Als der Patria-Saal in Kronstadt/Braşov im vergangenen Herbst eröffnet wurde, meinten skeptische Stimmen, die Bühne sei zu groß, die Einrichtung zu wenig atmosphärisch, der 450-Plätze-Saal zu schwer zu füllen. Dass erfreulicherweise nichts davon zutrifft, zeigten am Dienstagabend acht Musiker aus der halben Welt mit einer „Jazzreise zur Seele der rumänischen Folklore“, wie der Untertitel des Konzerts lautete. Der Musikabend war die erste Station der Tournee „Roots Revival Romania“ („Wiederentdeckung der Wurzeln“), die anschließend auch nach Klausenburg/Cluj-Napoca und Temeswar/Timişoara führte. Am morgigen Samstag findet die Abschlussdarbietung im Bukarester Radio-Saal (19 Uhr) statt.
Das Projekt „Roots Revival“ wurde voriges Jahr ins Leben gerufen und damals thematisch der Maramuresch gewidmet. Das gleiche Konzept wurde heuer übernommen: Sieben Musiker aus sieben Ländern, die sich kaum bis gar nicht kennen, reisen wenige Tage vor Tourneestart nach Rumänien, proben einige Male zusammen und bieten dem Publikum – gemeinsam mit einer einheimischen Volksmusik-Sängerin – zwei Stunden hochkarätiger Jazz- und World-Music-Improvisation zu rumänischen Folklore-Themen. Zum Motto wurden in diesem Jahr die Lieder von Maria Tănase gewählt.
Auf der in Kerzenlicht getauchten Bühne leitete die Gastsängerin Maria Casandra Hau{i mit einem eindrucksvollen Solo den bunten musikalischen Kulturen-Mix ein – und schon war klar, dass sich der Abend nicht an ein verkopftes Avantgarde-Jazz-Publikum wendet, sondern unmittelbar an Herz und Seele. Die Maramurescher Melismen wurden nahtlos von Mehdi Aminian (Iran) auf dem Ney, einer orientalischen Längsflöte, übernommen und entfaltet. Mit erstaunlicher Virtuosität und Leichtigkeit setzten die beiden Schlagzeuger (Aleix Sabater aus Spanien und Ruven Ruppik aus Deutschland) ein, die das ganze Konzert über eine unfassbare Rhythmenvielfalt und eine ansteckende Freude hervorbrachten. Samtige, erdige Geigenklänge, die mit dem Grün und Braun der Bühne harmonierten, steuerte die irische Geigerin Meg Hamilton bei, die musikalisch einen lebhaften Dialog vor allem mit ihrem armenischen Kollegen Emmanuel Hovhannisyan (Duduk) und dem Oud-Spieler Mehmet Polat aus der Türkei führte. Nach dreißigminütigem Schweigen schloss sich auch die Sängerin Monica Mădaşan, eine „Halb-Siebenbürgerin-halb-Oltenerin aus Großbritannien“, wie sie sich selbst bezeichnete.
Das ganze steigerte sich zu exzellenten Umdeutungen von Maria Tănases Glanznummern „Lume, lume“, „Ciuleandra“ oder „Mărie şi Mărioară“. Erstaunlich war die Selbstverständlichkeit, mit der sich unterschiedlichste musikalische Traditionen unter dem Hut der rumänischen Folklore bündeln lassen. Man kennt als einheimischer Zuhörer die alten Weisen ziemlich gut – und ist umso überraschter, wenn nicht der gängige harmonische Unterbau hinzukommt, sondern ein recht exotischer, eine Art interkulturelle Übersetzung des archaischen Orients für das moderne Ohr. Bewundernswert ist auch die schlichte, natürliche Kommunikationsweise der Musiker – als hätten sie wochenlang in Voraus gemeinsam geprobt. Wer sich das Experiment des Vorjahrs anhören möchte, kann die frisch veröffentlichte CD „Roots Revival Romania – Chapter one: Maramureş“ u.a. in den Buchhandlungen Cărtureşti erwerben.