Der fantasievoll von Marto O‘Sigma gestaltete Einband, auf dem unten links Offenbach am Main als Schild und rechts unten die Abbildung des römisch-katholischen Doms in Temeswar zu sehen ist, verweist auf der schriftlichen wie auch auf der bildsymbolischen Ebene auf eine ungewöhnliche Reise. Es ist die Darstellung des Stoffdrachens auf dem schwarzen Hintergrund des Titeleinbands, der den Betrachter bei dessen vergleichendem Blick auf den Titel des Gedichtbandes zunächst irritiert und ihn zu der Frage bewegt: Geht die poetische Reise der Autorin durch die Heimat hindurch oder verfolgt sie ein bestimmtes Ziel?
Die Biografie von Katharina Eismann gibt darauf in Stichworten eine vorläufige Antwort: 1964 unter Donauschwaben, Ungarn und Serben in Temeswar/Timişoara geboren, 1980 in die Bundesrepublik Deutschland emigriert, in den 1990er Jahren Studium der Slawistik, Übersetzerin für Englisch, Spanisch und Französisch. Dann der „Quereinstieg in ein Kreativunternehmen im Frankfurter Osthafen“ (S. 105), eine stattliche Anzahl von Gedichten, Auftritte auf Kleinstbühnen und eine beginnende Karriere als Organisationsmanagerin. Und nun der Gedichtband von einer Reise mit einem „Paprikaraumschiff, (das) „mein Traumschiff (ist)“. Es ist eine Reise voller Überraschungen, Sascha, Sven und Stolly gewidmet, eingeleitet durch ein tiefgründendes Vor-Wort von Jürgen Eichenauer, Leiter im Haus der Stadtgeschichte in Offenbach.
Er gibt einen umfassenden Einblick in die wechselvolle Geschichte der Donauschwaben, indem er Katharina Eismanns poetisches Schaffen als einen Versuch wertet, von Offenbach aus eine eigenwillige, innovative Betrachtung von Heimat vorzunehmen. Es sind geografische und kulturhistorische Überlagerungen, Ergebnisse von militärgeschichtlichen Verwerfungen und rassistischer Vernichtung. Rostende Gassen in Temeswar, brennende Synagogen in Offenbach, rücksichtslose städtebauliche Eingriffe – die Palette der Einschnitte in die Wahrnehmung der Main-Monopole Offenbach und der Stadt Temeswar an der Bega ist umfassend. Doch Katharinas Gedichte, die aus der oralen Tradition der mittelalterlichen Marktschreierinnen und Marktschreier rühren, verbinden lustvolle Erinnerungen mit scharfer Kritik an den „Sünden“ der nahen Vergangenheit. Das einleitende „Apfelstück aus Offenbach“ beweist es in voller Länge.
Hier spricht kein gefühliges lyrisches Ich, hier geht es von Anfang an um erlebte, fantasievoll aufgeladene Stadtgeschichte. Am Lili-Tempel, jenem vom Ende des 18. Jahrhundert stammenden Pavillon am Main, „hetzt Goethe / im morschen Zaubermantel / durch borstige Schilflieder…“; das Apfelstück am Markthäuschen wird „am Stammtisch der Dialekte“ von zischenden Apfelbetreibern vertilgt; in „Marktsituationen in fünf Akten“ am Offenbacher Marktplatz tauchen Käseminister auf und „der Brotengel hat die mehlige Schürze / von Ostern bis Weihnachten umgebunden.“ Das sind Sahnestückchen, gebacken in der deftigen Tradition von oraler Volkspoesie, gemischt mit Leckerbissen aus urbanen Konditoreien!
Und die Reise nach dem Banat, die Donau entlang, in der visionären Gestalt einer Nomadenbraut? Die überbordende Fantasie und das Gespür für soziale Bruchzonen schaffen immer neue unerwartete Bildfetzen. Da ist es eine Pizzi-Chefin, eine Mafiatante aus „der grünschlammigen / Aktionszentrale / an der Donau“, da „flucht Orban von der Kettenbrücke“ in Budapest und da sitzt ein Mokkafürst in der Josefstadt, einem Stadtteil von Temeswar, „zählt seine Wertpapiere / mit einem Satz / macht er einen Satz nach Balkanova.“ Und die Ankunft in der ungekrönten Hauptstadt vom Banat? Da dröhnt „Balkangepolter“, da rumpelt die Tuba im wilden Getrubel, da „lamentiert der Bräutigam/ wer hat meine Braut entführt / Salto im Lamento.“
Katharinas Vorrat an originellen Wortschöpfungen in Verbindung mit gewagten Bildkombinationen scheint unerschöpflich. Hier kreiert eine Poetin unerwartete Gedankensprünge, ohne schwindlig zu werden, hier überlagert sich Vergangenheit mit einer Gegenwart, in der die Akteure auf ihrem Weg vom Main über die Donau zur Bega ihre eigenständigen Wahrnehmungen von vagabundierender Heimat machen. Es ist eine sich auflösende Heimat, in der die Poetin mit Vehemenz, hoher Kreativität und unbekümmerter Schaffenslust in ihrem „Paprikaraumschiff“ dicht über der sichtbaren Realität fliegend ihre lustigen und gewagten Visionen einer umgedrehten Welt schafft.