„Art Safari“, das größte Kunstfestival in Rumänien, findet dieses Jahr zum achten Mal unter der Schirmherrschaft des Kulturministeriums statt und dauert noch bis Sonntag. Die Auflage 2021 der Bukarester Kunstmesse wurde in Partnerschaft mit der Botschaft Japans anlässlich der Hundertjahrfeier bilateraler diplomatischer Verhältnisse und mit der Botschaft des Königreichs der Niederlande organisiert und vereinigt nicht nur klassische und impressionistische, sondern auch neuere Kunst, alles unter der schon vertrauten Marke „Art Safari“.
Die fünf Ausstellungen, von denen der vorliegende Bericht sich mit zwei befasst, werden von drei Gebäuden besonderer Architektur beherbergt, nämlich dem Dacia-România-Palast, dem Gasthof Gabroveni (Str. Lipscani Nr. 86-88), beide in der Bukarester Altstadt, und dem Nicaole-Minovici- Museum (Str. Dr. Nicole Minovici Nr. 1).
Samuel Mützner, ein wahrer Weltenbummler
Der Museumspavillon des Kunstfestivals trägt heuer den Titel „Auf den Spuren von Claude Monet“ und ist dem Bukarester Künstler jüdischer Herkunft Samuel Mützner (1884-1959), dem letzten Vertreter des Impressionismus in unserem Land, wie er vom Maler Ionel Jianu 1947 in der Zeitung „Rampa” genannt wurde, gewidmet.
Mit 19 Jahren reiste Samuel Mützner 1903 nach Paris, wo er ein fünfjähriges Studium an der Académie Julian abschloss, das er 1910 an der „Academie Nouvelle de Peinture“ in Algier, Algerien, fortsetzte.
In Rumänien stellte Mützner 1906 zum ersten Mal aus, 1912 eröffnete er eine Ausstellung im Rumänischen Athenäum mit Werken aus Frankreich und Algerien und begab sich dann auf lange Reisen in exotische Länder. Nach seiner Rückkehr in die Heimat heiratete er 1923 die Malerin Rodica Maniu, die Schwester des Dichters Adrian Maniu. Wohl unter dem Einfluss seiner Frau behandelte Mützner die bäuerliche Thematik und beschäftigte sich gründlich mit dem Alltag des rumänischen Dorflebens. Die beiden arbeiteten zusammen in Șopârlița, dem Heimatort der Familie Maniu in Oltenien.
Ab 1937 wurde Samuel Mützner langsam aus dem öffentlichen Leben fern gehalten und im Herbst 1940 unter dem totalitären Legionärregime aus dem Verband der Schönen Künste ausgeschlossen, wonach er nicht mehr ausstellen durfte. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde die Situation von Samuel Mützner unsicher, als diesmal das kommunistische Regime sein öffentliches Auftreten als Strafe für seine „ungesunde bürgerliche Herkunft“ stark begrenzte.
Ins Rampenlicht der von Kunsthistorikerin Rodica Marian kuratierten Samuel- Mützner-Retrospektive rückt allerdings der Aufenthalt des Künstlers in Giverny nahe Paris 1908-1910, wo er beim Begründer des französischen Impressionismus, Claude Monet, die Werte und Techniken des Impressionismus und von Camille Pissaro, Georges Seurat und Paul Signac jene des Neoimpressionismus erlernte. Jene Zeitspanne, die sowohl die Kritiker als auch Samuel Mützner nicht nur für die eigene Entwicklung, sondern auch für die Ausrichtung der rumänischen Kunst im Allgemeinen für ausschlaggebend halten, ermöglicht die endgültige Öffnung des Wegs in der rumänischen Malerei zu Farbe, Licht und Schwingung. Deshalb wird das Mütznersche Schaffen diachronisch als ein Lichtstrahl, der bis in die Zwischen- und Nachkriegszeit reicht, betrachtet.
Die Spuren des Künstlers führen dann während seines zweiten Aufenthalts 1910-1911 nach Südfrankreich, welcher seine Stärke als begabter Kolorist hervorhebt und anschließend 1912-1919 nach Japan, China, Korea, Sri Lanka, die USA, Venezuela und den Nahen Osten, wo er lange Reisen unternahm und seine Sujets bei vollem Sonnenschein malte. Mützners Errungenschaften als Maler der sonnigen, früher dem Königreich Rumänien angehörenden, heute in Bulgarien gelegenen Küstenstadt Baltschik und seine einheimische Schaffensperiode reichen bis hin zu den jährlichen staatlichen Kunstaustellungen der kommunistischen Zeit der 50er Jahre, als der Künstler trotz der auferlegten Themen Bilder präsentierte, die im vertrauten Stil, den er sich während seiner Jugend angeeignet hatte, realisiert wurden.
Malerei um der Malerei willen
Eine helle Farbenpalette, reine Farben, farbige Schatten, spontane Pinselstriche und kontinuierliche Bewegung kennzeichnen das Mütznersche Werk. Zeitgenosse und Avantgardevertreter Gheorghe Dinu schrieb 1940 in der Zeitung „Timpul“ unter seinem literarischen Pseudonym Stefan Roll, Samuel Mützners Stil sei ein malerisches Spiel von tadelloser Meisterschaft und er betreibe Malerei um der Malerei willen.
Im Laufe seines Schaffens behandelte Mützner voller Lyrik auf seiner Leinwand Szenen mit hellen Sonnenaufgängen, nebligen Weiten, melancholischen Sonnenuntergängen, Gärten, Parks, malerischen Gewölben und Gassen, blühenden Kirschbäumen, Tempeln und Teehäusern, Geishas, Schiffen und Häfen, Fischernetzen, Meeresküsten in Baltschik, rumänischen Dörfern, ländlichen Landschaften, Traubenernten, Weizendreschen, Frauen in kurzen Hosen, Innenansichten verschiedener Gebäude und Stillleben, Aktszenen und Blumen unter freiem Himmel, Blicken auf das alte Bukarest, dem Mo{ilor-Jahrmarkt und dem Ci{migiu-Park.
Constantin Piliuță malt mit „Zenit-Farbe“
Der ebenso charismatisch und lebensfreudig schaffende rumänische Künstler Constantin Piliuță (1923 – 2003) erobert den zentralen Kunstpavillon von Art Safari mit einer besonderen Ausstellung unter dem Titel „Zenit-Farbe“, die von C˛lin Stegerean, Grafiker, Kunstkritiker und Direktor des Nationalen Kunstmuseums in Bukarest, kuratiert wird.
Der in Botoșani geborene Künstler studierte Malerei an der Bukarester Kunsthochschule „Ion Grigorescu“ unter der Leitung des berühmten Malers Alexandru Ciucurencu und beteiligte sich an den wichtigsten Kollektivausstellungen im In- und Ausland.
In dieser Austellung treten jene Themen in den Vordergrund, denen Constantin Piliuță sowohl in der Konzeption als auch durch die künstlerischen Mittel, die in Selbstporträts, Genreszenen, Landschaften und Stillleben mit Blumen zu finden sind, eine originelle Besonderheit geschenkt hat. Seine Darstellungstechnik wurde in den Dienst des Ideals gestellt, das Banale, die Routine oder den Spott hervorzuheben. Deshalb verwendet Piliuță Farben wie Grasgrün, Braun und Erdgrau, je nach seiner grundliegenden Absicht. Seine in blassen Farben gemalten Sujets werden von einem lebhaften Sonnenlicht aus der Höhe des Himmels (Zenit) berührt, das in seinem Fall den Übergang von der Darstellung zur Stilisierung vollzieht.
So erklärt sich der Erfolg seiner Bilder heute, fast 20 Jahre nach seinem Tod, aus seiner Vertrautheit mit dem Geist einer nahen Welt, seiner ruhigen, leicht erträglichen Farbenpalette, der tonisierenden und anregenden Natur seiner Blumenmetaphern und dem anekdotischen Charakter der Landschaften.
Der extrovertierte Zurückgezogene – ein Paradox
In seinen Selbstporträts scheint Piliuță sich nicht allzu ernst zu nehmen und spielt vor dem Spiegel verschiedene Rollen mit entsprechender Mimik. Er sucht nicht das vorteilhafte Bild, sondern versucht, es zu kompromittieren, steckt sich eine Zigarette in den Mundwinkel, präsentiert sich unrasiert, mit zersaustem Haar oder stirnrunzelndem Blick. Piliuțăs Selbstporträts wurden zu einem Tagebuch verschiedener Lebensabschnitte und zum Manifest seines rebellischen Geistes.
Die Tuschezeichnungen von Constantin Piliuță mit Gestalten, die seine Alter Egos zu sein scheinen oder es sogar sind, erweisen sich als wichtiger Teil seines Werks und als eigenes Kennzeichen. Durch die entschiedene schwarze Linie versetzt er die sich kürzlich in der Kneipe neben seiner Werkstatt ereigneten Szenen mit Musikanten, die dem Künstler an seinem Geburtstag singen, Tänzerinnen und Säufern. In der Abwesendheit der Farbe richtet sich das Hauptaugenmerk intensiver auf die dargestellten Gesichter, von denen man nicht weiß, ob sie düster blicken oder sich zutiefst besinnen, und auf andere Gestalten, die offenbar schmollen.
Obwohl seine Bekannten Piliuță als extrovertierten, lebensfreudigen Mensch beschrieben, war er als Künstler zurückgezogen und schuf die beeindruckenden Werke ausschließlich in seinem Atelier und nirgend anderswo. Ein neues Licht auf sein Werk, seine freundliche und versöhnliche Natur sowie die wilden Künstlerpartys wirft Ana Maria Piliu]˛, die Frau des Meisters und ihn überlebend, in einem bei Art Safari präsentierten, gefilmten Interview.
Constantin Piliuță brachte ein Lächeln in die Geschichte der rumänischen Kunst, das entweder als Antwort auf das Spektakel des Alltags oder als Ausdruck der Last, wenn sich die Einfachheit der Welt als ihr Geheimnis offenbart, um den Mund des Beobachters spielt.