Eigentlich kennen wir sie schon aus dem Reich der Römer – die autonome Selbstorganisation der Handwerksberufe, die nicht nur das berufliche Leben, sondern auch gesellschaftliche und soziale Aspekte regelte. Im 11. Jahrhundert als Zünfte wiedererfunden, schwappte die mittelalterliche Organisationsform aus Westeuropa auch nach Osteuropa über. Hier fiel sie auch in den Städten Siebenbürgens auf fruchtbaren Boden. Doch den Siebenbürger Sachsen und Ungarn taten es bald auch die Bewohner in der Walachei und der Moldau gleich.
Der Dokumentationsfreude der Siebenbürger Sachsen allerdings ist es zu verdanken, dass wir heute so viele Details über Prinzipien und Organisation der Zünfte wissen. Bewahrten sie doch akribisch jahrhundertelang jedes buchhalterische Dokument in massiven, hölzernen Truhen auf, ähnlich denen der Nachbarschafts- oder Bruderschaftsladen.
Als äußeres Erkennungszeichen verfügte jede Zunft über eine Flagge und ein eigenes Wappen – in der Regel ein Arrangement aus typischen Werkzeugen, die den Berufsstand kennzeichnen. Mit einem hölzernen Zunftzeichen berief man die Mitglieder zur Versammlung ein, die in der Regel etwa vierteljährlich stattfand. Ein kleines Repertoire solcher Schätze kann man derzeit im Nationalen Geschichtsmuseum in Bukarest in der Mikroausstellung des Monats „Siebenbürgische Zunftzeichen“ im Lapidarium noch bis zum 15. März bestaunen.
Neue Würde für die Mittelklasse
Mitglied einer Zunft zu sein, bedeutete eine große Ehre – aber auch vielfältige Pflichten, erklärt Museumsdirektor Ernest Oberländer-Târnoveanu anlässlich der Eröffnung. Nicht nur, dass man sich an auferlegte Qualitätsstandards, Preisabsprachen, die Einhaltung von arbeitsfreien Feiertagen und an Produktionslimits halten musste, es galt sogar ein moralischer Ehrenkodex, der sowohl das Geschäftsgebaren, als auch das religiöse und das Eheleben regelte. Ein monatlicher Mitgliedsbeitrag musste auch entrichtet werden. Die Zunftmitgliedschaft sicherte auch Ansehen in der bürgerlichen Gesellschaft, das Recht auf Schutz oder Hilfe in der Not, sie verpflichtete zur Beteiligung an karitativen Maßnahmen, an der Finanzierung der Stadt und an ihrer Verteidigung. Zunftmitglieder waren stets im Stadtrat vertreten und jede Zunft musste für den Erhalt und die Verteidigung eines Befestigungsturms in der Stadtmauer sorgen. Die bedeutendste Errungenschaft der Zünfte für ihre Mitglieder war jedoch der Erwerb einer Würde, die es zuvor in den Reihen der Mittelklasse nicht gegeben hatte. Nur Adlige kannten die Idee eines vergleichbaren Ehrenkodexes.
Hierarchie der Zünfte
Das erste Dokument in Siebenbürgen, das die Zunft der Gerber in Hermannstadt erwähnt, stammt aus dem Jahre 1367, gefolgt von einer Erwähnung der Kürschnerzunft in Klausenburg/Cluj Napoca vom 24. März 1369. Zu Zünften schlossen sich nicht nur Handwerker zusammen, sondern auch viele Händler. Je teurer das zu verarbeitende oder zu verkaufende Material war, desto höheres Ansehen genoss der entsprechende Berufsstand. Ganz oben in der Hierarchie standen Gold- und Silberschmiede, Gewürz- und Tuchhändler. Als erste Zünfte Siebenbürgens sind erwähnt: Metzger, Bäcker, Müller, Brauer, Gerber, Kürschner, Stiefelmacher, Weber, Schneider, Schlosser, Waffenschmiede, Fassbinder, Schreiner, Zimmerleute, Seiler, Maurer und Goldschmiede.
Die Zünfte beschafften die Arbeitsmaterialien für ihre Mitglieder, regelten Angebot und Nachfrage und sorgten durch stadtübergreifende Absprachen dafür, dass gegenüber Zünften aus anderen Städten keine Nachteile entstanden. Sie wachten aber auch über das moralische Leben ihrer Mitglieder: Schlimme Verfehlungen wie Ehebruch oder Verrat konnten mit dem Ausschluss bestraft werden, was einem beruflichen Tod gleichkam. Das Statut jeder Zunft wurde vom König genehmigt. Für die Ausstellung von Urkunden zum Beitritt, Ausschluss oder Tod hatte jede Zunft einen eigenen Notar.
Voraussetzung: ehelich, männlich, katholisch...
Beim Eintritt in eine Zunft, deren Mitgliederzahl begrenzt war, wurden die Kinder von Mitgliedern bevorzugt, doch prinzipiell stand die Aufnahme fast jedem Bewerber offen. Der Kandidat musste eine gebührenpflichtige Prüfung ablegen und nach Bestehen der Probezeit ein – äußerst kostspieliges – Bankett für die Zunftmitglieder ausrichten. So versteht sich, dass der Eintritt armen Bürgern zumindest sehr erschwert war.
Um Meister in Siebenbürgen zu werden, musste der Lehrling eine Ausbildung in zwei Etappen durchlaufen, die schon mit 10 bis 12 Jahren begann. Voraussetzung war männliches Geschlecht und eine eheliche Geburt, vor der Reformation manchmal auch die katholische Konfession, und meist die deutsche Volkszugehörigkeit. Nach einer zwei- bis viermonatigen Probezeit bei einem Meister konnte der Junge dann gegen eine Aufnahmegebühr – verlangt wurden Geld und Naturalien, in der Regel Wein und Wachs – in die Zunft eingeschrieben werden. Die nächsten drei bis fünf Lehrjahre verbrachte er im Meisterhaus gegen Unterkunft und Verpflegung. Durch eine Prüfung wurde er danach zum Gesellen verbrieft, was freilich wieder Geld kostete – zu zahlen durch die Eltern, denn er hatte ja noch keinen Lohn. Danach konnte er entweder weitere zwei bis vier Jahre bei seinem Meister bleiben, oder aber durch Siebenbürgen oder gar Europa wandern und dort bei fremden Meistern seine Kunst vervollkommnen. Wandergesellen gingen meist in für ihr Handwerk berühmte Städte, wie etwa Nürnberg für Waffenschmiede. Als Gesellen wurden sie nicht nur verköstigt, sondern auch bezahlt.
Erst in den Jahren 1830 bis 1840 verschwanden die Zünfte langsam zugunsten von Berufsgenossenschaften, in denen sich nun auch Apotheker, Ärzte oder Professoren organisierten. 1872 wurde durch ein ungarisches Gesetz die Gewerbefreiheit eingeführt und die Zünfte in Siebenbürgen wurden aufgelöst und durch Handwerksvereinigungen ersetzt. Ihre Spuren aber finden sich noch heute in ganz Siebenbürgen in Kirchen – zum Beispiel in der Schwarzen Kirche in Kronstadt/Braşov oder im ehemaligen Dominikanerkloster in Schäßburg/Sighişoara. Zunftzeichen zieren dort die angestammten Plätze der einst so stolzen, würdevollen, gewissenhaften Handwerker, denen auch in der heutigen Gesellschaft Achtung und Ehre sicher wäre.