deutscher und aromunischer Abstammung, ehemaliger Vorsitzender der Kulturstiftung „Mușata Armână“ und Vater der beiden Initiatorinnen der Ausstellung. Dieser hatte sich im Laufe seines Lebens stark für die Erhaltung des deutschen und aromunischen Kulturerbes engagiert und das einzige ethnografische aromunische Museum in Rumänien in seinem Geburtsort gegründet. 

Herkunft und Alltag der deutschen Siedler

Dr. Puiu Hașotti, Historiker, ehemaliger Senator, Ex-Kulturminister und PNL-Parteivorsitzender in Konstanza, erzählte über die Besiedlung der Dobrudscha durch Deutschstämmige aus dem früheren Bessarabien und über die Entwicklung der  Ortschaft Karamurat/Caramurat. Vor etwa 500 Jahren hatten tatarische Stämme aus der Krim die Dobrudscha überfallen und sich auch dort niedergelassen. Namensgeber war der tatarische Herrscher Murat, „der Schwarze“ genannt. Bis zum Unabhängigkeitskrieg 1877/1878, als sich die Dobrudscha mit den Rumänischen Fürstentümern vereinigte, gehörte die Provinz dem Osmanischen Reich an. 

Deutsche Kolonisten, die wegen schweren Lebensumständen ab 1763 auf Einladung der deutschstämmigen Kaiserin Katharina II. (der Großen) ins Russische Reich umsiedelt waren, mussten nach der Aufhebung der versprochenen Privilegien und der Einführung der Militärpflicht an der Seite der Russen Anfang des 19. Jahrhunderts erneut umziehen. Ab 1841 ließen sie sich in drei Wellen aus dem Süden des Russischen Kaiserreichs in der Dobrudscha nieder. Von der Religion her waren die meisten von ihnen Protestanten, doch die erste selbstständige Kolonie in Malkotsch/Malcoci war überwiegend katholisch. 

Im Tatarendorf Karamurat landete 1876 eine Gruppe von etwa 25-30 Familien deutscher Kolonisten ebenfalls katholischen Glaubens aus dem Ort Krasna, Bessarabien, heute in der Ukraine. Diese machten Karamurat zum größten katholischen Siedlungsort der Dobrudscha. Hinzu kamen ab 1878 auch Rumänen aus Siebenbürgen und zwischen den drei Volksgruppen, den Tataren, Deutschen und Rumänen, entstanden harmonische Beziehungen. Zum ersten  Bürgermeister von Karamurat wurde Peter Ruscheinschi vom Präfekten von Konstanza ernannt. 

Mit kennzeichnendem Fleiß bauten die deutschen Siedler Gehöfte und Brunnen, systematisierten das besetzte Gebiet und begannen, Landwirtschaft zu betreiben. Unter anderem bauten sie Weizen, Gerste, Hafer, Mais, Raps und Sonnenblumen an. „Pro 10 Hektar Land, das sie besaßen, hielten sie im Durchschnitt vier bis zehn Pferde, ein bis zehn Kühe, fünf bis sechs Pferde, zahlreiche Hühner und Schafe. Ihre Erzeugnisse verkauften sie in Konstanza oder in den Nachbardörfern“, detaillierte Dr. Hașotti. 

Nicht alle Siedler beschäftigten sich mit der Landwirtschaft. Die Dokumente verzeichnen neben Bauern auch Handwerker im Dorf: „zwei Drechsler, einen Schlosser, drei Zimmerleute, fünf Maurer, zwei Gerber, zwei Schuster, zwei Schmiede, drei Schneider und einen Sattler“. Karamurat verfügte außerdem über eine landwirtschaftliche Bank, Mühlen und Ziegelfabriken.

Auch das geistliche Leben und die Bildung spielten eine wichtige Rolle für die deutschen Siedler, so dass bereits 1881 eine eigene Pfarrei gegründet wurde, in der der Schweizer Kapuzinermönch Willibald Steffen als Pfarrverweser, Priester, Lehrer und Arzt für die Gemeinde wirkte. 1889 kam die Pfarrei unter die Verwaltung der Römisch-katholischen Erzdiözese Bukarest. Kurz nach seiner Entsendung nach Karamurat und der Ernennung zum Pfarrer, begann Emanuel Mierczowski, eine Schule zu bauen. Während der Amtszeit seines Nachfolgers, des italienischen Pfarrers Luigi di Benedetto, wurden mit eigenen Mitteln der deutschen Siedler 1892 das Pfarrhaus und zwischen 1897-1898 eine dem heiligen Antonius von Padua geweihte spätgotische Saalkirche mit Chorturm als Spiegelbild der katholischen Kirche in Malkotsch gebaut.

Dr. Hașotti erwähnte auch eine Reihe bedeutender katholischer Priester, die die deutsche Kolonie Karamurat hervorgebracht hat, darunter Emanuel Kreis, Adolf Isidor Bachmeier, Anton Soehn, Johannes Florian Müller, Barnabas Rujanschi und Hieronimus Menges. „Weniger bekannt ist, dass eine relativ große Zahl deutscher Frauen aus Karamurat, insgesamt 16, Nonnen wurden, darunter Schwester Consolata (geboren als Cordelia Bachmeyer), welche die letzte Leiterin des St.-Marien-Instituts, einer angesehenen Mädchenschule in Bukarest war, bevor diese vom stalinistischen Regime 1945 geschlossen und beschlagnahmt wurde.“

1940 wurden die Deutschen aus der Dobrudscha ins Deutsche Reich unter der nationalsozialistischen Devise „Heim ins Reich!“ zurückgeführt. So verließen die meisten auch dieses Dorf, mit Ausnahme weniger Familien, die es vorzogen zu bleiben. Die verlassenen Häuser wurden von aromunischen Flüchtlingen aus dem damaligen Mazedonien übernommen. 

Ein beneidenswertes Dorf

Trotz ihres relativ kurzen Aufenthalts waren die Deutschen in Karamurat eine tatkräftige Gemeinschaft, die sowohl materiell als auch geistig aktiv war. „Ihr Ruhm erreichte auch die Ohren von König Karl I., der sie zusammen mit Königin Elisabeth besuchte und den Einwohnern sein Wohlwollen und seine Unterstützung in allen Belangen zusagte. Später wurde Karamurat auch von König Ferdinand besucht und ihm zu Ehren wurde der Ortsname in Ferdinand I. umbenannt.“

Der Historiker schloss mit zwei Beschreibungen des Dorfes: Erstere stammt von Raymund Netzhammer, römisch-katholischer Bischof von Bukarest und großer Bewunderer der Dobrudscha, der in seinem Tagebuch am 29. April 1922 fest hielt:„Hier fanden wir bei unserer Ankunft alles echt karamuratisch: die Straßen rein und mit Kränzen und Fahnen geschmückt, drei hohe Triumphbögen aufgerichtet und die Pfarrkirche schmuck herausgeputzt“. Weitere Dorfbeschreibung stammt von dem ehemaligen Bewohner Cornelius Wagner: „Karamurat galt als das größte, reichste und schönste deutsche Dorf in der Dobrudscha. Das Dorf mit seinem prächtigen Menschenschlag, seinem herrlichen Kirchlein, seiner tief religiösen Bevölkerung, seinen schmucken Akazienalleen, seinen weiß leuchtenden, blendend sauberen Häusern und Mauern war ein wahres Schmukkästlein und eine Perle deutschen Siedlerfleißes. Überall Ordnung und Sauberkeit und lachende Farben! Ein Bild, das von Wohlstand, Lebensfreude und von einem Kulturverlangen der Bewohner zeugte .“

Erinnerungen und Kulturerbe

Über ihren Bezug zu Karamurat erzählten auch Titus Möllenbeck, Bildungsreferent und Mitglied im erweiterten Vorstand des Bessarabiendeutschen Vereins, zu dessen Benennung er auch die „Dobrudscha- und Bulgariendeutschen“ hinzufügt,  und Anna Schaal, Seniorentanzleiterin beim Bildungswerk der Katholischen Arbeitnehmerbewegung in Regensburg. Ersterer hat Familienwurzeln und Verwandte sowohl in Karamurat als auch in Malkotsch und organisiert zusammen mit dem Reiseveranstalter Thilo Lothar Krauße seit 13 Jahren Reisen für deutsche Touristen nach Südosteuropa. Beide befanden sich gerade auf der zweiten Entdeckungsreise in der Dobrudscha mit 18 deutschen Touristen. 

Die Vernissage wurde durch ein Folklorerezital von Anna Schaal abgerundet, die in der Familie gesammelte deutsche Volkslieder aus Karamurat von Wanderungen, Liebe, Leid, Heirat und der Mutter Gottes vorsang. 

Im Anschluss durften die Anwesenden mehr als 25 Schwarz-Weiß-Dokumentarbilder bewundern. Diese fingen den Alltag der Deutschen in Karamurat ein, in Familienporträts, Bildern von Gehöften mit Pferden und Schafen, weiß gestrichenen Langhäusern, Gruppenfotos vor Schule, Kirche und bei Festen. Tief berührend die beiden Bilder, die 1940 auf dem Friedhof entstanden: Darauf verabschieden sich die Familien von den Gräbern ihrer verstorbenen Verwandten kurz vor ihrer Zurückführung ins Deutsche Reich. 

Die Ausstellung kann in der Kulturstätte in Mihail Kogălniceanu wenigstens bis Ende dieses Monats werktags von 8 bis 16 Uhr besucht werden.