Im Rahmen des Evangelischen Kirchentags in Kronstadt/Braşov am vergangenen Wochenende war die Weltpremiere des Werks „Credo in unum Deum“ nicht nur ein Beispiel von hervorragender zeitgenössischer Musik, sondern auch von gelebter Ökumene. Die „Messe von Kronstadt“ – so wird sie unter den Mitwirkenden genannt – wurde am Samstagabend in der feierlich geschmückten Schwarzen Kirche von einem Ensemble von rund 80 Musizierenden aus der Taufe gehoben.
Dabei reflektieren sowohl die Zusammensetzung dieses Ensembles, als auch das Musikstück selbst das multikulturelle, bunte Siebenbürgen.
Allein die Mitglieder des Kronstädter Bachchors – der bei der Premiere die tragende Rolle übernahm – gehören sechs Konfessionen an und sprechen drei Muttersprachen. Im Projektchor kamen am Samstagabend Sänge-rinnen und Sänger aus mehreren evangelischen Kirchenchören (Hermannstadt/Sibiu, Mediasch/Mediaş, Schäßburg/Sighişoara, Sächsisch-Regen/Reghin, Fogarasch/Făgăraş) und der katholische Chor „Lux Aurumque“ aus Szeklerburg/Miercurea Ciuc hinzu.
Die Messe selbst ist in den drei „siebenbürgischen“ Sprachen Rumänisch, Ungarisch und Deutsch verfasst, sowie in den beiden „internationalen“ Sprachen Latein und Englisch. Auch ist sie ein interkulturelles und interkonfessionelles Gemeinschaftswerk: das ungarischsprachige „Kyrie“ stammt aus der Feder des Komponisten Zoltán Szalay (katholisch), das Sanctus heißt im rumänischen Orginal „Sfânt“ und wurde von Şerban Marcu (orthodox) verfasst. Die drei beteiligten evangelischen Komponisten sind Steffen Schlandt (der das deutschsprachige „Gloria – Ehre sei Gott“ komponiert hat), Heinz Acker („Credo“ in lateinischer Sprache) und Brita Falch-Leutert („Agnus Dei – Lamb of God“ auf Englisch). Diese vertreten auch drei für das heutige Siebenbürgen kennzeichnende Gruppen: die Siebenbürger Sachsen, die in der Heimat leben (Steffen Schlandt), jene, die ausgewandert sind (Heinz Acker) und die zugewanderten Wahlsiebenbürger (Brita Falch-Leutert).
Der klassische Rahmen einer Messe wurde bewusst gewählt, um an die Tradition der evangelischen Gottesdienstmusik anzuknüpfen, die ihrerseits durch responsoriale Formeln, Gebete, den gesungenen Segen und die Gesamtstruktur mit der katholischen Messe eng verbunden ist. Abgesehen davon hat die Musik der „Messe von Kronstadt“ jedoch nicht den Anspruch, vergangene Klangtraditionen weiterzuführen, ist aber auch gleichzeitig fern von jeglicher Elfenbeinturm-Haltung, die gerade in zeitgenössischen Werken das Publikum oftmals abschreckt.
Für die Mitwirkenden und den Dirigenten Steffen Schlandt war es gewiss nicht einfach, in relativ wenigen Proben die vier- bis neunstimmige Musik einzustudieren, die erst Mitte März zu Papier gebracht wurde. Die Spannung vor der Weltpremiere, aber auch die Freude, ein neues Musikwerk ins Leben zu rufen, waren am Samstagabend auf der Empore der Schwarzen Kirche überwältigend.
Nach einem musikalischen Auftakt durch das Kinder- und Jugendensemble „Canzonetta“ unter der Leitung von Ingeborg Acker erklang das an mittelalterliche, gregorianische Melodien erinnernde „Kyrie“. Dieses zitiert auch Weisen aus dem „Codex Caioni“, einer aus dem 17. Jahrhundert stammenden, bunt zusammengesetzten Sammlung weltlicher und geistlicher Werke. Zoltán Szalay hat sich dabei erfreulicherweise für Gesangsolisten aus dem Ensemble und für Chorpassagen ohne Instrumentalbegleitung entschieden, was den geheimnisvollen, zurückhaltenden Charakter des Stücks noch mehr unterstreicht.
Das „Gloria“ hingegen spielt mit lebendigen, mitreißenden Rhythmen, großen dynamischen Änderungen und spannungsgeladenen Pausen. Neben den disziplinierten Choristen gaben die Orgel (Amalia Goje) und das Schlagzeug (Kertész János) hier eine Kostprobe ihres Könnens. Rührend war auch das Herzstück des Satzes, ein Choral, der wie auf ein Podest erhoben wirkte und mit großer innerer Ruhe gesungen wurde.
Das „Credo“ ist harmonisch komplex und sehr eng am lateinischen Text komponiert. Worte wie „crucifixus“ (gekreuzigt) und „sepultus“ (begraben) werden von Heinz Acker musikalisch sehr greifbar übersetzt, bei „iudicare vivos et mortuos“ (zu richten die Lebenden und die Toten) wird einem angst und bange, und das Finale mit „exspecto resurrectionem“ (ich erwarte die Auferstehung) wirkt strahlend und heiter wie ein Frühlingshimmel. In diesem Satz, der auch der gesamten Messe ihren Titel gegeben hat, erhielten auch die Solisten Cristina Radu, Carmen Topciu, Răzvan Săraru und Dan Popescu den Raum, ihre mit Verdi-Opern trainierten, vollen Stimmen in einem homogenen Quartett und schönen Solo-Momenten erklingen zu lassen.
Anders als die klassischen Sanctus-Sätze ist „Sfânt“ von [erban Marcu eine wahrhaftige Rhythmusexplosion von spielerischer Leichtigkeit, umso überraschender nach dem leisen, mysteriösen Beginn und der rasanten Steigerung, die in einem an die rumänische Folklore erinnernden „Con gioia, energico“ mündet. Nach der prägnanten, fröhlich und tänzerisch gepunkteten Musik wirkt das „Agnus Dei“ von Brita Falch-Leutert schwebend und tröstlich. Auch dieses inspiriert sich aus alter Musik und verarbeitet Motive aus dem „Kronstädter Cantionale“ (17. Jahrhundert). Die Melismen der Sopranistin und die ruhigen Antworten des Ensembles ergänzen sich gegenseitig, während liturgische Elemente mit der Partitur organisch verbunden sind. So erklang am Samstagabend ein gehaltener Orgelton, während die Gemeinde zusammen mit dem Bischof der Evangelischen Kirche A.B. in Rumänien, Reinhart Guib, und der evangelisch-lutherischen Pfarrerin Enikö Koszta das Vaterunser betete. Auch den Choral „Verleih uns Frieden gnädiglich“ von Martin Luther, der zum Schluss zitiert wird, sangen einige Zuhörer mit. Die „Messe von Kronstadt“ endete zart und introvertiert, mit einem Glockenklang und einem magischen Pianissimo.
Wer nicht dabei war, kann die Messe „Credo in unum Deum“ am 15. Oktober in Szeklerburg hören oder die Videoaufzeichnung der Uraufführung auf der Facebook-Seite der Schwarzen Kirche sehen. Der Kronstädter Bachchor beginnt bald schon die Proben für das nächste große Konzert: Bachs „Matthäuspassion“ im Rahmen der Festspiele „Musica Coronensis“ im Herbst 2018. Das Meisterwerk hatte der frisch gegründete Bachchor 1933 unter Victor Bickerich gesungen – nächstes Jahr erklingt es zum 85. Geburtstag des Kronstädter Ensembles.