Langsam formiert sich der prachtvolle Trachtenzug vor dem Haus des Deutschen Forums in Gura Humora. Das neunte Buchenlandtreffen am 30. Juli beginnt wie üblich mit einem festlichen Aufmarsch durch die Straßen des Städtchens. Vorne weg die Blasmusikkapelle “Harmonie” aus Bistritz, dann letzte organisatorische Eingriffe: “Wo sind die Kleinen aus Siret?” ruft eine aufgebrachte Stimme. Schon werden herausgeputzte Dreikäsehochs nach vorne geschoben, die Mädchen mit bunten Schürzenkleidern und Dutt, die Knäblein mit feschem Hut. Sie fassen sich paarweise an den Händen und zappeln aufgeregt herum: gleich gehts los! Die etwas älteren “Sächsinnen” aus Bistritz in ihren edlen weißen Kleidern, nur mit einem losen Band und schwarzer Stickerei verziert, plappern munter durcheinander. Es sind die Schülerinnen des deutschen Gymnasiums.
Suceava, Piatra Neamt, Gura Humora, Kimpulung... jede Gruppe brilliert in anderen Farben. In ihren prachtvollen Kleidern leben sie weiter, die alten Buchenländer, die es heute vor Ort im Original kaum noch gibt. Als sich der fröhliche Festzug in Bewegung setzt und musizierend in Richtung Kulturhaus zieht, hört selbst der wolkenverhangene Himmel für eine Weile zu weinen auf.
Das neunte Buchenlandtreffen ist gleichzeitig das dritte “Treffen der deutschen Chöre und Tanzgruppen aus dem Buchenland”, wie ein Banner über der Bühne verrät. Die Mitglieder der Tanz- und Gesangsgruppen sind meist Kinder aus deutschen Schulen oder Nachfahren gemischter Ehen in allen Altersklassen, die das deutsche Brauchtum im rumänischen Alltag in Form von Folklore weiterpflegen - oder auch neu entdecken. Die Teilnehmer an dem Treffen kommen aus Suceava, Gura Humora, Vatra Dornei, Moldovi]a, Kimpulung, Piatra Neam], Siret und Bistritz. Dieses Jahr fehlten einige der sonst üblichen Besucher aus Deutschland, die bereits im Juni zum 200-jährigen Jubiläum der Kirche “Heilige Dreifaltigkeit” - der ältesten katholischen Kirche in der Bukowina – nach Gura Humora angereist waren. Auch die sonst gerne anreisenden Chernowitzer Teilnehmer mussten zuhause bleiben – die ukrainische Post hat wohl die Einladungen verschlampt.
Carmen Morosan, Vorsitzende des Ortsforums Gura Humora, eröffnete die Veranstaltung, die Antonia Maria Gheorghiu (Vorsitzende des Regionalforums Buchenland) moderierte. Ansprachen hielten Unterstaatssekretär Helge Dirk Fleischer (Rumänische Regierung, Abteilung für interethnische Beziehungen), Prof. Carol König (Kulturministerium, Abteilung für internationale und interkulturelle Beziehungen), Vizebürgermeister Alexandru Balau sowie der aus Gura Humora stammende Mathematikprofessor Karl Prelitsch, der seit 35 Jahren in Deutschland lebt, jedoch jedes Jahr mindestens einmal in die alte Heimat reist. König unterstrich in seiner Rede die Bedeutung dieses Treffens als kultureller Akt, der während Fleischer die Teilnehmer aufrief, sich bei der im Herbst stattfindenden Volkszählung offen zu ihrer Volkszugehörigkeit, Sprache und Religion zu bekennen. Die Bukowina sei eine “Integrationsidee” und damit auch für Europa ein wichtiges Beispiel. Karl Prelitsch berichtete in einer humorvollen Rede von seinem ersten selbstverdienten Taschengeld als Ministrant in der katholischen Kirche, von späteren Jahren als Mathematiklehrer an den deutschen Schulen in Temeswar und Bistritz. Heute lebt Prelitsch in Nürnberg.
Die Tanz- und Gesangsveranstaltungen begannen mit der Bistritzer Blasmusikgruppe “Harmonie”, die vor allem mit “Rosamunde” stürmischen Applaus erntete. Dann stürmten die kleinen Trachtenpaare des deutschen Kindergartens aus Siret die Bühne. Die Überzahl der Mädchen in der Bistritzer Volkstanzgruppe “Regenbogen” wurde dadurch kompensiert, dass ein paar weibliche Mitglieder in strammen schwarzen Hosen als Burschen herhalten mussten – ein charmanter Kunstgriff, der dem Reiz der Darbietung keinen Abbruch tat. “Das Wandern ist des Müllers Lust” wurde noch mit leichtem Akzent vorgetragen, doch eroberte der Chor des Forums Gura Humora mit “Ich habe Freude, Freude, Freude im Herzen/ Ich bin so glücklich/ Ich bin so froh” das spontan mitklatschende Publikum im Sturm.
Der Gitarrist der Chor- und Tanzgruppe “Edelweiß” aus Piatra Neamt versuchte sich gar im Jodeln, während das Gesangshighlight des Tages – dem Applaus zufolge – die gleichnamige Chorgruppe aus Kimpulung bildete: “Rote Rosen, rote Lippen, roter Wein” und “Blau blüht der Enzian” geht eben doch noch vielen Menschen ins Blut. So wundert es nicht, dass der Leiter des Deutschen Forums in Bistritz, Thomas Hartig, spontan die Bühne erklomm und die Gruppe mit einer Einladung für den nächsten Bistritzer Ostermarkt überraschte.
Den schwungvollen Abschluß bildeten zwei Tanzgruppen aus Suceava, “Bunte Rose” und “Lebenbuntheit” - letzterer Name vielleicht ein wenig eigenwillig, doch die jungen Tänzer bezauberten durch die Leichtigkeit, mit der Mädchen und Burschen über die Bühne flogen.
Nach dem Mittagessen im Deutschen Forum endlich Zeit für ein paar Gespräche: Im Hof steuern wir zielsicher auf eine ältere Dame mit prachtvoller roter Tracht zu. Nein, sie sei keine Deutsche, verrät die fast Achtzigjährige und lächelt charmant in die Kamera. Ihr Mann präsentiert sich stolz als viertel Schwabe, viertel Rumäne und halber Italiener. Sein Vorname, Brunello Helmuth Octavian, reflektiert seine multikulturelle Identität in korrekter Reihenfolge – gerufen wird er einfach “Hedi”. Valeria Moscaliuc hingegen hat kein schwäbisches Blut in ihren Adern, dafür spricht sie hervorragend Deutsch. Die junge Frau ist Lehrerin an einer deutschen Schule und leitet die “Infostelle Schwaben” in Suceava, eine Initiative aus Deutschland, um touristische und historische Informationen zu verbreiten. 2009 improvisierte sie anläßlich einer Veranstaltung mit ihren Schülern ein paar deutsche Volkstänze. Den jungen Leuten machte das Gehüpfe so viel Spaß, dass ratzfatz eine feste Gruppe entstand: die “Lebenbuntheit”.
Beim Mittagstisch sitzen wir dann einem Paar aus Deutschland gegenüber, das es zufällig zum Buchenlandtreffen verschlagen hat: Geschichtsprofessor Kai Brodersen von der Uni Erfurt und seine Ehefrau reisen immer wieder nach Rumänien in Urlaub, seit ihre Tochter Edna ein Freiwilligenjahr am Haltrich Gymnasium in Schässburg absolviert hat. Im Schlepptau zweier befreundeter Pfarrer steht ihnen eine Rundreise durch die Bukowina bevor.
So bunt wie die Besucher des Buchenlandtreffens ist auch das Sprachgemisch. Als es irgendwann durchs Mikro schallt, “nun sagen wir nocheinmal schönen Glück!”, entlockt einem dies ein freundliches Schmunzeln. Doch man spürt Freude an den deutschen Wurzeln, auch wenn es vielerseits nur noch Würzelchen sind, die an diesem Tag aufleben, mit Gemeinsamkeit und Gesang: “Ich habe Freude, Freude, Freude in meinem Herzen!”