Fern der Großstadt Berlin lebte Karl Hagemeister (1848-1933), Sohn eines Obstzüchters aus Werder, von frühen Studienreisen nach Belgien, Holland und Italien und später auch nach Paris abgesehen, in seiner havelländischen Heimatlandschaft – deren spezifische Stimmung suchte er zu erfassen. „Die Stimmung ist die Trägerin des seelischen Elements der Landschaft“, bekannte er. Den Stimmen, die ihm aus der Natur entgegentönten, wollte er mit der eigenen künstlerischen Stimme antworten. Aus dem jeweiligen Stimmungston eines Wald- oder Wiesenstücks, einer See- oder Sumpflandschaft, der Birken am See, des weißen Mohnes, der Seerosen oder der Apfelblüte entwickelte er Licht und Schatten, trug die Farbe in differenziert ausdrucksfähigen, vibrierenden Flecken und Strichen aus reinen – also nicht aus der Palette vermischten – Farben auf. Mit der Grundierung der jeweiligen „Generalstimmung“ ließ er nach und nach das einzelne Detail aus ihr hervor wachsen – das war seine Arbeitsmethode.
So setzte er dunkles Geäst vor hellen Himmel, helle Stämme vor Waldesdunkel, ließ die Ufervegetation vom Wind peitschen oder dünnes Sonnenlicht durch die Bäume schimmern, gestaltete Durchblicke auf Seen und Tümpel, graue Regenstimmungen und die dann auch immer noch helle und tonige Luft in ihren vielfachen Abstufungen, schuf Vorfrühlingsbilder, in denen die Vegetation noch ruht, oder gab Wintermotive mit einer starken Schwarz-Weiß-Wirkung. Hagemeister malte Naturausschnitte, die einer Por-trätauffassung nahekamen.
Das Potsdam-Museum, das selbst über einen repräsentativen Hagemeister-Bestand verfügt, zeigt noch bis zum 6. September – ergänzt durch wesentliche Leihgaben, auch durch bisher der Öffentlichkeit noch nicht vorgestellte Werke aus Privatbesitz – gut 130 Landschaften des „märkischen Corinth“, meist großformatige Gemälde, Pastelle und auch Zeichnungen. Ihnen werden ausgewählte Arbeiten des Weimarer Lehrers Friedrich Preller d. Ä., der Hagemeisters Begabung zum Naturmaler erkannte und förderte, des Freundes, Förderers und Mentors Carl Schuch, der ihn in einer aus den Anschauungen des Leibl-Kreises herrührenden kontrastarmen Tonmalerei bestärkte, und Werke französischer und deutscher Impressionisten hinzugefügt, die ihn aus seiner singulären Existenz lösen und ihn zu einem Wegbegleiter zeitgenössischer Strömungen machen.
Anfang der 1890er Jahre begann Hagemeister die Pastelltechnik zu erproben. Hier gelangen ihm feinste Farbnuancen, Zwischentöne und Übergänge, eine luzide Durchdringung von Luft und Licht. Diese Phase bezeichnete er als „stilllebenartige Anschauung“. Hagemeister war 1910 bis 1913 ordentliches Mitglied der Berliner Secession und beteiligte sich an deren Ausstellungen. Die Entwicklung der modernen Landschaftsmalerei um die Jahrhundertwende wird in der Ausstellung durch Werke von Hagedorns Weggefährten wie Max Liebermann, Lovis Corinth, Max Slevogt, Lesser Ury, Walter Leistikow und andere dokumentiert.
Wie sein Künstler-Zeitgenosse Walter Leistikow bevorzugte Hagemeister Motive von den märkischen Seen; seit 1907 kamen dann auch See- und Küstenbilder von der Insel Rügen hinzu. Lichterfüllte Blau-, Grün- und Ockertöne charakterisieren das Wasser in den wechselnden Wetterstimmungen. Fels- und Strandformationen in wechselnden Farb- und Lichtschattierungen, gezeichnet und gemalt, brandendes Meer, sturmgepeitschte, gischtsprühende Wellen, Steine, bizarre Pflanzen, knorrige Stämme – das sind jetzt keine Landschaftsbilder mehr, sondern sie sind symbolischer Ausdruck des Gefühlten, des inneren Erlebens. Häufig verbindet die Arbeiten das Kompositionsprinzip einer diagonal ins Bild führenden Uferzone, an dem vorderen Bildrand neigen sich Zweige wie bergend über die Fläche, erst durch sie hindurch ist der Blick auf die Landschaft möglich. Im Unterschied zu Leistikow bevorzugte Hagemeister gerade den intimen Ausschnitt, dem die frei bewegte Malweise jedoch den Ausdruck des Wachsens und Werdens verleiht.
Hatte Hagemeister also in der Zeit der Freundschaft mit dem zwei Jahre älteren Stillleben-Maler Carl Schuch einer mehr dunklen Tonmalerei gehuldigt, in der die Landschaft ein monumentales Bild der Stille bot, feierlich und ruhig, mitunter melancholisch, aber auch von ornamentalem Reiz, so konnte er sich bald einer elementaren, rhythmischen, sprühend farbigen oder licht-zarten Ausdrucksweise zuwenden, an die Stelle der gemalten Wirklichkeit allmählich die Wirklichkeit der Malerei setzen. Die Landschaft wurde zum reinen Anlass des Sehens, und das Sehen selbst wurde jetzt gemalt, nicht mehr der Gegenstand. Der Pinsel genügte dem Maler nicht mehr, er nahm die Spachtel, den Handballen, ja den ganzen Ärmel, um seinem leidenschaftlichen Impuls Ausdruck zu verleihen. Hier bereits, vor allem dann aber in seinen Seestücken, in denen es um die elementare Gewalt des Meeres, der steigenden und stürzenden Wellen geht, näherte sich Hagemeister dem Expressionismus an, wie überhaupt im ausschließlichen Naturbild etwas von der unruhigen Zeiterfahrung aufbrach, die selbst den abgeschieden lebenden Künstler erreichte.
Nach mehr als 50 kreativen Jahren entstand nach 1917 dann kaum noch ein Bild von ihm. Doch bis heute haben die ein ganzes Säkulum zurückliegenden Arbeiten Karl Hagemeisters ihre ungeheure Frische und Lebendigkeit behalten.