„Würde ich so aussehen, wenn ich in Rumänien geblieben wäre?“, fragt sich die Künstlerin Anca Munteanu Rimnic im Titel eines ihrer Werke: Sie ist in bunter rumänischer Tracht vor einem verwitterten Gartenzaun aus Holz mitten in karpatisch anmutender Natur abgebildet und schaut ganz selbstbewusst in die Kamera – die Antwort auf ihre Frage muss sich der Betrachter selbst überlegen. Fakt ist, dass die Künstlerin überall auf der Welt auch ein Stück Rumänien mit sich trägt und dass sie Identität, Erinnerungen und Empfindungen stets als wertvolle Inspirationsquelle deutet und verarbeitet. „Ich möchte mit meiner Gefühlswelt Kunstwerke produzieren“, fasste sie neulich bei einem Künstlergespräch im Kunstverein Braunschweig ihr Motto zusammen. Dort zeigt sie zurzeit ihre erste institutionelle Kunstschau in Deutschland.
In der Remise des Kunstvereins hat sie die Ausstellungsfläche zunächst mit zehn Tonnen Stampflehm ausgefüllt, um „sich zu erden“ und „das elitäre Klappern der Absätze auf dem Museumsparkett zu dämpfen“. Jeder Besucher hinterlässt Spuren auf diesem wandelbaren Boden, das Material verändert sich im Laufe der Zeit, die Prozesshaftigkeit von Kunst rückt in den Fokus. Eine glänzend-weiße Fläche überrascht das Auge und macht neugierig. Im Lehmboden ist als Intarsie ein „Teppich“ aus glasierter Keramik eingefasst, der an die Muster rumänischer Teppiche erinnert. Anders als bei diesen gibt es jedoch hier keine Wiederholung der Geometrien, die 206 ineinandergreifenden Formen sind einzigartig und bilden einen zerbrechlichen Kontrast zur umgebenden Erde. „Diesen Teppich greifen die Motten bestimmt nicht an“, lächelt Anca Munteanu Rimnic.
Die Künstlerin ist 1974 in Rumänien geboren, wanderte als Kind mit ihren Eltern nach Deutschland aus, studierte freie Kunst an der Universität der Künste in Berlin und besuchte in den USA die Klassen von Starkünstlern wie John Baldessari, Mike Kelley und Jack Goldstein. An internationalen Gruppenausstellungen beteiligte sie sich u. a. im Cabaret Voltaire, Zürich (2011), auf der vierten Moskau Biennale (2011) sowie in der Kunsthalle Wien (2014).
Sie arbeitet mit „Verlust als Werkzeug oder Maßeinheit künstlerischer Produktion“, wie es ihre kürzlich erschienene Monografie auf den Punkt bringt („Anca Munteanu Rimnic“, Distanz Verlag Berlin, 2015, 195 Seiten, 39,90 Euro). Auch die Ausstellung „Nest“ im Braunschweiger Kunstverein wird im Begleittext als Auseinandersetzung mit dem „privat erlebten Zwiespalt zwischen Erdung, Unvollständigkeit und Verlust“ beschrieben. An der Wand hängt ihre Arbeit „Holding the distant past beyond memory“ (Die ferne Vergangenheit jenseits der Erinnerung halten, 2013), in der Ecke steht ein großer „Ast“, der aus Bronze gefertigt ist und die Vergänglichkeit des Holzes überwindet, im Raum hört man ein leises Klopfen – vielleicht eine verblasste Erinnerung an die rumänische „toacă“ (zum Gottesdienst rufendes Schlagbrett).
Beim Künstlergespräch in Braunschweig am 7. Oktober zeigte Anca Munteanu Rimnic dem Publikum weitere Fotografien, Film-Performances und Installationen, beispielsweise „Wild worses“ (2013), ein Pferdegeschirr für einen BMW, als Symbol für unausgesprochene „Sehnsüchte, die gezügelt werden müssen“, so die Künstlerin. Oder schwarz gekleidete Klageweiber aus Rumänien, welche wie ein antiker Tragödienchor die für Künstler überlebenswichtigen Worte – „Museum, Kurator, Sammler“ – deklamieren und beweinen („Lament“, 2013). Oder einen japanischen Mönch, der einen lauten, nervigen Klang mit großem Energieeinsatz „wegmeditiert“ („Monk“, 2006). Oder eine Gruppe von Geschäftsleuten aus Japan, die in einer Endlos-Umarmung verharren („Business“, 2006). Oder die Künstlerin selbst in einem 15-minütigen Video, in dem sie, als Bär verkleidet, einen tragikomisch-ästhetischen Rebellionsmoment erlebt und 180 „schrecklich hässliche“ Glasvasen zerstört („Ursu“ 2013).
Zum Künstlergespräch in Braunschweig brachte Anca Munteanu Rimnic auch ganz konkret ein Stück Rumänien mit: Die Gäste der Veranstaltung durften eine köstliche Mămăligă (Maisbrei) mit Schafskäse, Tomaten und grünen Zwiebeln kosten.
Die Ausstellung „Nest“ ist in Braunschweig noch bis zum 22. November zu sehen. Ein Besuch im Kunstverein lohnt sich auf jeden Fall auch über dieses Datum hinaus: Die 1832 gegründete Einrichtung in der klassizistischen „Villa Salve Hospes“ zeigt interessante internationale Gegenwartskunst in Einzel- oder Gruppenausstellungen und bietet regelmäßig Vortragsreihen, Künstlerbegegnungen und thematische Führungen an. Der „Verein der Kunstfreunde“, Vorgänger des heutigen Kunstvereins, war eine der ersten Einrichtungen dieser Art in Deutschland.
Indes können Anca Munteanu Rimnics Werke auch von dem rumänischen Publikum bewundert werden. Sie stellt bis Ende dieses Monats im Rahmen der Kunstbiennale „Art Encounters“ in den Timco-Hallen in Temeswar/Timişoara aus. In Deutschland ist ihre Kunst 2016 im Mönchehaus Museum Goslar zu sehen.