In der deutschen Hauptstadt hat am Donnerstag die nunmehr 70. Ausgabe des Filmfestspiels Berlinale begonnen. Das bedeutet, dass für die kommenden 10 Tage die cineastische Welt mit etwa 350 Produktionen in Berlin einkehrt, Stars und Sternchen den roten Teppich bevölkern, und ein Publikum aus aller Welt circa 300.000 Tickets für Filme aus aller Welt kauft, die von einer Jury aus aller Welt rund um die britische Schauspiel-Legende Jeremy Irons begutachtet und von denen einige schließlich mit silbernen und goldenen Bären prämiert werden werden.
Auch dieses Jahr erfährt die Berlinale Bereicherung von rumänischer Seite: So wird die neu hinzugekommene Wettbewerbs-Sektion „Encounters“ mit der Weltpremiere von Cristi Puius Werk „Malmkrog“ eröffnen. Diese Rubrik wurde ins Leben gerufen, um ästhetisch und formal ungewöhnlichen Werken unabhängiger Filmschaffender eine neue Plattform zu bieten. Einige wenige Spiel- und Dokumentarfilme ab einer Laufzeit von 60 Minuten werden präsentiert und drei Preise ausgelobt.
Damit hat Encounters einen ähnlich experimentellen Fokus wie die Sektionen „Un Certain Regard“ beim Filmfestspiel von Cannes oder „Orizzonti“ beim Kinofestival von Venedig.
Einen weiteren Programmpunkt aus Rumänien bildet die internationale Premiere von Radu Judes Arbeit „Tipografic majuscul/Uppercase Print“. Sie wird im Rahmen des Berlinale Forums gezeigt und erzählt die Geschichte eines Schülers, der im Jahre 1981 in der rumänischen Stadt Boto{ani Parolen an Wände schreibt, mit denen er Freiheit für die Bevölkerung fordert.
Dies ist nicht der einzige Film, mit dem der junge Regisseur beim Festival vertreten ist: Auch das Werk „Ie{irea trenurilor din gară/The Exit of the Trains“, das Jude in Co-Regie mit Adrian Cioflâncă umgesetzt hat, feiert hier Weltpremiere. Der beinahe dreistündige Dokumentarfilm thematisiert das von Ion Antonescu 1941 angeordnete Pogrom von Jassy. Die Liste der Namen, begleitet von Fotografien aus etwa Familienalben sowie Erklärungen zum Los einzelner Opfer verwandelt die abstrakte Zahl von 13.000 Ermordeten in fassbare Geschichten.
Radu Jude und Adina Pintilie stellen darüber hinaus ihre Ideen beim „Co-production Market“ vor, einer Veranstaltung, bei der sich die Produzenten von 36 Spielfilmprojekten aus 34 Ländern auf die Suche nach Produktionspartnern begeben. Während Pintilie ihr Werk mit dem Arbeitstitel „Death and the Maiden“ bewirbt, sucht Jude sein filmisches Vorhaben „Sleepwalkers“ zu realisieren.
Zudem ist die rumänische Produzentin Irina Malcea bei den „Berlinale Talents“ vertreten. Hierbei handelt es sich um ein Talentförderprogramm unter Beteiligung von 250 aufstrebenden Filmemachern und Serienschöpfern aus aller Welt. Schließlich und endlich ist Rumänien mit einem eigenen Stand beim „European Film Market“ vertreten.
Für Liebhaber des rumänischen Kinos hält die Berlinale demnach einige Perlen bereit. Und auch sonst wartet das Festival neben seinem weltumspannenden filmischen Programm und dem Wettbewerb noch mit vielen anderen Veranstaltungen auf, die der Vergangenheit ebenso wie der Zukunft des Kinos zugewandt sind – wie etwa „Perspektive Deutsches Kino“ oder „Retrospektive Berlinale Classics“. Gespräche zwischen Filmschaffenden gibt es bei „On Transmission“, einer Rubrik, bei der in sieben Tagen Diskussionen zwischen 14 Filmemachern stattfinden.
Diese Reihe ist Teil der Kategorie „70 Jahre Berlinale“, welche einige Veranstaltungen im Vorfeld der Berlinale umfasste, beispielsweise die deutsche Erstaufführung eines Klavierquartetts des amerikanischen Filmkomponisten Danny Elfman oder das 14. Akademiegespräch, das der provokanten Frage „Wozu Filmfestivals?“ nachging.
Eine Frage wiederum, die bei all den Festivitäten rund um den 70. Geburtstag der Berlinale nicht wirklich gerne zum Gegenstand breiterer öffentlicher Diskussion gemacht wird, wohl weil sie die Feierlaune empfindlich stört, betrifft die kürzlich aufgedeckte Vergangenheit des ersten Festival-Leiters Alfred Bauer, der dem Kulturereignis von 1951 bis 1976 vorstand. Seit 1987 wurde bei der Berlinale ein Preis verliehen, der seinen Namen trug – zuletzt als einer der sieben silbernen Bären. Nun deckte „Die Zeit“ auf, dass Bauer in seinem Entnazifizierungsverfahren nach dem Zweiten Weltkrieg wohl erfolgreich verschleiert und gelogen hatte – sowohl was seine Zugehörigkeit zum Nationalsozialistischen Deutschen Studentenbund betrifft, als auch über seine Mitgliedschaften in der SA und der NSDAP. Zudem bekleidete er in der Reichsfilmintendanz unter Joseph Goebbels die hierarchisch hohe Position des Referenten, so dass er unter anderem darüber entschied, welche Filmschaffenden in den Zeiten des sogenannten „Totalen Krieges“ an die Front geschickt wurden, welche in die Rüstungsindustrie mussten und welche als Unabhängige freigestellt wurden. In gewisser Weise war er also Herr über Leben und Tod und verlas die dem Staatsapparat und seiner Propaganda dienlichen Filmemacher von Hand.
Dem aus diesen Erkenntnissen resultierenden öffentlichen Druck konnten die Macher der Berlinale nicht mehr ausweichen. So gab die Festival-Leitung eine Untersuchung des Falls beim Institut für Zeitgeschichte (IfZ) in Auftrag. Zudem wurde verkündet, die Vergabe des Alfred Bauer-Preises nicht nur – wie ursprünglich angedacht – auszusetzen, sondern diesen gänzlich durch einen Sonderpreis zu ersetzen.
So bleibt zu hoffen, dass in den nächsten Jahren eine intensivere Auseinandersetzung mit der eigenen Vergangenheit dieses geschichtsträchtigen Filmfestspiels stattfinden wird. Vielleicht sogar in Form eines Spiel- oder Dokumentarfilms, der dann nicht nur die glorreichen, sondern auch die schattigeren Seiten des traditionsreichen Großereignisses beleuchtet.
Einstweilen bleibt dem Besucher nur, sich in den kommenden 10 Tagen an der Diversität dieses bunt gemischten Kulturfests zu erfreuen.
Die ADZ wird die nächsten Tage immer wieder hiervon berichten – mit besonderem Augenmerk auf die aus Rumänien stammenden Beiträge.