Am letzten Freitag des Monats März war der amerikanische Dirigent Cristian Măcelaru mit einem erlesenen sinfonischen Programm im Saal des Rumänischen Rundfunks zu Gast. Gemeinsam mit dem Nationalen Rundfunkorchester interpretierte er zwei Instrumentalwerke von Pjotr Iljitsch Tschaikowsky und ein Werk für Sopran und Orchester von Richard Strauss, dessen Geburtstag sich in diesem Jahr zum 150. Male jährt.
Der 33-jährige Cristian Măcelaru entstammt einer rumänischen Musikerfamilie. Als jüngstes von zehn Kindern wuchs er von Anbeginn an in ein musikalisches Leben hinein und erlernte sehr früh das Geigenspiel, das er bereits in seiner Jugend perfektionierte. Mit 17 Jahren verließ er sein Heimatland, um schon bald in den Vereinigten Staaten von Amerika großen Erfolg zu haben. Mit 19 Jahren war er der jüngste Konzertmeister des „Miami Symphony Orchestra“ in dessen Geschichte und debütierte in dieser Funktion in der New Yorker Carnegie Hall. Er spielte außerdem auch in der Violinsektion des „Houston Symphony“.
Als Gründer und künstlerischer Direktor des „Crisalis Music Project“ förderte er das Zusammenspiel junger, aufstrebender Musiker mit bekannten, namhaften und bereits etablierten Künstlern. Er dirigierte so renommierte Orchester wie das „Chicago Symphony Orchestra“, wo er Pierre Boulez ersetzen durfte, und ist derzeit stellvertretender Leiter des „Philadelphia Orchestra“, das zu den sogenannten „Big Five“, den fünf bekanntesten und am meisten angesehenen Sinfonieorchestern der USA, gehört. Im Jahre 2012 erhielt er einen der begehrtesten Dirigierpreise, den renommierten „Georg Solti Emerging Conductor Award“ für aufsteigende Stars am amerikanischen Dirigentenhimmel.
Auch das Bukarester Konzert bot himmlische musikalische Genüsse. Mit Cristian Măcelaru wuchs das Nationale Rundfunkorchester über sich hinaus und fand zu einer grandios differenzierten Klangsprache, wie sie nur wenige Dirigenten aus ihm zu gewinnen und freizusetzen in der Lage sind. Subtilste Pianissimi der Streicher, teils obendrein noch con sordino gedämpft, erzeugten flirrende klangliche Gewebe, aus denen feine Soli der Flöten und Oboen sich erhoben. Behutsamkeit schien das Motto des Dirigenten, der auch den Blechbläsern, selbst im Fortissimo, edle Zurückhaltung auferlegte, die die Intensität des musikalischen Geschehens noch um ein Vielfaches steigerte. Die verhaltene Hörnergruppe, die verinnerlichte Zurückgenommenheit der gestopften Posaunen, die sacht und dennoch bestimmt aufspielenden Klarinetten und Fagotte trugen zu einer Homogenität des Klanges bei, die zu erleben schon als solches ein Genuss war.
Nicht von ungefähr hatte sich Cristian Măcelaru spätromantische Werke stärkster Expressivität und größter Intensität für sein Bukarester Konzertprogramm ausgesucht, in denen sowohl eruptive wie verlöschende, ausbrechende wie in sich zurücksinkende musikalische Bewegungen exzessiv einander abwechselten.
Das erste Werk des Bukarester Konzertabends mit Cristian Măcelaru war Tschaikowskys sinfonische Phantasie „Burya“ (Der Sturm) op. 18 nach Shakespeares Drama „The Tempest“. Wie in seiner Phantasie-Ouvertüre „Romeo und Julia“, so übertrug Tschaikowsky auch in diesem einige Jahre später entstandenen Werk Gestalten, Motive und Vorgänge aus Shakespeares dramatischem Kosmos in programmmusikalische Zusammenhänge. Wenn man wollte, so konnte man dabei die Meeresstille des Ozeans, das Tappen des erdhaften Gnoms Caliban oder auch die himmlische Liebe zwischen Ferdinand und Miranda aus dem Tongemälde heraushören. Aber auch schon durch die Klänge als solche wurde man in jene „schöne neue Welt“ versetzt, die Shakespeares Miranda in „The Tempest“ beschwört.
Als zweites Werk des Abends wurde „Vier letzte Lieder“ von Richard Strauss gegeben. Solistin war die Sopranistin der Nationaloper Bukarest Irina Iordăchescu. Das 1948 entstandene Opus setzt sich aus vier Liedern zusammen, die um die Themen „Abschied“ und „Tod“ kreisen, ist aber kein Zyklus im strengen Sinne. Die ersten drei Gedichttexte stammen von Hermann Hesse, den Strauss in den ersten Nachkriegsjahren in der Schweiz kennengelernt hatte, der Dichter des letzten Liedtextes ist Joseph von Eichendorff. Das feine Timbre der rumänischen Sopranistin verschmolz auf wunderbare Weise mit den lyrischen Klängen des Radioorchesters, insbesondere in den Passagen, in denen die Sängerin die Textsilben in rein lautliche Kantilenen überfließen ließ. Zu Recht wurde ihr am Ende lang anhaltender Applaus zuteil.
Wie Strauss’ „Vier letzte Lieder“, so ist auch Tschaikowskys sechste Sinfonie op. 74, bekannt unter dem Namen „Pathétique“, ein Spätwerk. Während Strauss die Uraufführung seines Liederzyklus nicht mehr erleben konnte – das Werk wurde 1950 in London mit der norwegischen Sängerin Kirsten Flagstad unter der Leitung von Wilhelm Furtwängler erstmals öffentlich aufgeführt –, so dirigierte Tschaikowsky die Uraufführung seines letzten Werkes noch selbst, bevor er wenige Tage später starb. Cristian Măcelarus Interpretation dieses sinfonischen Meisterwerkes konzentrierte sich genau auf jenen jähen Wechsel der Stimmungen, jenen abrupten Umschlag der Empfindungen, jenen Ausdruck der Zerrissenheit, der die gesamte Sinfonie, besonders aber ihren ersten Satz kennzeichnet.
Bereits dessen Tempobezeichnungen geben davon einen sprechenden Eindruck: „Adagio – Allegro non troppo – Andante – Moderato mosso – Andante – Moderato assai – Allegro vivo – Andante come prima – Andante mosso.“ Der zweite Satz der „Pathétique“ „Allegro con grazia“ bildet ein heiteres und ebenmäßiges Gegenstück zu den wilden Wechseln und ostentativen Oszillationen des Eingangssatzes, während der dritte Satz „Allegro molto vivace“ durch sein rasantes Tempo besticht. Hier hatte man den Eindruck, dass Cristian Măcelaru sich ein noch schnelleres Tempo gewünscht hätte, was aber beim Nationalen Rundfunkorchester oder vielleicht überhaupt an die Grenzen des Machbaren stieß, zumal nicht wenige der huschenden und schwirrenden Läufe im Pianissimo darzubieten waren.
Das Finale, ein „Adagio lamentoso“, das sich an den fulminanten Schluss des dritten Satzes anschließt, stellt für den Dirigenten immer eine besondere Herausforderung dar, nicht nur musikalisch, sondern auch aufführungstechnisch, denn auf den überschäumenden Scheinschluss des dritten Satzes folgt im echten Finale ein letzter Seufzer, der schmerzlich klagend in Melancholie und Düsternis verlöscht. Cristian Măcelaru bewältigte auch dieses doppelte Problem meisterlich, denn er gebot, bereits leidgeprüft durch Zwischenklatscher bei den Strauss-Liedern, dem Teil des Publikums, das sich durch Applaus Luft machen wollte, Einhalt und machte so die spannungsvolle Stille zwischen dem dritten und vierten Satz, zwischen Aufschrei und Aufseufzen, zu einem besonderen Erlebnis. Es bleibt zu hoffen, dass Cristian Măcelaru das Bukarester Publikum auch in Zukunft mit erlesenen musikalischen Genüssen solcher Art und Güte verwöhnen wird.