Eine traurige Geistergeschichte

Zur Premiere von „Falsche Schlange” an der deutschen Abteilung des Radu-Stanca-Theaters Hermannstadt

Johanna Adam (l.) und Emöke Boldizsár (r.), die Schwestern Chester

Anca Cipariu und Emöke Boldizsár in „Falsche Schlange“.
Fotos: Sebastian Marcovici

„Kann eine Geistergeschichte uns Einblick in die menschliche Natur geben?“ fragt Sir Alan Ayck-bourn. Er ist der Autor von „Falsche Schlange“ (Originaltitel „Snake in The Grass“), ein Stück, das am Samstagabend seine Premiere an der deutschen Abteilung des Radu-Stanca-Theaters erlebt hat. Der britische Dramatiker ist für seine Theaterkomödien und Farcen bekannt, in denen „die menschlichen Schwächen der englischen oberen Mittelschicht im Umgang miteinander“ (so Wikipedia) aufs Korn genommen werden. Dass das mittels Geister- oder geisterhaften Geschichten geschehen kann, beweisen die zahlreichen britischen Krimis.

In seine Geschichte hat Ayckbourn sehr viele (völlig verharmlost gesagt) „menschliche Schwächen“ gepackt, das Ergebnis sind Mord, Erpressung, Erbschleicherei, Vergewaltigung minderjähriger Kinder, Gewalttätigkeit in der Familie, Alkoholismus und Betrug. Inszeniert wurde die Schauergeschichte in wunderschönem Ambiente im Festsaal der Astra-Bibliothek (wohin das Radu-Stanca-Theater mit den Studio-Aufführungen ausweichen musste, weil das Gewerkschaftskulturhaus die Brandschutz-Genehmigungen nicht hat) und einem von Alin Gavrilă ideenreich geschaffenen Bühnenbild: Das Puppenhaus suggeriert die gespielte Infantilität der Hauptdarstellerin, aber auch das Vaterhaus, um das herum die Intrige gesponnen wird, der Brunnen sieht einem Grab sehr ähnlich und hält als solches (vorübergehend) her, die Schattenwand bietet nicht bloß die Möglichkeit, den Spuk am Tennisfeld zu suggerieren, sondern auch die dargestellten Gefühle durch Synchronspiel und Farbenwechsel zu intensivieren und den Mord nicht vor den Zuschauern geschehen zu lassen. Die sonstigen der oben angeführten Gräueltaten werden übrigens größtenteils auch nur erzählt.

Wie es die britischen Krimis so in sich haben, hat der Plot der Story einen unvorhersehbaren Verlauf. Annabel Chester – in gewohnt souveräner Art von Emöke Boldizsár dargestellt – eine vermeintlich erfolgreiche Geschäftsfrau, kommt nach 15 Jahren in den Heimatort, um das ihr vom Vater hinterlassene Erbe anzutreten. Dessen ehemalige Krankenschwester Alice Moody – recht gut von Ana Cipariu gespielt – versucht von ihr jedoch hunderttausend Pfund zu erpressen, ansonsten würde sie der Polizei verraten, dass Miriam, Annabells jüngere Schwester – überzeugend von Johanna Adam dargestellt – den Vater umgebracht hat. Dem sich entwickelnden Intrigenspiel ist Annabel, die sich gerade erst von ihrem letzten Herzinfarkt erholt hat, nicht gewachsen und erliegt einer neuerlichen Herzattacke. Das naive Schwesterchen Miriam entpuppt sich am Ende der überraschungsreichen Geschichte als perfide Ränkeschmiederin, eben als falsche Schlange. Die eindrucksvolle Inszenierung des Gruselstückes ist Regisseur Rafael David Kohn zu verdanken.

Der Luxemburger, selbst auch erfolgreicher Autor von Stücken und Hörspielen, der in Trier (Politikwissenschaften und Geschichte) und Berlin (Szenisches Schreiben an der Universität der Künste) studiert hat, wurde vom Leiter der deutschen Abteilung, Daniel Plier (bekanntlich ebenfalls Luxemburger), nach Hermannstadt geholt. Hier hatte er vor drei Jahren als Regie-Assistent bei Vlad Massaci gearbeitet und danach die Regieassistenz bei einer Yuri Kordonsky-Inszenierung am Stadttheater Esch-sur-Alzette in Luxemburg inne gehabt, ist also mit dem Radu-Stanca-Theater längst vertraut. Gelungen ist Kohn nicht bloß eine sehenswerte Vorstellung, sondern auch, was sich die Theatergäste der deutschen Abteilung schon lange wünschen: Johanna Adam mal in einer anderen Rolle als der zickigen Tussi zu sehen. Den Wandel vom Dummchen zur kaltschnäuzigen Mörderin brachte sie sehr gut. Und alle Darstellerinnen sprachen (fast) akzentfreies Deutsch, was auch auf den vom ifa entsandten Sprecherzieher Tim Schüler zurückzuführen ist. Dessen Aufenthalt an der deutschen Bühne ging im Dezember zu Ende, doch hat Plier einen neuen Antrag beim ifa gestellt, um die Truppe sprachlich weiter fortbilden zu lassen. Oder sprachlich zu vereinheitlichen.   Eine nächste Vorstellung der „Falsche(n) Schlange“ findet am Dienstag, den 29. März, statt.