Im Freiburger Stadttheater fühlt sich Julius Vollmer auch im hohen Alter noch immer wie zu Hause. Seit 25 Jahren spielt er auf der Bühne des Theaters im Breisgau, das im vergangenen Jahr den 100. Geburtstag gefeiert hat. Der Temeswarer Vollblutschauspieler wird am 15. Februar 85 Jahre alt. Auf seinen Geburtstag will er mit alten und jungen Schauspieler-Kollegen anstoßen. Erkennen wird er die Kollegen lediglich an der Stimme, denn seit einer fehlgeschlagenen Operation im vergangenen Mai ist er blind. Die Geburtstagsfeier hat Vollmer, der mit vollem bürgerlichem Namen Julius-Andreas Szabó von Szathmáry heißt, ins Theater verlegt, weil sie ihm längst das Zuhause ersetzt. „Heimat war mir das Banat und Siebenbürgen“, hat er einmal gesagt. „Hier in Deutschland ist die Bühne meine, die Muttersprache mein Zuhause. Liebe zur Heimat heißt für mich dienen auf der Bühne.“ Die Schauspielkunst hat der gebürtige Temeswarer stets als Dienst am Mitmenschen verstanden: „Durch die unzähligen Ausfahrten durch Banater Dörfer und siebenbürgische Städte habe ich gemeinsam mit meinen Kollegen den Menschen Freude bereitet“.
An diesem 15. Februar dürfte sich nicht nur der Gefeierte freuen, sondern auch mancher Schauspieler-Kollege, mit dem Vollmer auch im vergangenen Jahr noch auf der Bühne gestanden hat, trotz seiner Blindheit. Denn heute dürfte es nicht viel anders sein als im Januar 2002, als der Freiburger Intendant Hans J. Ammann dem Schauspieler mit dem dezenten Bass zum 75. Geburtstag gratuliert hat mit den Worten: „Sie wissen, Ihre Menschlichkeit, Ihre Freundlichkeit und Gelassenheit im Umgang mit allen Kolleginnen und Kollegen ist beispielhaft. Ich freue mich, dass Sie wieder voll im Ensemble mitwirken können“.
Trotz neuer Kollegen, trotz des neuen Zuhause: Manchmal hat er doch noch Heimweh: nach dem Trottoir, nach dem Geruch von Asphalt, Flieder und Akazienbäumen, nach Temeswar. Das Medizinstudium musste er abbrechen, weil der familieneigene Betrieb im kommunistisch-stalinistischen Rumänien enteignet worden war. Vom Biologiestudium wurde er ausgeschlossen, weil er gegen die Deportierung von Deutschen protestiert hatte. 1953 stand er zum ersten Mal auf der Bühne des Deutschen Staatstheaters in Temeswar, dessen Mitbegründer er war. Im kommenden Jahr werden 60 Jahre vergangen sein, dass er sich für die Schauspielkunst entschieden hat. Auf Anraten des Dramaturgen legte er sich später seinen Künstlernamen zu. Immer wieder musste er das Theater verlassen und sich als Begräbniskantor oder Akkordeonstimmer durchschlagen.
Er selbst habe viel Glück und Fürsprecher gehabt, die ihn vor Verfolgung geschützt hätten. Aber die Angst vor der Verfolgung habe ihm auch in den ersten Freiburger Jahren „wie Krebs unter der Schädeldecke“ gesessen. Geblieben sei ihm ein Funken Misstrauen. Manchmal schaut er die Menschen an und überlegt sich, wer von ihnen in einem totalitären Regime zum Spitzel werden könnte.
In seiner Karriere hat Vollmer mehr als 200 Rollen übernommen und für seine Interpretationen manches Lob geerntet. Seine Karriere soll noch nicht beendet sein. Auch in nächster Zeit wird er auf Brettern stehen, die ihm die Welt bedeuten.