Über 400 Museen und 3000 Kulturstätten von Weltrang gibt es in der Ukraine. Seit Putins Angriffskrieg begonnen hat, werden internationale Versuche unternommen, die Kulturschätze des Landes zu retten. Denn wenn Kulturerbe gefährdet ist, geht es nicht nur um die kulturelle Identität eines Landes, sondern auch um das Erbe der ganzen Menschheit, zitiert die Deutsche Welle (DW) den Generalsekretär der deutschen UNESCO-Kommission, Roman Luckscheiter.
Sieben Welterbestätten stehen in der Ukraine auf der Liste der UNESCO. Akut vom Kriegsgeschehen gefährdet sind die Sophienkathedrale – im 11. Jh. erbaut, um der Hagia Sophia in Istanbul Konkurrenz zu machen -, das nahe Höhlenkloster Lawra Petschersk in Kiew, aber auch das historische Stadtzentrum in Lwiw oder die antike Stadt Chersonesus am Schwarzen Meer im Südwesten der Halbinsel Krim. In Kiew gibt es auch eine Sammlung jüdischer Volkslieder vom Beginn des 20. Jh., Teil des Weltdokumentenerbes der UNESCO, so Luckscheiter.
Neben den großen Welterbestätten sind weitere Kulturgüter in Gefahr. Der ukrainische Historiker Konstantin Akinscha verweist im Interview mit der DW auf die bereits zerstörte Stadt Tschernihiw mit Denkmälern aus dem 10. bis 12. Jh. Und auf Charkiw, „Hauptstadt des ukrainischen und sowjetischen Konstruktivismus” - womöglich bereits schwerer beschädigt als im Zweiten Weltkrieg.
Kulturgüter sind auch im Kriegsfall durch die Haager Konvention völkerrechtlich geschützt, - und zwar nicht nur das UNESCO-Welterbe. „Auch Russland ist Mitglied der Haager Konvention und zum Schutz von Kulturschätzen, auch im Krieg, verpflichtet. Wenn die russische Armee also Kulturerbe zerstört, kann sie dafür am Internationalen Strafgerichtshof für Menschenrechte in Den Haag belangt werden”, heißt es weiter auf DW. Zum Beispiel habe die Zerstörung der Weltkulturerbestätte Timbuktu in Mali zu einer Verurteilung mit mehrjähriger Gefängnisstrafe geführt.
Ob dies Putin abschreckt, Kulturerbe in der Ukraine gezielt zu zerstören, ist freilich zu bezweifeln. Denn: „Beim Krieg in der Ukraine gilt der Angriff der russischen Truppen auch dem nationalen Erbe des Landes - mit ihm soll die Identität der Ukraine getroffen und nach Putins Willen am besten auslöscht werden“, heißt es in dem Bericht des Senders NDR „Russlands Angriffskrieg: Ukraines Kulturgüter in Gefahr“. Zwar wisse man noch nicht, inwieweit es sich bei den Zerstörungen durch die russische Armee in der Ukraine tatsächlich um Ethnozid handelt – also um die gezielte Zerstörung materiellen Kulturerbes, wie Experte Alexander Gatsche von der Internationalen Organisation Blue Shield zum Schutz von materiellem und immateriellem Kulturgut in Konflikt- und Katastrophengebieten erklärt. Allerdings, räumt dieser ein, habe Putin in seiner Ansprache vom 24. Februar der Ukraine das Nationalrecht aberkannt – und damit eine ukrainische Identität. „Sollte es sich tatsächlich um einen sogenannten Ethnozid handeln, dann wäre das eindeutig ein Kriegsverbrechen.“ Wenn auch nur eines von vielen…
Anfang März wurde das lokale Geschichtsmuseum von Ivankiv, 80 Kilometer nördlich von Kiew, von den russischen Invasoren in Schutt und Asche gelegt, berichteten die ukrainischen Behörden. Dort waren 25 Bilder der ukrainischen Volkskünstlerin Maria Prymachenko (1908-1997) ausgestellt. Die Information ist inzwischen durch Satellitenbilder bestätigt, schreibt die New York Times. Und ein Mitglied des ukrainischen Außenministers bedauert: Die 25 Bilder der „Ausnahmekünstlerin von Weltrang“ sind bei dem Angriff verbrannt. „Ein unersetzlicher Verlust“, sagt Oksana Lyniv, die erste Ukrainerin, die eine Oper auf den Beyreuther Festspielen dirigierte, gegenüber Spotmedia. Und James Cuno, Direktor des Museums J. Paul Getty Trust in Los Angeles, kommentiert: „Unter den zahllosen Monstrositäten, die in der Ukraine in den letzten Tagen begangen wurden, haben die russischen Kräfte begonnen, ukrainisches Kulturerbe zu zerstören.“
Museen im Westen versuchen verschiedenen Meidenberichten zufolge ihren ukrainischen Kollegen zu helfen: Mit Lastwägen wird außer Landes gebracht, was gerettet werden kann. Die Kunstschätze gelangen aus Charkiw, Kiew oder Odessa erst einmal nach Lwiw, von dort sollen sie weiter in den Westen gebracht werden, zum Beispiel nach Polen oder Deutschland, hieß es noch Mitte März. Viel zu spät habe man damit begonnen, räumen die Experten ein, viel zu spät den Ernst der Lage erkannt. Und: Das Unterfangen ist brandgefährlich, die Konvois bieten auf den offenen Straßen ein allzu sichtbares Ziel.
Noch sind die Augen der Welt geschockt auf rauchende Trümmer und Flüchtlingskinder gerichtet. Doch die traumatischen Nachwirkungen auf anderen Ebenen werden nicht ausbleiben.