Seit Mitte April ist das bio-grafische Filmdrama „Paula“ von Christian Schwochow, das seine Uraufführung vor zwei Jahren beim Filmfestival Locarno erlebte, in den rumänischen Kinos zu sehen. Das Biopic, das die letzten Lebensjahre der 1876 in Dresden geborenen und 1907 in Worpswede verstorbenen Malerin Paula Modersohn-Becker erzählt, konzentriert sich dabei auf zwei Orte: auf die Künstlerkolonie Worpswede, wohin die junge aufstrebende Künstlerin, der als Frau das allein Männern vorbehaltene Studium an einer Kunstakademie verwehrt war, im Jahre 1897 erstmals gekommen war, um ihre in Berlin begonnenen privaten Malstudien fortzusetzen; und auf Paris, wo sich die junge Künstlerin seit 1900 mehrfach längere Zeit aufhielt.
Der vielfach – unter anderem für seine Verfilmung des Tellkampschen Romans „Der Turm“ mit dem Grimme-Preis sowie dem Publikums-Bambi – ausgezeichnete und heute vierzigjährige Christian Schwochow hat die zahlreichen Aufenthalte Paula Beckers, die 1901 in Worpswede den Maler Otto Modersohn heiratete, in der Künstlerkolonie bei Bremen sowie in der französischen Hauptstadt zu einem dreiaktigen Filmdrama zusammengefasst. Auf den ersten Akt „Ankunft und Aufenthalt in Worpswede“ folgt der zweite Akt „Paris“ und der kurze dritte Schlussakt „Rückkehr und Ende in Worpswede“. Dadurch gelingt es dem Regisseur, grundlegende Spannungen im Leben von Paula Modersohn-Becker zu artikulieren und die einander diametral entgegengesetzten Pole ihrer Existenz als Künstlerin, zwischen denen sie zeitlebens hin und her oszillierte, exemplarisch zur Darstellung zu bringen.
Da ist zunächst die patriarchalische Männergesellschaft, welche die nach Freiheit und Selbstbestimmung strebenden jungen Frauen generell als Bedrohung empfand. Selbst die sich emanzipiert dünkenden Maler der Worpsweder Künstlerkolonie verhöhnten ihre weiblichen Kolleginnen und Freundinnen als „Malweiber“, deren alleiniges Ziel es sei, sich einen reichen Maler zu angeln, sich von ihm schwängern und ehelichen zu lassen.
Darüber hinaus werden aber auch künstlerische Differenzen zwischen Paula und den sie umgebenden Männern sichtbar. Während Paulas Worpsweder Mallehrer Fritz Mackensen, der sich im Dritten Reich als strammer Nazi hervortat, im Film als Gestalt gezeichnet wird, die mit den Prinzipien von Genauigkeit und Präzision den preußischen Drill quasi militärisch auf das künstlerische Schaffen überträgt, erscheint Paula als wahre Künstlerin, die allein das malt, was sie im Innersten fühlt. Otto Modersohn, der zunächst die Porträtmalerei seiner Ehefrau mit einem totalen Verdikt brandmarkte („Hände wie Löffel, Nasen wie Kolben, Münder wie Wunden, Ausdruck wie Cretins“), erkennt am Ende des Films an, dass sie als Malerin größer war als alle ihre Worpsweder Künstlerkollegen.
Auch Rainer Maria Rilke, der sich in seinen frühen Jahren längere Zeit in Worpswede aufhielt, 1902 eine Monografie über die Künstlerkolonie verfasste und die Worpsweder Malerin Clara Westhoff heiratete, erscheint als künstlerischer Gegenpol zu Paula, die das Ziel ihrer Existenz nicht in Ruhm und Einsamkeit, sondern in Liebe und Hingabe sieht. Im Gegensatz zu ihrem Mann Otto etwa, der beim Porträtieren nur das zu schaffende Bild sieht, nimmt Paula den porträtierten Menschen wahr, seine Nähe und sein ureigenstes Dasein.
Worpswede und Paris werden in Christian Schwochows Film zu zwei Spannungspolen, die Paula zu zerreißen drohen: Ehe tritt in Gegensatz zu freier Liebe, Fremdbestimmung zu Autonomie, Reichtum zu Geldnot, Gemeinschaft zu Einsamkeit, Provinzialismus zu Weltläufigkeit, Tradition zu Moderne. Eine ganz kurze Szene des Films spricht hier Bände: Paula besucht gemeinsam mit ihrem Geliebten, einem Pariser Fotografen, eine Kunstausstellung und begegnet dort zum ersten Mal den Bildern Paul Cézannes. Hier scheint in nuce auf, was der ganze Film beständig nahe legt: dass Paula Modersohn-Becker als die einzige Kunstschaffende unter den Worpsweder Malern zu betrachten ist, die im wahren Sinne des Wortes der Moderne zugehört. Nicht von ungefähr ist sie, historisch betrachtet, die erste Malerin der Kunstgeschichte, für die ein eigenes Museum erbaut wurde: das Paula-Modersohn-Becker-Museum in Bremen, das 1927, zwanzig Jahre nach dem Tod der Künstlerin, eingeweiht wurde. In den knapp 14 Jahren, in denen Paula Modersohn-Becker künstlerisch tätig war, schuf sie 750 Gemälde, etwa 1000 Zeichnungen und 13 Radierungen.
Der Film zeigt zahlreiche Gemälde der Künstlerin, ja er stellt sie im Stile von Ta-bleaux vivants, von lebenden Bildern, nach, versetzt sie quasi zurück in den Moment ihrer Entstehung und transformiert sie in deren Status nascendi. Wunderbar fängt der Film (Kamera: Frank Lamm) die Worpsweder Atmosphäre ein, die Welt der Torfstecher, die düstere Chromatik des Teufelsmoors, die dörfliche Welt, die an frühe Bilder van Goghs erinnert. Dann selbstverständlich auch die lebensreformerische und naturschwärmerische Atmosphäre der Künstlerkolonie, in der Barfußgehen als gleichsam revolutionärer Akt gefeiert wurde. Und schließlich die große Welt der Metropole Paris, die in diesem Film ein wenig künstlich ausfällt, studiohaft eben, mit Straßen ohne Kot und Gassen ohne Schmutz.
Schauspielerisch beeindrucken vor allem Albrecht Abraham Schuch als Otto Modersohn, Nicki von Tempelhoff als Fritz Mackensen, Roxane Duran als Clara Westhoff und Joel Basman als Rainer Maria Rilke. Carla Juri, dem deutschen Publikum aus der Verfilmung von Charlotte Roches Roman „Feuchtgebiete“ bekannt, versuchte bei ihrer Verkörperung von Paula Modersohn-Becker den weiten Spagat zwischen der backfischhaften Malschülerin und der autonomen Künstlerin. Trotz bemerkenswerter Einzelszenen gelang es ihr jedoch nicht, die allmähliche Entwicklung und persönliche Reifung dieser beeindruckenden Künstlerin der klassischen Moderne in ihren einzelnen Stadien schlüssig erlebbar zu machen. Carla Juris Paula war und blieb am Anfang wie am Ende dieselbe wilde Range und zugleich dieselbe sensible Artistin, als die sie mit ihren – von ihrem Ehemann schriftlich bezeugten – letzten beiden Worten „Wie schade!“ am 20. November 1907 aus der Welt schied.