Am 22. August 1920 wurde Hugo von Hofmanns-thals „Jedermann“ in der Regie von Max Reinhardt erstmals auf dem Salzburger Domplatz aufgeführt und somit wurden die Salzburger Festspiele gegründet. Seit 101 Jahren ist das „Spiel vom Sterben des reichen Mannes“ mit wenigen Ausnahmen fester Bestandteil der Salzburger Festspiele. Ihre Geschichte steht für die Kraft der Kunst und Kultur auch in Krisenzeiten wie beispielsweise nach dem Ersten Weltkrieg sowie unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg bis heute in der von der Corona-Krise überschatteten Jubiläumssaison 2020/2021. Die Salzburger Festspiele sind auch heute wie von Anfang an ein Friedensprojekt, das im Geiste der Toleranz und Humanität unterschiedliche Interpretationen und Zugänge zulässt.
Sie werden auch in Zukunft durch das Mitwirken von Künstlerinnen und Künstlern und Besuchern aus der ganzen Welt in ihrer Programmatik international bleiben, wie einer der Grundsätze lautet. In Oper, Schauspiel und Konzert werden sie weiterhin der Qualität vor der Kommerzialität Vorrang geben und Erfolg ernten. Sie werden für kulturelle und künstlerische Impulse sorgen, indem sie die Werke der europäischen Kultur pflegen und den Komponisten, Künstlern und Autoren beste Aufführungsbedingungen bieten.
Die Hofmannsthal-Jubiläumstagung, die 2020 zu den 100 Jahren Salzburger Festspiele stattfinden sollte, wurde Corona-bedingt auf 2021 verschoben und fand in Kooperation mit der Leitung der Salzburger Festspiele, den Universitäten Jena, Salzburg und Basel sowie dem Stefan Zweig Zentrum Salzburg, gefördert von der Fritz-Thyssen-Stiftung, vom 1.-4. August in der malerischen Stadt an der Salzach statt. Diese Verschiebung ermöglichte auch das Mitfeiern des Abschlusses der 42 Bände umfassenden Kritischen Hofmanns-thal-Ausgabe, was für die vor über 50 Jahren gegründete Gesellschaft ein Hauptanliegen bedeutet hat.
Die diesjährige Tagung hat die Geschichte der Salzburger Festspiele in Vorträgen von Germanistinnen und Germanisten aus Deutschland und Österreich sowie aus Großbritannien, Frankreich und der Schweiz aus verschiedenen Perspektiven beleuchtet.
Den Auftakt stellte die Führung durch die Landesausstellung „Großes Welttheater. 100 Jahre Salzburger Festspiele“ im Salzburg Museum dar. International bewährte Künstlerinnen und Künstler zeigen hier mit Rauminstallationen, Tondokumenten, Fotos, Kostümen und Requisiten ihre eigene Sicht auf die Festspiele, deren Entwicklung von den Anfängen bis in die Gegenwart.
Es folgte die inspirierte Begrüßungsansprache der Festspielpräsidentin Helga Rabl-Stadler, die, wie sie sich selber äußerte, infolge ihres „Unabkömmlichkeitswahns“ trotz der zahlreichen Termine auch zu der Eröffnung dieser Tagung gefunden hat. Sie wies auf die vielen Bedeutungen der Salzburger Festspiele, auf die immerwährende Aktualität des „Jedermann“-Stücks sowie auf die Tradition der Hofmannsthal-Forschung und der Symposien in Salzburg hin.
In seiner Begrüßung dankte der Präsident der Hugo-von-Hofmannsthal-Gesellschaft, Prof. Dr. Alexander Honold, den Organisatoren und Sponsoren der Tagung, die eine ausgezeichnete Kooperation von drei berühmten Universitäten durchführten. Das darauffolgende, anregende Podiumsgespräch mit der Germanistin Pia Janke und den Germanisten Oliver Rathkolb und Norbert Christian Wolf, dem Historiker Robert Kriechbaumer und der Schauspieldirektorin Bettina Hering erwies sich als nützlicher Überblick zur kontroversen Diskussion über die Erfolgsgeschichte der Salzburger Festspiele.
In einer Sektion der Tagung widmeten sich die Vortragenden Kai Buchholz (Darmstadt), Marielle Silhouette (Paris), Peter W. Marx (Köln), Judith Beniston (London), Harald Gschwandtner und Norbert Christian Wolf (Salzburg/Wien) der Gründungsgeschichte und den Inszenierungstraditionen. Alexander Honold (Basel), Antonia Eder (Karlsruhe) und Ursula Renner-Henke (Freiburg) referierten in einer weiteren Sektion zu den Salzburger Dramen Hofmannsthals, Matthew Werley (Salzburg) sprach über Musiktheater und Programmpolitik.
Das Künstlergespräch mit Philipp Hochmair zu Hofmannsthals Stücken heute sowie das Werkstattgespräch mit dem Regisseur Jossi Wieler zur Neuinszenierung des recht selten aufgeführten „Bergwerks zu Falun“ von Hugo von Hofmannsthal brachten der Zuhörerschaft viele neue Informationen. Dieses Werk begann der Dichter 1899 zu schreiben, als Ganzes wurde das Drama jedoch erst posthum, 1932, herausgegeben. Der Stoff mutet romantisch und märchenhaft an, hat Bezug zu einem realen Vorfall aus dem Jahr 1719, der auch E.T.A. Hoffmann und Johann Peter Hebels Kalendergeschichte „Unverhofftes Wiedersehen“ inspirierte, aber auch zu unserem Leben, zumal es die Sehnsucht nach dem Neuen und nach der Ferne, nach der Dauer der Liebe und der Ehe thematisiert. Das Stück erinnert an die „Frau ohne Schatten“, eines der fünf Opernlibretti, die Hofmannsthal für Richard Strauss geschrieben hatte. Wieler bezeichnet das Drama als „Rarität“. Hofmannsthal spürt mit diesem Drama „der nietzscheanischen ‚transzendentalen Obdachlosigkeit‘ des modernen Menschen nach“, so Michaela Schlögl, deren Buch „Die Festspielmacher. Querdenker, Vordenker, Nachdenker. Die Biografie der Salzburger Festspiele aus der Perspektive der Festspielmacher“, erschienen 2020 im Wiener Echomedia Verlag, hier erwähnt sei. Dieses erzählt von 100 Jahren österreichischer Kulturgeschichte, von der Lebens- und Schaffenszeit der Künstler und Intendanten, von Hugo von Hofmannsthal über Max Reinhardt, Richard Strauss, Herbert von Karajan oder Gérard Mortier bis zu Anna Netrebko.
Das Highlight der Tagung war der gemeinsame Besuch der Aufführung „Jedermann“, die nach mehr als 700 Vorstellungen in einem Jahrhundert immer noch eine zentrale Bedeutung im Rahmen der Salzburger Festspiele hat. Der Regisseur Michael Sturminger erklärt, dass die thematische Rückführung, die Hofmannsthal hier beschreibt und die weder zeitlich noch dogmatisch gebunden ist, das ideologische Kraftzentrum des „Jedermann“ bildet. Gerade in Corona-Zeiten soll das Stück gespielt werden, denn es gibt ein politisches Statement ab: „Heute ist es wesentlich zu spielen und die Gesellschaft behutsam für das Gemeinsame zu öffnen. Wir brauchen Gemeinschaft und Kunst, um uns als Gesellschaft zu entwickeln“, so Sturminger.
Zum Fertigstellen des letzten Bandes der Hofmannsthal-Ausgabe diskutierten eingehend Konrad Heumann, Katja Kaluga (beide am Freien Deutschen Hochstift in Frankfurt am Main tätig) und Ulrike Tanzer (Leiterin des Forschungsinstituts Brenner-Archiv Innsbruck). Einige wichtige Bemerkungen machte auch Olivia Varwig (ebenfalls Frankfurt am Main). Aus diesem Anlass wird für November d. J. eine Feier im Frankfurter Freien Deutschen Hochstift geplant.
Wie auf anderen Tagungen wurden auch diesmal Dissertationsprojekte zu verschiedenen Themen aus Hofmannsthals Werk vorgestellt und kommentiert.
Nach der Mitgliederversammlung wurde gemeinsam das eindrucksvolle Schloss Leopoldskron besichtigt, das Max Reinhardt von 1918 bis zur Enteignung 1938 bewohnte.
Als Fazit kann man behaupten, dass die diesjährige Hofmanns-thal-Tagung für alle Teilnehmenden eine wahre Bereicherung war, auch wenn die Atemnot wegen der Maskenpflicht manch-mal störend wirkte. Aus dem Unglück Pandemie haben die Veranstalter eine Chance gemacht. Ob sich die Tagung im Jahr 2024 anlässlich des Jubiläums zum 150. Geburtstag Hofmannsthals in Neubeuern, Wien, Frankfurt oder Venedig ereignen wird, bleibt dem Vorstand noch zu entscheiden.