Bald sind 160 Jahre vergangen, seitdem Giuseppe Verdis „La Traviata“ uraufgeführt wurde, doch nimmt das Meisterwerk weiterhin einen Spitzenplatz in den Herzen des Opernpublikums ein – das zeigt sich u. a. an den prallvollen Sälen weltweit. Auch in Kronstadt/Braşov waren die Karten bereits zwei Wochen vor der Aufführung am vergangenen Samstag ausverkauft – für ein rumänisches Operntheater außerhalb der Hauptstadt dürfte das die Ausnahme sein. Der Publikumsandrang ist der aktiven und professionellen Öffentlichkeitsarbeit des Opernhauses zu verdanken, sowie in erster Linie der Top-Besetzung – schon seit Jahren bemüht sich die Oper am Fuße der Zinne um wertvolle Solisten im eigenen Ensemble und um namhafte Gastsänger. Auch eine wichtige Neuerung in der Inszenierung, die schon lange im Voraus angekündigt worden war, dürfte das Publikum aufmerksam gemacht haben: Neue Kostüme und ein neues Bühnenbild wurden am 21. April „eingeweiht“.
Die Szenografin Rodica Garştea, die für Kleidung und Dekor verantwortlich zeichnet, erwies sich als Kennerin der Epoche: Die Salons von Violetta Valéry und Flora Bervoix strahlen Wohlstand und Geschmack aus, die Terrasse außerhalb von Paris (im zweiten Akt) ist auch für das Auge ein ruhiges, erholendes Intermezzo – passend zum einzigen glücklichen Zwischenspiel im Leben der Hauptgestalten, im Finale sind das Schlafzimmer mit dem Sterbebett Violettas simpel und würdig, eine diskrete Kulisse die das tragische Geschehen in den Vordergrund rücken lässt. Die prachtvollen Kostüme sind mit der klassischen Inszenierung des Regisseurs Dumitru Tăbăcaru in völligem Einklang.
Und nun zu den Solisten: Cristina Radu gab ein glanzvolles Debüt als Violetta Valéry. Ihre elegante Bühnenpräsenz und die bemerkenswerte schauspielerische Begabung wurden ergänzt von einer bis ins Detail durchdachten Evolution der Figur Violettas – von der Edelkurtisane im ersten Akt zur treuen Verliebten im zweiten und schließlich zur verlassenen, von Krankheit und Trostlosigkeit gequälten „Traviata“ (deutsch „die vom Wege Abgekommene“), die um Erlösung bittet und ihr Ende doch umgeben von ihren Liebsten findet. Cristina Radu zeigt sich nicht zum ersten Mal als große Sängerin und Schauspielerin tragischer Szenen – auch als Margarethe in Gounods „Faust“ gelang ihr vor eineinhalb Jahren eine elektrisierende Darbietung der zwischen „gerichtet“ und „gerettet“ kämpfenden Seele. Stimmlich war der Auftritt der Sopranistin wie immer von der ersten bis zur letzten Note wohlüberlegt und gefeilt, voller Energie und mit beeindruckendem technischem Können. Sie verspricht, eine repräsentative Violetta Valéry zu werden – und arbeitet gewiss verstärkt auch im Sinne einheitlicher Stimmregister. Denn eins muss man noch hervorheben: Sie kann wirklich alles singen. Innerhalb weniger Monate vor „La Traviata“ hat sie unterschiedlichste Opernrollen wie Micaëla (Bizet - „Carmen“), Mimì (Puccini –„La bohème“), Cherubino (Mozart – „Die Hochzeit des Figaro“) übernommen, in der Operette als Gräfin Maritza (Kálmán) debütiert und Mozarts Motette „Exsultate, jubilate“ in der Schwarzen Kirche gesungen. Es folgen Lieder von Berlioz im Rumänischen Athenäum (3. und 4. Mai, 19 Uhr) sowie von Brahms und Debussy im Kronstädter Deutschen Forum, im Rahmen der Apollonia-Hirscher-Preisverleihung (7. Mai, 17 Uhr).
Marius Manea war ein durchaus glaubwürdiger Alfredo Germont, doch stimmlich hörbar indisponiert, vor allem im ersten und teilweise im zweiten Akt. Seine wunderbare Stimmfarbe und die beeindruckende Kraft (Wärme plus Lautstärke) kamen dann während der Ballfeier bei Flora – in den wütenden Momenten und bei der Szene „Di sprezzo degno se stesso rende...“ –, sowie im Finale sehr schön zur Geltung. Marius Manea erfreut sich zu Recht landesweiter Anerkennung und hat wichtige Auslandsauftritte, sogar als Bühnenpartner von Angela Gheorghiu. Man kann sich nur wünschen, dass er seiner außergewöhnlichen stimmlichen Gabe entsprechende Sorgfalt und Verantwortung entgegenbringt.
Adrian Mărcan war in Hochform – seine königliche Darbietung des Giorgio Germont brachte ihm Ovationen auf offener Bühne nach jeder Szene, verstärkt nach der meisterhaft gesungenen „Di Provenza il mar, il suol“. Die väterliche Rolle machte er sich nicht nur schauspielerisch, sondern auch stimmlich zu eigen – er war imposant, unerbittlich, zum Schluss sensibel und reuevoll. Die Kernigkeit und Strahlkraft in seinem Timbre sind von beispielhafter Technik gepaart – man kann sich auf mehr Verdi von ihm nur freuen.
Auch der Chor der Kronstädter Oper war überzeugend im Gesang und im Schauspiel – man merkt ihm die professionelle Chorleitung (Diana Bâldea) an, sowie die Arbeit an der szenischen Bewegung (Nermina Damian). Aus dem Ballettensemble erhielten Iulia und Dorin Coşeriu reichen Applaus. Sehr gelungene Momente gab es in der Orchesterbegleitung – um nur zwei zu nennen: die Explosionen unter „Amami, Alfredo“ oder die tröstend-weinende Klarinette während Violetta ihren Abschiedsbrief schreibt. Der junge Dirigent Traian Ichim weiß genau und „en détail“, wie er die gesamte Musik gestalten will, nur sollten die Musiker immer prompt antworten und die eventuellen Unsicherheiten überwinden. Fazit: ein Event. Wir sind gespannt auf das Wochenende 28.-29. April, mit „L’elisir d’amore“/„Der Liebestrank“ von Donizetti, bzw. „Wiener Blut“ von Strauß.