Im 18. und 19. Jahrhundert bezeichnete man diejenigen deutschen Künstler und Schriftsteller, die sich längere Zeit in Rom aufhielten oder Rom gar als ihre zweite Heimat betrachteten, als Deutschrömer. Den 1925 in Rosenau/Râşnov bei Kronstadt/Braşov geborenen Schriftsteller Hans Bergel könnte man, in Anlehnung an diese bedeutende Tradition der deutschen Literatur- und Kulturgeschichte, mit Fug und Recht als Rumäniendeutschrömer bezeichnen, insbesondere wenn man seine jüngst in der Berliner Edition Noack&Block erschienenen Reiseaufzeichnungen zur Hand und in den Blick nimmt.
Hans Bergels „Europäische Impressionen“ betitelten Reisenotizen schlagen den Bogen von Siebenbürgen nach Italien, von Hermannstadt, Kronstadt und Klausenburg über Bukarest und München zur Ewigen Stadt. Dementsprechend gliedert sich der schmale Reiseband, der durch eine Vielzahl von Farb- und Schwarzweißfotos, eine Zeichnung und zwei Reproduktionen von Leseabendplakaten verschönt und bereichert wird, in zwei Teile: „Siebenbürgische Reflexionen. Von Straßen, Städten und Heiducken“ und „Römische Momente. Von Pinien, Fresken und Palazzi“.
Verbunden sind die beiden Teile der Bergelschen „Reisebeobachtungen zwischen Klausenburg und Rom“, wie der Untertitel des Bändchens lautet, auf vielfältige Art und Weise. So erweckt beispielsweise ein von J. Fischer aufgenommenes Foto von den Fogarascher Bergen, das auf Seite 13 des Reisebüchleins wiedergegeben ist, den Eindruck, als erblicke man unter der ausladenden Krone einer Pinie das Massiv der Albaner Berge. Und so, wie sich einst die Deutschrömer nicht nur in Rom, sondern auch in deutschen Gefilden begegnet sind, so trifft sich der Rumäniendeutschrömer Hans Bergel mit seinen rumänischen Freunden auch in Rom.
Die Kunst Siebenbürgens tut ein Übriges, um für den Wissenden auch in der Ewigen Stadt präsent zu sein: So erkennt der Reisende in Michelangelos Pietà die Pietà Ulrichs von Kronstadt wieder, und der Moses von Michelangelo, der schon Sigmund Freud fasziniert hatte, weckt in Hans Bergel die Erinnerung an Gestalt und Haltung der Skulptur Johannes des Täufers am Flügelaltar in Radeln/Roadeş, die heute in der Johanneskirche in Hermannstadt/Sibiu bewundert werden kann. Schön auch, dass man die ikonografischen Assoziationen Bergels in dem Reiseband auf mehreren Fotos (vgl. S. 110) nachverfolgen und nachvollziehen kann!
Der Schlüssel zu dieser von Bergel intensiv gelebten Interkulturalität liegt für den Autor selbst in Siebenbürgen, in seinen beiden Heimatstädten Hermannstadt und Kronstadt. „Ob ich mich in Salzburg oder Goslar, in Siena oder Avignon, in Reval oder Tongeren aufhielt – ich erkannte meine Heimatstädte in ihnen wieder. Sie formten das abendländische Segment meines europäischen Bewusstseins mit einer Klarheit, die jener mancher Westeuropäer überlegen ist, weil ich sie von Kind an im täglichen Vergleich inmitten anderer, östlicher Völker gewann.“ (S. 58)
Der siebenbürgische Teil des Bergelschen Reisebändchens ist überreich an Beobachtungen, Reflexionen und Erinnerungen. Autofahrten und Stadtspaziergänge, Begegnungen mit einer Vielzahl von Menschen, Wiedergaben von Gesprächen, Berichte von eigenen Vorträgen und Lesungen, Lobreden auf befreundete rumänische Germanisten, Auseinandersetzungen mit der politischen Vergangenheit des Landes und der eigenen, ganz persönlichen: Erinnerungen etwa an die Treffen im ehemaligen Literatencafé Capşa im Bukarest der fünfziger Jahre mit Oskar Walter Cisek, Erwin Wittstock und Alfred Margul-Sperber.
Aber auch die Gegenwart Rumäniens wird bedacht. „Die Tragödie des Landes, als dessen Gast ich im ‚Capşa’ sitze, ist nur noch vordergründig der Schutt, in den es durch vierzig Jahre Marxismus und die biologische Ausrottung seiner einstigen Eliten moralisch und wirtschaftlich verwandelt wurde. Es ist die nachrevolutionäre Zäsur: die Erfahrung des nicht steuerbaren Missbrauchs der Demokratie. Die Flucht aus dem Land allzu vieler der Besten als dessen Folge. Die Preisgabe der Ideale, der Maßstäbe.“ (S. 25)
Und dann plötzlich: Szenenwechsel! „Abflug nach Rom. Aus der Welt der lateinischen Rumenità in die der lateinischen Italianità.“ (S. 73) Auch hier, in der Ewigen Stadt, wieder: Begegnungen, Gespräche, Lesungen, gemeinsame Spaziergänge, Pflege von Freundschaften, Erinnerungen an früher gewesene Tage. Doch die Gegenwart Roms, die bereits Goethe überwältigt hatte, überstrahlt auch Bergels Romaufenthalt, etwa beim Besteigen des Palatin an einem trüben Wintermorgen: „Doch als dann die Mittagssonne den Dunstflor aufgesaugt hatte, lag der von den Millennien durch- und durchgerüttelte Kern des alten Rom als eine plötzlich auflodernde Lichtoffenbarung unter uns. Sie riss alles an sich. Auch das soeben noch verwaschene Mosaik der Hausdächer bis hinüber zum Dom. Es gewann eine farbige Bewegtheit, als lebte es. Die Verwandlung erschien uns unwirklich, ja unfassbar.“ (S. 83)
Bergel lässt in seinen „Europäischen Impressionen“ die Geschichte und Gegenwart Roms auferstehen, und die deutsche wie rumänische Literatur-, Kultur- und Geistesgeschichte ist dabei immer präsent: Rezzori, Iorga, Bergengruen, Gregorovius, Tischbein, und immer wieder Goethe. Auch der Abschied aus Rom steht im Zeichen des großen Italienreisenden der deutschen Klassik. „Die vollen Gläser in der Hand, war mir von Goethes ungezählten Äußerungen über die Stadt als Trinkspruch diese eingefallen: ‚Anderer Orten muss man das Bedeutende aufsuchen, hier werden wir davon überdrängt und überfüllt.’“ (S. 119f.)
Drei starke Wochen im November und Dezember 2006 umspannen die Bergelschen Reisenotizen aus Siebenbürgen und Rom: auf zehn Dutzend Seiten. Vom selben Autor sind im Berliner Verlag Frank&Timme, ebenfalls vor Kurzem, dessen „Tagesaufzeichnungen 1995 bis 2000“ erschienen, mit dem Übertitel: „Notizen eines Ruhelosen“: auf fast tausend Seiten. Hoffen wir und wünschen wir Hans Bergel, dass seine Ruhelosigkeit, die solche literarischen Werke gebiert, ihm noch lange erhalten bleiben möge.
Hans Bergel: „Europäische Impressionen. Reisebeobachtungen zwischen Klausenburg und Rom“, Edition Noack&Block in der Frank&Timme GmbH, Berlin 2014, 128 S., ISBN: 978-3-86813-022-5, 14,80 Euro.
Hans Bergel: „Notizen eines Ruhelosen. Tagesaufzeichnungen 1995 bis 2000“, Verlag Frank&Timme, Berlin 2014, 968 S., ISBN: 978-3-73290-088-6, 49,80 Euro.