Die vor zwanzig Jahren totgesagte deutsche Abteilung des Radu-Stanca-Theaters in Hermannstadt/Sibiu brachte in den letzten Spielzeiten bemerkenswerte Produktionen auf die Bühne. Maßgeblich zu verdanken sind sie zwei Mitgliedern der mittlerweile internationalen Truppe: den Schauspielern Daniel Plier und Wolfgang Kandler. Plier führte zudem bei mehreren Stücken Regie. Da Abteilungsleiterin Anna Neam]u in Babypause ist, übernahm er die stellvertretende Leitung der Sektion und bringt sich zusammmen mit Wolfgang Kandler auch als künstlerischer Berater bei der Wahl von Stücken ein.
Der Luxemburger Daniel Plier (Jg. 1968) wurde am Conservatoire de Luxembourg und an der École Supérieure d’ Art Dramatique Pierre Debauche ausgebildet, er spielte an mehreren Bühnen in Luxemburg und Frankreich und da auch im Festival in Avignon. Der Österreicher Wolfgang Kandler (Jg. 1982) studierte Schauspiel am Franz Schubert Konservatorium für Musik und Darstellende Kunst in Wien und brachte Erfahrung u. a. vom Wiener Volkstheater und den Festspielen in Reichenau mit. Zu den Stücken, in denen beide auftreten, gehört Ken Ludwigs „Millionenschwere Seniorin sucht Erben“ in der Regie von Şerban Puiu, Bert Brechts „Puntila und sein Knecht Matti“ mit Anca Bradu als Spielleiterin und „Shakespeares gesammelte Werke leicht gekürzt“, wo Plier auch Regie führt. Dasselbe tat er im „Tagebuch eines Wahnsinnigen“, in dem Wolfgang Kandler brilliert.
Was hat euch nach Hermannstadt verschlagen?
Wolfgang Kandler: 2007 wurde beim Komödienherbst Niederösterreich von einem österreichischen Regisseur mit rumänischen Wurzeln – Marius Schiener – ein Caragiale in Koproduktion mit dem Radu-Stanca-Theater inszeniert. Zwei Vorstellungen gab es damit auch in Hermannstadt und so kam ich hierher. Mir wurde ein Stückvertrag im von Luise Brandsdörfer inszenierten „Sommernachtstraum“ angeboten und daraus hat sich ein Jahresvertrag ergeben. Der ist bis dato immer verlängert worden und geht momentan bis 2014.
Daniel Plier: Ich bin die personifizierte Kontinuität der europäischen Kulturhauptstadt von 2007. Damals habe ich in Luxemburg in Purcăretes „Metamorphosen” mitgespielt und dabei die Kollegen aus Hermannstadt kennengelernt. Ich fand heraus, dass es da eine deutsche Abteilung gibt, hab mich beworben und wurde genommen.
Habt ihr keine Engagements in Österreich bzw. Luxemburg oder weshalb spielt ihr hier?
WK: Ich bin mehr oder weniger frisch von der Schule hierher gekommen. Als Jungschauspieler nimmt man einfach alles, was man kriegt. Und ich finde, die Qualität ist hier nicht so schlecht, wie geredet wird.
DP: Was ich hier sehr spannend finde ist, dass wir im Weiterentwickeln und im Aufbau sind und neue Sachen machen können. Wir haben noch viele schöne Projekte für die deutsche Abteilung, mit denen wir auch ins Ausland auf Tournee gehen können.
Wie ist die Arbeit am Radu-Stanca-Theater verglichen mit den Theatern, an denen ihr vorher gearbeitet habt?
DP: Ich hab in Frankreich und Luxemburg nicht an Ensemble-Theatern gewirkt, die gibt es dort fast nicht. Im En-suite-Betrieb probst du ein Stück zwei Monate lang, das wird gespielt und damit hat es sich. Von daher ist es für mich neu und spannend in einem Ensemble zu spielen. Das ist eine andere Arbeit, du musst anders rangehen, Spuren legen, Wegweiser machen, um bei der Wiederaufnahme eines Stückes die Spuren wieder zu finden, um in das, was du aufgebaut hast, wieder reinzukommen.
Das Ensemble-Theater hat aber den Vorteil, dass du besser planen kannst. Wenn du freischaffend bist, musst du sehen, wie du die Saison voll kriegst, denn du musst davon leben.
WK: Ich habe als Schauspielschüler am Volkstheater das Ensemble-Theater kennengelernt und den Theaterbetrieb dort, im Unterschied zu hier, als geordneter im Gefühl. Beim Spiel am Ensemble-Theater musst du gut und stark bauen, damit du es nicht über die Spielzeit verlierst. Beim En-suite-Betrieb, den ich von Reichenau kenne, da knallst du das Stück jeden Tag raus und irgendwann fängt das Ding an, sich so zu verselbstständigen, dass du gar nicht mehr denken musst, das musst du nur rausschütteln.
DP: Das Radu-Stanca-Theater hat ein großes Ensemble mit vielen Stücken und ein kleines Gebäude. Eine weitere Bühne wäre schon schön...
WK ... oder eine Probebühne. Über Direktor Constantin Chiriac kann man ja sagen, was man will, aber er bringt schon einiges auf die Beine! Und zu den eigenen Produktionen kommt das Theaterfestival hinzu.
Wenn du nach dem Theaterfestival ins Theater gehst und die Menschen anschaust, also, Augenringe sind eine Untertreibung.
Wie ist die Arbeit an der deutschen Abteilung?
DP: Wir sind schon das kleine Ensemble – was für uns aber auch gewisse Vorteile hat. Du musst nicht fragen, was mach ich in der nächsten Spielzeit, Du weißt, dass du in der nächsten Spielzeit etwas machst. Noch haben wir nicht das Renommee der rumänischen Abteilung, die zum Teil sehr, sehr tolle Stücke bringt, die sie durch die ganze Welt schleifen. Das aber ebenfalls zu erreichen ist unsere Aufgabe in den nächsten Jahren.
WK: Da sind wir beim Problem, was wir vorhin schon angesprochen haben: Die Vision ist groß, das Wollen ist noch größer, nur das Können ist von den Gegebenheiten her einfach begrenzt. Man hat nicht die Möglichkeit zu sagen, OK, jetzt stellen wir einfach noch mal 15 Techniker an, die schicken wir auf Tournee und der Rest des Theaterbetriebs ist nicht beeinträchtigt. Wenn eine Purcărete-Inszenierung auf Tournee ist, laufen nur Kleinproduktionen im eigenen Haus.
Mit dem „Tagebuch eines Wahnsinnigen“ wart ihr auch auf Auslandstournee ...
WK: ... ja, den „Wahnsinnigen“ haben wir nicht nur oft in Hermannstadt, sondern auch in Luxemburg, in Österreich und Deutschland gespielt und im nächsten Jahr geht er wieder nach Österreich zum Festival.
Ist es nicht frustrierend in Hermannstadt zu spielen, wo kaum deutschsprachige Zuschauer zu den Stücken kommen?
DP: Ich finde es spannend, dass in einem 120-Personen-Saal 80 Kopfhörer weg sind. Das bedeutet, es sind 80 Leute gekommen, die nicht in erster Reihe deutschsprachig sind, und die kommen trotzdem, sich das Stück anzuschauen. Ich finde es eine sehr gute Idee, die Stücke mit Übersetzung anzubieten, denn dadurch gibt es ein großes Publikumspotenzial. Wenn wir zum Beispiel den Shakespeare spielen, freue ich mich, dass sehr viele junge Leute mit Kopfhörern da sind.
Spielt ihr lieber Komödie oder ernstere Stücke?
DP: beides.
WK: Die Abwechslungs macht es. Wenn ich dreimal hintereinander „Shakespeares gesammelte Werke“ und dann noch die „Millionärin“ spiele, sehne ich mich nach dem „Tagebuch“ oder „Puntila“, auch wenn sie zwei Stunden gehen und schweißtreibend sind.
DP: Das Schöne ist, wenn man die Leute mitnehmen kann, wenn man in der Komödie spürt, dass sie einen lustigen Abend erleben, oder wenn sie in der letzten Szene im Wahnsinnigen auf die Bühne gezogen werden.
Was ist wichtig, außer dem Text, was macht das Stück aus?
DP: Eine gewisse Wahrheit. Zuschauer, die die Sprache nicht verstehen, reagieren viel sensibler auf die Körpersprache, die erzählt keine Lügen.
WK: Als Schauspieler muss ich dafür sorgen, dass das Publikum die Möglichkeit hat, mir folgen zu können, mir zu glauben, zu merken, ich sage es nicht nur, ich meine es. Nichts ist schlimmer als wenn ein Schauspieler auf der Bühne steht und Text produziert oder warme Luft, wenn du als Zuschauer nicht merkst, der will mit dem, was er sagt, etwas bewirken, den zerreißt es förmlich, der weiß momentan nicht weiter.
Was, wenn das Publikum anders reagiert, als erwartet?
DP: Das kann sehr riskant sein bei einer Komödie. Ich mache eine Pause, weil ich damit rechne, da lacht das Publikum gleich - und es kommt nichts. Das kann peinlich sein. Wie das Publikum reagiert, ist aber sein gutes Recht – und es reagiert unterschiedlich: Einige Zuschauer stärker auf Worte, andere auf Gags.
Ist es hier vorgekommen, dass das Publikum anderes reagiert hat als erwartet?
WK: Eigentlich nicht. Es gibt ab und zu Verzögerungen, aber das lag dann an der Übersetzung. Das sind auch schöne Momente: du lässt die Pointe fallen, es passiert nichts, du denkst, OK..., und dann, du willst grad wieder ansetzen, da kommen die Lacher.
Was ist für die kommende Spielzeit geplant?
DP: Wir produzieren eine Reihe Stücke über den Sommer und Ende September – Anfang Oktober stellen beide Abteilungen in einem Mikrofestival gleich fünf oder sechs Premieren vor. An der deutschen Sektion habe ich die Regie in dem Pastior-Stück von Frieder Schuller übernommen. Den Pastior wird Wolfgang Kandler spielen. Das Stück soll im Oktober herauskommen und dann vielleicht auch gleich in Berlin im Rahmen des Literaturfestivals gespielt werden. Wir proben während des Sommers an „Gegen die Demokratie“ von Esteve Soler, einem rezenten Stück eines jungen katalanischen Autors. Regie wird Alexandru Dabija führen. Der hatte sich „Puntila“ angeschaut und gesagt, die sind nicht schlecht, von daher freut er sich schon auf die Arbeit mit uns. Geplant ist ferner ein Projekt mit Victor Ioan Frunză, dann die Boulevardkomödie „Ein Schlüssel für Zwei” von John Chapman und David Freeman, bei der erneut Şerban Puiu Regie führt, und eine Komödie des Finnen Mikka Myllyao, in dem Johanna Adam, Nathalie Sigg und Anca Cipariu spielen, wobei Johanna Adam auch die Spielleitung übernommen hat.
Wie geht man um mit der Kritik?
DP: Wenn sie gut ist, freust du dich, wenn sie schlecht ist, bist du zwei Tage sauer. Es gibt aber die Kritik, wo ich sehe, da hat sich jemand mit dem Stück auseinandergesetzt, aber er ist anderer Meinung wie ich, das muss ich akzeptieren. Dann kann ich sagen, vielleicht war ich nicht klar genug, oder er hat meinen Punkt nicht verstanden. Es gibt aber auch die fiese Kritik, wo der Kritiker ein Stück einfach so in Grund und Boden stampft. An sich sollte man sich aber immer überlegen, was drin steht und sich damit auseinandersetzen.
WK: Wenn sie fundiert ist, kann ich mit Kritik umgehen, dann muss ich sie akzeptieren. Wenn aber jemand einfach schreibt, der Plier und der Kandler waren heute schlecht, dann kann ich mir nur denken, der Kritiker hatte einen schlechten Tag.
Wie lange bleibt ihr in Hermannstadt?
WK: So lange mich die Hermannstädter auf der Bühne sehen wollen.
DP: So lang sie mich behalten. Bis 2015 auf jeden Fall mal. Und weiter, wenn es klappt und wir noch schöne Sachen machen. Wir haben noch sehr viele Projekte und das freut mich sehr.