Das Faszinosum der Siebenmeilenstiefel als Denkfigur der Mobilität lässt seit Perrault und Chamisso nicht nach und wurde zu verschiedenen Zeiten – denkt man auch an Goethe, Wilhelm Hauff und an die heutigen Fantasy-Romane – in unterschiedlichen Variationen aufgegriffen. Die Vermessung breiter Räume entfaltet auch in Dagmar Dusils Kinderbuch „Tor für die Sterne“ ihre magische Kraft. Darin wird die Geschichte eines Fußballs erzählt, der, aus dem geborgenen Alltag einer deutschen Familie herausgerissen, durch einen wundersamen Schuss in den Himmel geschleudert wird, schließlich in Hermannstadt landet und dort vor dem Rückflug nach Deutschland die Stadt durchquert und einige Freundschaften schließt.
Die Geschichte ist gerade durch ihre räumliche Breite in verschiedenen Erlebniswelten der Kinder verwurzelt. Zum einen ist ein Fußball der Held dieser Kindergeschichte – und dadurch steht ein bekanntes Spiel im Mittelpunkt –, der allerdings die narrative Brücke zur weniger vertrauten, kindlichen Bilderbuch-Welt der Himmelskörper schlägt. Zum anderen stellt der Ball mit seiner Reise nach Siebenbürgen die Verbindung zu einer für viele Kinder, Eltern und Großeltern biografisch relevanten Region her. Darüber hinaus trägt auch eine weitere Protagonistin in Gestalt der Pilotin, die als Angestellte einer deutschen Fluggesellschaft regelmäßig Hermannstadt anfliegt, zur räumlichen Dynamik der Erzählung bei. Mit dieser mobilen Szenerie stellt die Erzählung Dagmar Dusils den Zusammenhang zu verschiedenen Interessensgebieten und Erfahrungen der Kinder her: ihrer Spiel- und Phantasiewelt, den Familiengeschichten, in denen Auswanderung und generell Migration eine wichtige Rolle spielen, und schließlich ihrem von der Berufstätigkeit und Mobilität der Eltern geprägten Alltag. Damit steht die Erzählung am Puls der Zeit.
Für jene, die einen realen geografischen Hintergrund für eine Gute-Nacht-Geschichte zu schätzen wissen, ist dieser Lesestoff für erweiternde Gespräche ideal. Wo der Ball im Hof der Großen Kirche und des Brukenthal-Lyzeums landet, die Pempflingergasse Richtung Unterstadt rollt, sich in Gespräche mit einem Straßenhund verwickelt, am Ufer des Zibins weitere Wunderwesen trifft, kann der Erzählfluss gerne mal unterbrochen werden. Auch die Illustrationen, die von Sieglinde Wölfels Ortskenntnis und Können Zeugnis ablegen, laden zu Gesprächen und Erinnerungen ein („Als ich damals…“, „Hier warst du doch auch mal, als…“). Für manche Eltern und Großeltern bietet sich die Möglichkeit, Fotos aus Alben herauszusuchen, um sie mit den Zeichnungen aus dem Buch zu vergleichen, oder gar das eine oder andere Bild aus dem Netz abzurufen. Indem sie Erinnerungen hervorlockt, eignet sich diese fantastische Geschichte auch als Behälter für Zeitreisen. Zudem erweitert sie den Erfahrungshorizont der Kinder, indem sie in einen für sie übersichtlichen Kosmos von Mond, Sternen und Regenbogen führt, aber auch durch die Reise in einen realen Ort. Die Erzählung spricht auch die Gefühlswelt der Kinder an und gibt den Blick auf emotionale Begegnungen frei, wie mit einem Straßenhund und einer Schnecke, die Formen der Behausung und Unbehaustheit zur Sprache bringen.
Die elaborierte Kindergeschichte Dagmar Dusils wächst mit den Kindern mit. Sie lässt sich für kleinere Kinder vereinfachen und kann nach und nach mit allen Details gelesen und diskutiert werden. Mit dem Erzählmuster des Verirrens und des anschließenden Nach-Hause-Findens und der intensiven Bewegung im Raum veranlasst sie ernsthafte Gespräche über berufliche Mobilität, Heimat und Heimatlosigkeit.