Eine der wichtigsten kulturellen Institutionen Bukarests befindet sich am Victoria-Platz. Das 1996 mit dem EMYA Preis (bestes europäisches Museum) ausgezeichnete Bauernmuseum (MTR) wurde vor mehr als 20 Jahren wiedergegründet und nimmt immer mehr an Bedeutung zu.
Wer sich vom Stress und dem galoppierenden Rhythmus des Alltags erholen will, kann auf dem Gelände des Museums seine Ruhe finden, besonders weil hier eine Zeitreise möglich ist. In dem Museum an der Kiseleff-Chaussee können die Besucher nicht nur das Leben auf dem Land wiederentdecken, sondern auch die Kindheitserinnerungen lebendig werden lassen. Zeitweilige Ausstellungen werden regelmäßig im MTR organisiert. Ein Museum der Kindheit ist noch im Werden. Vor der Besichtigung des Museums ist ein Gespräch mit der Initiatorin des Projekts angesagt.
Also muss man sich auf die Suche nach Ioana Popescu machen. Neben dem MTR gibt es ein rotes, imponierendes Gebäude, auf dessen Balkon das Büro der Forschungsleiterin improvisiert wurde.
Ihr Aussehen ist sehr angenehm, durch ihre aufrechte Körperhaltung erinnert sie an eine Klavierlehrerin. So wie Porzellanpuppen trägt sie einen blassbraunen Hut und ihr Gesicht ist ernst. So lässt sich die Forschungsleiterin beschreiben, eine ambitionierte Ethnologin mit einer großen Vision: das erste alle Bereiche umfassende Kindheitsmuseum.
Sie erklärt, dass sie und ihre Kolleginnen, die anderen Ethnologinnen, seit langem von einem Museum geträumt haben, das alle Facetten der Kindheit im Detail behandelt. Seit sechs Jahren habe es schon Versuche gegeben. Da es in Rumänien nur einzelne Abteilungen in Museen und im Ausland keine allumfassende Kindheitsmuseen gibt, haben Ioana Popescu, Ana Maria Iuga, Rodica Marinescu, Raluca Minoiu und andere zahlreiche Wissenschaftler sich als Ziel gesetzt, ihren Traum zu verwirklichen.
Virtuelles Museum
Dementsprechend haben sie sich zur Aufgabe gemacht, die Kindheit zu dokumentieren und die Privatsammlungen aus anthropologischer Perspektive zu untersuchen. Eine Reihe von Ausstellungen mit verschiedenen Schwerpunkten zum Thema Kindheit werden zurzeit im Rahmen des Museums der Kindheit organisiert, das von der Europäischen Union finanziell unterstützt wird. Das Projekt dauert zwei Jahre und heuer wurden sieben thematische Ausstellungen geplant. Nächstes Jahr im Mai soll alles fertig sein.
Alle zwei Monate wird eine Ausstellung im Bauernmuseum eröffnet, jede dauert einen Monat. Alle Ausstellungen werden panoramiert, also rundum in zahlreichen Bildern festgehalten, sodass man eine virtuelle Besichtigung im Internet durchführen kann. Das Museum wird nur im Netz zugänglich sein, da es keinen Raum im Bauernmuseum gibt. Auf diese Weise kann es von einem vielfältigen und breiten Publikum besichtigt werden. Durch Klicken kann man alle virtuellen Räume des Museums sehen, zahlreiche Exponate aus privaten Sammlungen anschauen und Wiegenlieder, Kindheitserlebnisse der Kleinen aber auch deren Eltern anhören.
„Childhood. Remains and Heritage/ Kindheit. Spuren und Erbe“ wurde das Projekt betitelt. Es hat das Ziel, lokale Werte und kulturelle Identität im europäischen Rahmen zu übermitteln. Objekte, die bei magischen Ritualen bei der Taufe dienen, der ländliche Ersatz für den Schnuller oder die von der Zeit vergilbte Kleidung sind einige der Exponate, die eine spannende Reise in die Welt der Kindheit sowohl für Kinder und Eltern als auch für Ethnologen versprechen.
Das Konzept
Die größte Herausforderung der Organisatoren ist es, ein alle Bereiche umfassendes Museum der Kindheit zu verwirklichen. Einbezogen werden möglichst viele feste Bestandteile der Kindheit: vom Namen des Kindes bis zu Krankheiten, Erziehung und traditionellen Spielen. Beabsichtigt ist, Kindheitserinnerungen durch Objekte, Bilder und mündliche Berichte wieder zum Leben zu erwecken.
Zu den Zielen zählen nicht nur die Aufwertung der lokalen Unterschiede, sondern auch die gemeinsame Wahrnehmung der Kindheit durch die Menschen. Das Museum fasst nicht nur ländliche sondern auch städtische Traditionen, Vergangenheit und Gegenwart zusammen. Lokale Unterschiede sowie allgemeingültige Sichtweisen über die Kindheit aus verschiedenen Gegenden und Zeiten fließen ineinander. Versucht wird auch, dem Transformationsprozess der betroffenen Objekte chronologisch zu folgen.
Pausenlos erzählt die von ihrem Projekt entzückte Frau über die Entstehung des Museums, das ihr so wichtig ist. Der Aufbau hat mehrere Phasen. Um sich um europäische Finanzierung bewerben zu können, musste das Ethnologinnen-Team internationale Partner finden. Der eine ist die Stadt Lebork aus Polen, in dessen Sammlungen es viel wertvolles Material gibt. Der andere ist der französische Verein „Art Therapy“ (Paris), dessen Zielsetzung sich teilweise mit der des Museums der Kindheit deckt: die Erinnerungen zu stimulieren und durch die Sinne die Welt kennenzulernen.
Das gab Anlass, Traditionen in Polen, Frankreich und Rumänien zu vergleichen. Da Polen in der jüngsten Vergangenheit dasselbe Schicksal wie Rumänien hatte, ähnelt das polnische Inventar der Kindheit sehr dem rumänischen zur Zeit des Kommunismus. Auf der anderen Seite bewahrt Frankreich die städtischen Traditionen. Gemeinsamkeiten zwischen französischen und rumänischen Traditionen kann man eher in der Vorkriegszeit bemerken. Ein weiterer Partner ist das Rumänische Kulturinstitut, das bestrebt ist, eine Wanderausstellung zu organisieren, die durch ganz Europa ziehen soll.
Um eine audiovisuelle Enzyklopädie der Kindheit zusammenstellen zu können, war zunächst ein Jahr Feldforschung und Archivarbeit erforderlich. Erst musste man die Objekte auffinden, einordnen und dann Sammlungen entstehen lassen. Bis jetzt wurden drei Ausstellungen durchgeführt, die das Bild der idyllischen Kindheit präsentieren. Sie haben die Absicht, die Besucher in die (eigene) Kindheit zurückzuversetzen, wirken aber gleichzeitig sehr informativ und bereichernd.
Von der Geburt bis zu ersten Schritten
Die erste Ausstellung behandelte die Geburt des Kindes und versuchte, übermittelten Aberglauben im Zusammenhang mit diesem Ereignis zu thematisieren: wie wurde, zum Beispiel, das Geschlecht des Babys erraten, als die Echografie noch nicht erfunden war.
Die zweite Ausstellung hieß „Die kleine Welt des Kleinkindes“ und bezog sich auf die ersten Lebensjahre des Kindes und die Rituale, die in dieser Periode stattfinden. Wenn der Junge ein Jahr alt wurde, dann wurde ihm eine Haarsträhne abgeschnitten, dem Mädchen wurde ein Brotlaib über dem Kopf gebrochen. Das Kind wurde von seinem Taufpaten gefragt, was es sich wünsche. Das vom Kind ausgewählte Objekt sollte ihm vom Taufpaten geschenkt werden. Das Kind sollte damit, der ländlichen Denkweise gemäß, das Schicksal selbst bestimmen. Ein ähnliches Ritual gab es auch in der Stadt: Das Kind darf aus einer Vielfalt von Gegenständen auswählen, es ist die symbolische Auswahl des zukünftigen Berufes.
Zurzeit erscheint der Raum „Lucia Nicolau“ im Bauernmuseum dem Besucher als eine Insel der stehengebliebenen Kindheit. Die dritte Ausstellung kann bis zum 15. Juli besichtigt werden und zeigt, welche die wesentlichen Bedürfnisse des Kindes sind. Die Schwerpunkte sind Schlaf, Gesundheit, Hygiene und Ernährung. Wie wird dafür gesorgt? Exponate werden präsentiert, die auf dem Land und in der Stadt zu finden sind. Der Unterschied ist riesig: Die Bekleidung des Kindes wurde mit Asche oder hausgemachter Seife im Fluss gewaschen.
Jetzt benutzt man Waschmittel. Man sieht die hausgemachten Seifen in der runden Waschschüssel, die anachronistisch neben modernem Waschmittel liegen. Zum Spülen der Haare nach dem Waschen wurde Essig benutzt, lauten die Erklärungen.
Auf dem Land wurde das Haar mit Seife gewaschen und danach mit Fett geschmiert, das sollte gegen Kopfschmerzen helfen. Gegen Flöhe wurde das Haar mit Essig ausgespült. Aber jetzt ist Glanz wichtiger als Gesundheit.
Die Welt des Dorfes wird durch die Perspektive der traditionellen Mentalität betrachtet – die Gegenstände haben einen magischen Wert bekommen dank der symbolischen Bedeutung für das verletzliche Kind. Kinder durften sich nicht im Spiegel betrachten, damit ihr Leben lang ist und sie vor bösen Geistern geschützt werden. Die Kleinen sollten auch nicht zu klug sein. Über dem Mittelmaß zu sein, wurde nicht als positiv betrachtet. Es ist eine einfache Welt, wo keine Übertreibungen erlaubt sind. Ein außergewöhnliches Schicksal war nicht erwünscht.
Auffallend ist die Schlichtheit des Inventars von Mehrzweckobjekten, die für Kinder speziell gemacht wurden. Den Kindern wurde beigebracht, wie sie diese anzuwenden haben. Holz, Erde, Keramik wurden aber in der Stadt von Plastik ersetzt. Hier gibt es allerlei Variationen, die nicht nur auf technischen Entdeckungen, sondern auf Mode und Trends basieren. Die zeitgenössischen Objekte altern nicht, sie werden durch andere ersetzt. Vorher wurden sie von Generation zu Generation weitergegeben, sie werden immer wertvoller, die ständige Benutzung gibt ihnen einen bestimmten Reiz.
Jeder kann sich im Bauernmuseum die Sehnsucht nach dem heiteren Ort namens Kindheit stillen. Lassen Sie sich doch einmal in Ihre eigene oder die Kindheit von Oma und Opa auf dem Land zurückversetzen. Besuchen Sie das Museum der Kindheit, die Ausstellung kann von Dienstag bis Sonntag zwischen 10 und 18 Uhr im Saal „Irina Nicolau“ besichtigt werden. Der Eintritt ist frei.