(Fortsetzung von Teil 1 und Teil 2)
Eminescu setzte in Wien die bereits in seiner rumänischen Heimat begonnene Übersetzungsarbeit an Theodor Rötschers Werk „Die Kunst der dramatischen Darstellung“ (Arta reprezent˛rii dramatice) fort. Die Arbeit des Hegelianers Rötscher hatte den künstlerischen und ästhetischen Werdegang des Dichters wesentlich geformt und tiefgreifend geprägt. Der vollständige Titel der Arbeit lautet: „Die Kunst der dramatischen Darstellung. In ihrem organischen Zusammenhange wissenschaftlich entwickelt“. In Eminescus Übersetzung fehlt das Kapitel „Die körperliche Beredtsamkeit“ (Elocvența corpului). Die Arbeit hat einen praktisch-angewandten Charakter. (Vgl. Rotaru, Ion: „Eminescu, traducător al unei cărți de teatru“)
Es bedarf einer speziellen Begabung
Unter Eminescus zahlreichen aus dem Wiener Aufenthalt stammenden Aufzeichnungen fand man auch interessante Theaterprojekte, die jedoch nie einer Verwirklichung zugeführt werden konnten; so den Einakter „Emmi – Amor pierdut – Viață pierdută“, wobei Emmi als Bezug zum Namen des Dichters selbst verstanden werden könnte. Dieser Einakter fußt nach Aussagen des Dichters auf demselben Motiv wie Alecsandris Gedicht „Emmi“. Die Handlung führt uns in das Jahr 1855, und einer der Helden des Stückes ist Vasile Alecsandri höchstpersönlich. Außerdem unternahm Eminescu Dramatisierungsversuche der Gedichte „Decebal“ und „Înger și demon“; arbeitete an Projekten mit historischem Hintergrund, wie etwa „Ștefan cel Mare“, „Petru Rareș“ und „Alexandru-vodă“; letzteres ist eine dramatisierte Ballade mit zahlreichen Männer- und Frauen-Chören, die Bezug auf die Zeit Alexanders des Guten (Alexandru Cel Bun) nimmt. Die Auseinandersetzung zwischen Alexandru und seiner Frau Ringala um die Rolle ihres Sohnes in dem Komplott gegen seinen Vater sollte im Mittelpunkt der Handlung stehen.
Als Eminescu im September 1871 vom Schriftsteller Ioan Pop-Florantin, der damals ebenfalls in Wien weilte, gefragt wurde, ob er, Eminescu, sich auch mit dramatischen Stoffen befasse („Dacă nu lucreaz˛ în dramă?“), soll der Dichter geantwortet haben, dass es dafür einer speziellen Begabung bedürfe („Pentru aceasta se cere talent special“). (Massoff, Ioan: “Eminescu și teatrul”)
Bezüglich seiner Tätigkeit auf dem Gebiet der Dramaturgie gesteht der Dichter in einem Brief (vom 11.02.1871) an Iacob Negruzzi:
Port și eu acum ceva: o dramă epică, din care însă n-am scris pînă acum nici un șir. Nu sînt înc˛ în clar nici cu forma, nici cu fondul, nici cu părțile singulare, nici cu raportul în care acestea să stea. Însă tare-mi pare mie că va rămîne în veci nescrisă. (Torouțiu, E.: “Studii și documente literare”)
Ich trage etwas in mir: ein episches Drama, wobei ich aber noch keine einzige Zeile daran geschrieben habe. Ich bin mir hinsichtlich der Form, des Inhalts und selbst mit den Einzelheiten noch nicht im Klaren, auch nicht damit, in welchem Verhältnis diese miteinander zu stehen haben. Mir scheint, dass dieses Drama für ewige Zeiten ungeschrieben bleiben wird.
Interessant sind auch seine beiden folkloristisch konzipierten Theaterstücke „Împărăteasa und Cenușotca“ – eine Art Aschenbrödel, das die Zeit Alexandru Lăpușneanus hätte beleuchten sollen.
Der Lyriker
In Wien entfaltete der Dichter aber auch eine bedeutende Tätigkeit im Bereich der Lyrik. Aus Wien sandte er an „Convorbiri Literare“ die Gedichte „Venere și Madon˛“ und „Epigonii“. Ende Jänner 1871 gingen an dieselbe Redaktion „Mortua est“, „Înger de Paz˛“ und „Noaptea“ ab. Eminescu kehrte Anfang September 1872 in die Heimat zurück, und er trug weitere Früchte seines ertragreichen literarischen Schaffens in seinem Gepäck: die Novelle „Sărmanul Dionis“, Fragmente aus dem umfangreichen Poem „Panorama Deșertăciunilor“oder „Memento Mori“, ferner die Gedichte „Înger și Demon“ und „Floarea Albastră“. Ebenfalls in Wien war auch das Konzept für sein sozialkritisches Poem „Împărat și Proletar“ entstanden, dessen erster Teil den Titel „Proletarul“ trug und sich mit der Niederschlagung der Pariser Kommune beschäftigte.
Verortung Eminescus in Wien
Bezugnehmend auf die räumlichen Gegebenheiten, in denen Eminescus Wien-Aufenthalt zu sehen ist, wurde eingangs bereits darauf hingewiesen, dass der Dichter die Lehrveranstaltungen im alten Universitätsgebäude (heute Sitz der Österreichischen Akademie der Wissenschaften) am Dr. Ignaz-Seipel-Platz in der Inneren Stadt besucht hatte. Von der alten Universität gelangte man in südöstlicher Richtung, den Wien-Fluss überquerend, in den 3. Wiener Gemeindebezirk Landstraße. Eminescu mag wohl über die heute nicht mehr existierende Stubenbrücke oder über die Marxerbrücke seinen Weg in Richtung Adamsgasse, Gärtnergasse, Kollergasse u. a. gegangen sein, denn dort wohnte er zusammen mit anderen rumänischen Studenten. Gleich nach seiner Ankunft in Wien – wie eingangs erwähnt - war Eminescu jedoch im 9. Wiener Gemeindebezirk, in der Porzellangasse Nr. 9 abgestiegen. Eine Gedenkplatte, die im Mai 1951 von der Österreichisch-Rumänischen Gesellschaft gestiftet wurde, hatte darauf hingewiesen, dass Eminescu im Jahre 1869 hier gewohnt hat.
Im 3. Bezirk verbrachte er jedoch die meiste Zeit seines Wiener Aufenthaltes. So ist bekannt, dass der Dichter auch in der Radetzkystraße bzw. in der Dianagasse Nr. 8 zusammen mit Samoil Isopescu und Iancu Cocinski gewohnt hat. Stellvertretend für alle diese Adressen im 3. Wiener Gemeindebezirk hat der Rumänische Schriftstellerverband im Jahre 1965 an dem Haus Nr. 3 in der Kollergasse eine Gedenktafel mit folgender Inschrift angebracht:
In diesem Haus wohnte von April bis Oktober 1871
der große rumänische Dichter Mihai Eminescu.
gezeichnet: Der Schriftstellerverband der Rumänischen Volksrepublik.
Im Herbst 1871 finden wir den Dichter im Hause Nr. 5 in der Schaumburggasse im 4. Wiener Gemeindebezirk Wieden. Im nächsten Frühjahr übersiedelte er abermals in den 3. Bezirk in die Gärtnergasse.
Süße Veronica...
Der Winter des Jahres 1871/72 bedeutete für Eminescu eine harte Zeit: Der Dichter erkrankte schwer und lag drei Wochen darnieder. Von seinen Kollegen – Medizinstudenten – gepflegt, erholte er sich erst im Februar 1872. Geldmangel und andere Erschwernisse brachten den Dichter in eine bedrängte Lage. Nun war er aber fest entschlossen, die Lehrveranstaltungen an der Universität wieder zu besuchen, und so inskribierte er abermals, nach einer Unterbrechung von über einem Jahr.
Der Wien-Aufenthalt hatte für das Seelenleben des Dichters vielleicht die entscheidende Wende, die weite Teile seines dichterischen Schaffens zu beflügeln vermocht hatte, herbeigeführt: die Begegnung mit seiner späteren Freundin auf Lebenszeit, mit Veronica Micle, selbst Dichterin und Frau des Professors [tefan Micle, des Rektors der Universität Jassy/Iași.
Im Frühjahr 1872 war Veronica Micle in Begleitung ihres Gemahls zu einer ärztlichen Behandlung nach Wien gekommen. Um raschestens auf Eminescus Fährte zu gelangen, stieg sie in der Pension Löwenbach ab, wo der Dichter früher einige Zeit logiert hatte. In der Eminescu- bzw. Veronica-Micle-Literatur ist man sich hinsichtlich der ersten Begegnung der beiden uneins. Vieles scheint aber darauf hinzuweisen, dass ihre erste Begegnung in Wien stattgefunden haben könnte. So schreibt Veronica Micle in ihrem Brief vom 20. August 1879 an Eminescu:
Cunoscîndu-te la Viena, modestia și mai ales darul de a povesti vesele întîmplări din viața marilor gînditori m-a făcut să-ți port respect. Șase luni, cît am stat în capitala austriacă, mi s-au părut șase zile. Îți aduci aminte cînd te-am cunoscut pentru întîia oar˛ la doamna Löwenbach, gazda mea?
(Sanda, George: “Veronica Micle”)
Als ich Dich in Wien kennenlernte, beeindruckten mich Deine Bescheidenheit und Deine Gabe, lustige Geschichten aus dem Leben der großen Denker zu erzählen, was mir dann auch Respekt eingeflößt hatte. Die sechs Monate, die ich in der österreichischen Hauptstadt verbracht hatte, kamen mir vor wie sechs Tage. Erinnerst Du Dich noch daran, als ich Dir bei Frau Löwenbach, meiner Gastgeberin, zum ersten Mal begegnet bin?
Es bleibt ungeklärt, ob Eminescu die Pension zufällig besucht und bei dieser Gelegenheit Veronica Micle kennengelernt hat oder ob der Dichter – im Falle der bereits bestehenden Bekanntschaft – die Pension gezielt aufgesucht hat, um Veronica Micle wiederzusehen. Es könnte auch sein, dass Veronica Micle den Dichter wiedersehen wollte, und schließlich gibt es noch die Möglichkeit, dass die Besitzerin der Pension, Frau Löwenbach, Veronica Micle den Dichter als Begleiter in der ihr, Veronica Micle, fremden Stadt empfohlen haben könnte.
Ștefan Micle schätzte Eminescu und war später dessen Vorgesetzter, als der Dichter Direktor der Zentralbibliothek in Jassy (1874) und Schulinspektor wurde. Eminescu wurde von Ștefan Micle in verschiedene Prüfungskommissionen berufen: so z. B. in die Kommission an der Normalschule Vasile Lupu – am 26. Dezember 1874 – (Vorsitzender war Samson Bodnțrescu). In der Kommission, die dem Wettbewerb zur Besetzung der vakanten Posten im Lyzeum zu Boto{ani vorstand, war Eminescu neben Ștefan Micle u. a. ebenfalls vertreten.
Ioan Slavici hält in seinen Amintiri (Erinnerungen) Folgendes fest:
Aflasem încă de la alții că (Eminescu, Anmerkung H. D.) ți-a fost recomandat unei doamne de la Iași ca însoțitor la vizitarea ora{ului
Ich hatte schon von anderen erfahren, dass Eminescu einer Dame aus Jassy als Begleiter bei der Stadtbesichtigung empfohlen worden war
Noch ehe Veronica Micle den Dichter persönlich kennengelernt hatte, dürfte sie ihn bereits schon irgendwo gesehen haben. Eminescus Gedichte waren ihr jedenfalls bekannt und selbst ein Photo des Dichters besaß sie bereits. So scheint es nicht verwunderlich zu sein, wenn Veronica Micle in ihrem Gedicht „M-am gîndit…“ schreibt:
M-am gîndit cu drag la tine pîn˛ nu te-am cunoscut,
Te știam numai din nume, de nu te-aș mai fi știut
ți-am dorit să pot o dată să te văd pe tine eu,
Să-ți închin a mea viață, să te fac idolul meu.
Gerne dachte ich an Dich, ehe ich Dich richtig kannte,
Deinen Namen wusste ich, wenn ich ihn doch niemals nannte.
Und ich wünschte inniglich, einmal nur möcht’ ich Dich sehen,
Will mein Leben schenken Dir, Dich als mein Idol anflehen.
Beide waren gleichaltrig und zählten 22 Jahre. Beide schrieben Gedichte, wenn auch auf verschiedenen geistigen Ebenen, und beide erfreuten sich des sie verbindenden Gefühls: der Liebe. Wie innig diese Beziehung heranreifen sollte, so schicksalhaft musste für Eminescu und für Veronica Micle das Leben und groteskerweise auch dasselbe Todesjahr – 1889 – für beide werden: Am 15. Juni verstarb Eminescu, am 3. August Veronica Micle.
Was damals in Wien an gegenseitiger Begeisterung begonnen hatte, sollte in ihrer Einmaligkeit in die Geschichte der rumänischen Literatur und da-rüber hinaus eingehen und wird wahrscheinlich über Zeiten noch unzählige Wissenschaftler und Forscher zu beschäftigen und zu begeistern wissen.
(Ende)