2014 jährt sich zum 140. Mal der Geburtstag und zum 85. Mal der Sterbetag des österreichischen Schriftstellers Hugo von Hofmannsthal. Die literarische Gesellschaft, die seinen Namen trägt und ihren Sitz in Deutschland hat, veranstaltete in Basel die 18. internationale Tagung in Kooperation mit den Universitäten Zürich und Basel. Hochkarätige Forscherinnen und Forscher aus Deutschland, Österreich und der Schweiz versammelten sich im Deutschen und Englischen Seminar der Universität Basel, um zweieinhalb Tage über die verschiedenen Fassungen der „Turm“-Dramen Hofmannsthals zu referieren und intensiv zu diskutieren. Fast zehn Jahre lang, von 1918 bis 1927, arbeitete Hugo von Hofmannsthal an diesem Trauerspiel, das unter dem Einfluss von Calderons „Das Leben ein Traum“ stand und von der Kritik als Hofmannsthals künstlerisches Testament bezeichnet wurde.
Nach der Eröffnung der Tagung durch Prof. Dr. Alexander Honold (Basel) begrüßte Prof. Dr. Heinz Rölleke (Neuss) die Anwesenden in seiner Eigenschaft als Vorsitzender der Hofmannsthal-Gesellschaft. Er wies darauf hin, dass die 1968 gegründete Hofmannsthal-Gesellschaft diesmal Basel als Austragungsort der Tagung wählte, weil sich der österreichische Dichter 13 Mal in dieser Stadt aufgehalten hat. Prof. Dr. Sabine Schneider (Zürich) machte anschließend die thematische Einführung und hob hervor, dass der späte Hofmannsthal mit Begriffen wie Utopie, mitteleuropäische Fantasien und konservative Revolution zu assoziieren ist. Somit spanne sich der Bogen von der Moderne bis zum Nationalsozialismus, da die „Turm“-Dramen laut Thomas Mann einen „finsteren Zeitenspiegel“ darstellen.
Der Erste Weltkrieg wird von Hofmannsthal nicht nur in der Komödie „Der Schwierige“, sondern auch in den „Turm“-Dramen thematisiert, so Schneider. Hier wird auf politische Details fokussiert, sodass man von einer Poetik des Wissens und des Politischen sprechen kann. In den „Turm“-Fassungen geht es um Herrschaft und Führerschaft, wobei die Anspielungen auf den Untergang der Habsburgermonarchie deutlich sind. Die Bedeutung der Dramen liege außerdem in der Vielfalt der darin widergespiegelten literarischen Strömungen, so die Rednerin. Während die erste Fassung romantisch ist, wirkt die zweite politisch. Das Alte und das Neue, Romantik und Moderne werden im Sinne der hofmannsthalschen Poetologiekonzeption vereint. Auch psychoanalytische Aspekte sowie diskurshistorische Verbindungen und rezeptionsästhetische Überlegungen sollten während der Tagung artikuliert werden.
Die Beiträge der Referierenden gingen tatsächlich auf die antizipierte Themenvielfalt ein, die dann in den Sitzungen der Arbeitsgruppen vertieft wurde. Während Prof. Dr. Stefan Breuer (Hamburg) in seinem Vortrag auf die Beziehung zwischen Hofmannsthal und Max Weber und dabei die Herrschaftsfigur sowie das Verhältnis zwischen Befehl und Gehorsam näher analysierte, sprach Prof. Dr. Alexander Honold (Basel) über die verschiedenen Facetten des Kriegs. Über das Vorhandensein eines barocken Geistes im „Turm“, den Max Reinhardt würdigte, sowie über die Ambivalenz der Gestalten Julian versus Sigismund, die Walter Benjamin begeisterte, referierte Prof. Dr. Nicola Gess (Basel). Dass in den Turm-Fassungen das Vorkommen einer Vielzahl von Tieren (ca. 170!) festzustellen ist, lässt auf das anthropologische Denken Hofmannsthals schließen, wie Prof. Dr. Roland Borgards (Würzburg) in seinem Vortrag zeigte, der auf den Zusammenhang zwischen der politischen Theorie sowie der Metaphern- und Tiertheorie einging.
Über das Konzept des „Turms“ als Lösung für die Gesellschaftskrise, über das Sakrale im Sinne eines Mysterienspiels und die Theatralität der ersten Fassung im Unterschied zur zweiten berichtete Prof. Dr. Hans-Thies Lehmann (Frankfurt/Main). Ausführungen über das Rollenspiel als Instrument der Machtführung und die Angst Hofmannsthals vor dem Wertevakuum standen im Mittelpunkt des Vortrags von Prof. Dr. Roland Innerhofer (Wien), der den „Turm“ im Kontext der österreichischen Literatur und deren Traditionen beleuchtete. Zur Modernität der „Turm“-Dramen in poetischer und wissenschaftshistorischer Sicht lieferte Prof. Dr. Christoph König (Osnabrück) Informationen. Auf die Führergestalt als kontaminierten Begriff wies Prof. Dr. Ulrich Fröschle (Dresden) hin, dessen Vortrag räumliche und zeitliche Konzepte des Führerbegriffs zur Diskussion stellte und, vom Habsburgermodell und Führungsdiskurs in der Zwischenkriegszeit ausgehend, auf die politische Religion des Kommunismus und die Vorahnung des Nationalsozialismus rekurrierte.
Die erste von Marion Mang (Wien) geleitete Arbeitsgruppe thematisierte die Souveränität und Gestik in den „Turm“-Dramen, die zweite Arbeitsgruppe unter der Leitung von Dr. Alexander Mionskowski (Berlin) nahm Bezug auf Hofmannsthal und die Massen der Moderne. Die dritte, von Dr. Ute Nicolaus (Berlin) moderierte Arbeitsgruppe, ging dem politischen Denken in Hofmannsthals „Turm“-Dichtungen nach.
Ein Höhepunkt der Tagung war die Vorstellung des 2013 im Göttinger Wallstein Verlag erschienenen Briefwechsels zwischen Hugo und Gerty von Hofmannsthal und Hermann Bahr durch die Herausgeberin, Prof. Dr. Elsbeth Dangel-Pelloquin (Basel). Der kommentierten Lektüre einiger aufschlussreicher und humorvoller Textauszüge aus der zweibändigen Ausgabe im eindrucksvollen Ambiente des Wildt’schen Hauses wurde heftiger Beifall geklatscht. Von literarhistorischer Relevanz war auch die von Dr. Konrad Heumann eingeleitete Vorführung des Hörspiels „Der Turm“ in der Regie von Ludwig Cremer, mit Musik von Bernd Alois Zimmermann, eine Produktion des Nordwestdeutschen Rundfunks aus dem Jahr 1954.
Obwohl die „Turm“-Dramen nicht vollendet sind, oder vielleicht gerade deshalb, bieten sie weiterhin viel Stoff für Interpretationen und zeichnen sich durch eine besondere Aktualität aus. Viele Fragen, die sich die Referierenden auf der Tagung stellten, bleiben offen wie das Ende aller „Turm“-Fassungen, sichern aber der Hofmannsthal-Forschung zweifelsohne eine Zukunft. Die Tagung hat jedenfalls Hofmannsthals geistiges Vermächtnis, die Notwendigkeit des Theaters und des Fiktiven, unter Beweis gestellt. Die Kritische Ausgabe der Sämtlichen Werke Hugo von Hofmannsthals geht auf die Initiative von Rudolf Hirsch (1905-1996), dem ehemaligen Geschäftsführer des S. Fischer-Verlags und Nachlassverwalter Hofmannsthals, zurück, der das Hochstift 1963 von der Notwendigkeit einer Gesamtausgabe überzeugen konnte. Die ersten beiden Bände erschienen 1975. Rudolf Hirsch nahm 30 Jahre lang als Spiritus Rector an den Editionsarbeiten teil.
Seit 1989 leitet der Wuppertaler Germanist, Prof. Dr. Heinz Rölleke, die editorischen Arbeiten, der nun nach langjähriger erfolgreichen Tätigkeit als Vorsitzender der Hofmannsthal-Gesellschaft aus dem Amt zurücktrat. An seine Stelle wurde auf der diesjährigen Tagung in Basel Prof. Dr. Alexander Honold von der Mitgliederversammlung einstimmig gewählt. Zu den aktuellen Entwicklungen der kritischen Ausgabe informierte Rölleke, dass in den Jahren 1969-2008 die Ausgabe finanziell maßgeblich von der Deutschen Forschungsgemeinschaft gefördert wurde und inzwischen vom Deutschen Literaturfonds und der S. Fischer Stiftung unterstützt wird. Die Kritische Ausgabe geht ihrem Abschluss entgegen. 38 Bände liegen bereits vor. 2014 wird ein weiterer Band folgen. Am Ende werden 42 (Teil-)Bände mit insgesamt etwa 25.000 Druckseiten vorliegen. Näheres über die Hugo-von-Hofmannsthal-Gesellschaft ist unter hofmannsthal.de zu erfahren.