Haben Sie zu Silvester die Sektkorken knallen lassen? Mit echtem Champagner angestoßen oder bevorzugen Sie die einheimischen Schaumweine – vielleicht sogar den Rhein Extra – Brut Imperial? Damit befänden Sie sich in bester Gesellschaft, denn dieser Winzer-Sekt aus der Kellerei Rhein & Cie 1892 Azuga im Prahovatal wurde bereits zur Krönungszeremonie von Ferdinand am 15. Oktober 1922 getrunken. Damals durfte sich die Kellerei mit dem Titel eines Hoflieferanten schmücken. Rumänien war das vierte Land nach Frankreich, Deutschland und Russland, das Schaumweine nach dem berühmten Verfahren der Champagne, der traditionellen Flaschengärung, herstellte. Heute darf der Name Champagner in keiner Form für Schaumweine, die außerhalb der Champagne hergestellt werden, verwendet werden. Aber noch 1917 stand in einem Bericht des österreichischen Handelsmuseums unter Champagnerproduktion:
„Die bei Rhein abgelagerten rumänischen Weine werden zu den besten im Lande gerechnet. Champagner wird durch Naturgärung erreicht und dauert die Bereitung 4 1/2 Jahre. Da die rumänischen Weine sich für Champagnererzeugung besonders gut eignen, die Fabrikation Kunstmittel absolut ausschließt und die Reinlichkeit der Arbeit mit besonderer Sorgfalt beobachtet wird, gelingt es der Firma, einen Wein zu erzeugen, dem im ganzen Land nur ein Vorwurf gemacht wird, daß er keine französische Marke trage. Der Jahresabsatz beläuft sich auf zirka 250.000 Flaschen.“ (http://scans.library.utoronto.ca/pdf/3/12/rumnienlandesu00stuoft/rumnienlandesu00stuoft.pdf)
Daran hat sich wenig geändert. Seit die Firma Halewood Wineries im Zuge einer Versteigerung den staatseigenen Betrieb übernahm, konnte der Mythos der ältesten Sektkellerei Rumäniens wieder hergestellt werden. Ihre Schaumweine erzielen heute höchste Auszeichnungen und selbst den Titel eines Hoflieferanten des rumänischen Königshauses verteidigt Halewood seit 2006 immer wieder erfolgreich. Wer oder was verbirgt sich jedoch hinter dem so vertraut klingenden Namen „Rhein“?
Da trifft es sich gut, dass „Rhein“ nicht nur eine bekannte Marke darstellt, sondern dass die Kellerei in Azuga auch einen Pensionsbetrieb unterhält, inklusive Verkostung und Führung.
Azuga, am gleichnamigen Nebenfluss der Prahova verkehrsgünstig zwischen Kronstadt und Bukarest gelegen, ist heute mehr durch seine höher gelegenen Ski-Resorts bekannt. Das Örtchen selbst empfängt den Besucher heute eher mit dem morbiden Charme postkommunistischer Industriebrachen. Umso überraschender, wenn man von der Straße auf das parkähnliche Pensionsgelände einbiegt und sich inmitten von recht pittoresken Wirtschaftsgebäuden und Pavillons wiederfindet. Die Gästezimmer tragen stilecht Namen wie „Sauvignons“ oder „Chardonnay“, das angegliederte Restaurant bietet gutbürgerliche Küche.
Kaum vorzustellen, dass Ende des 19. Jahrhunderts hier regelrechte Goldgräberstimmung herrschte. Aber Karl I. bot Unternehmern aus Siebenbürgen, die aufgrund des Handelskrieges zwischen Rumänien und der k.u.k-Monarchie in Bedrängnis geraten waren, exzellente Konditionen. Nur wenige Kilometer von der Grenze zu Siebenbürgen entfernt, an der Haupthandelsstraße gelegen, ausreichend Bergwasser für vielfältige Unternehmungen, Kron-Land, das günstig gepachtet werden konnte, und natürlich die Nähe zu den neu entstehenden Schlössern in Sinaia führten innerhalb kürzester Zeit zur Ansiedlung unterschiedlichster Industrien. Als erste siedelte sich eine Glashütte, dann Zementfabriken, aber auch Wurst- und Käsefabriken und eine Brauerei hier an. Das „Bere-Azuga“ war weithin berühmt, auch wegen des guten Wassers, mit dem es gebraut wurde. Vor allem die Familien Schiel, Ganzert, Scheeser und Rhein waren hier federführend, ein „Kränzchen“ und vielfach familiär miteinander verbunden, wie sich Carl Ganzert in seinen Memoiren gerne erinnert. Peter Scheeser und Wilhelm Rhein gründeten 1886 zunächst eine Tuchfabrik, für die Ganzert und Schiel Maschinen lieferten.
Peter Scheeser erinnert sich in seinen Memoiren (Peter Scheeser, der letzte Lehrjunge der Kronstädter Tuch- und Raschmacherzunft – Neue Kronstädter Zeitung, 30.9.2009) an die Pionierleistung, als es in Azuga noch nicht viel mehr als ein paar Wirtshäuser gab. Heinrich Rhein, der Bruder von Wilhelm, betrieb die rasch eingerichtete Kantine und heiratete später die Schwester von Carl Ganzert. Er war es auch, der später die Wein- und Sektkellerei erbaute. Die Informationen hierzu sind widersprüchlich, meist wird Wilhelm Rhein als Gründer genannt, aber in den Memoiren von Ganzert ist Heinrich, der Bruder von Wilhelm, derjenige, der nach dem Ersten Weltkrieg von Deutschland nach Azuga zurückkehrte, um sich wieder ganz der Produktion von Schaumwein zu widmen, nicht zuletzt weil der Weinkeller als einziger noch stehengeblieben war. Jedoch wurde die Firma nun in eine Aktiengesellschaft umgewandelt, an der allerdings alle Verwandten und Bekannten Anteile zeichneten. Diese kunstvoll gestalteten Aktienscheine gehören zu den Ausstellungsgegenständen in dem heute zu besichtigenden Weinkeller.
Der Weinkeller stellt allerdings ein Unikum dar, da er über der Erde, allerdings mit ca. 1,5 Meter dicken Wänden erbaut wurde. Eine natürliche Luftzirkulation sorgt dafür, dass sich der bekannte Edelschimmel bildet und ein Mikroklima mit konstanten Temperaturen zwischen 4 und 13 Grad entsteht. Unabdingbar für die traditionelle Flaschengärung. Ein Führer erläutert ausführlich, wie und wozu die Rüttelpulte dienen. Der wichtigste Faktor bei der Schaumweinherstellung ist, neben dem perfekten Cuveé aus Premiumweinen – hier auf der Basis von Chardonnay mit Anteilen von Königsast/Fetească Regală und Riesling aus den Weinanbaugebieten um Mühlbach/Sebeş in Siebenbürgen für den Brut Imperial – die Zeit. Denn je besser und länger die Flaschengärung währt, desto feinperliger das Produkt aus dem durch die zugefügte Füll-Dosage aus Hefe und Sirup in Gang gesetzten Fermentierungsprozess. Neun Monate sollten es schon sein. Auch die Dosierung des Zuckersirups ist entscheidend, hier gilt: je weniger desto besser. Extra brut bedeutet weniger als 6 Gramm Zucker pro Liter. Damit die Hefe in den Flaschenhals wandert, müssen die Flaschen mehrmals am Tag gedreht werden, bis die Hefe durch ein spezielles Verfahren entfernt werden kann. Zurück bleibt der klare, mit natürlicher Kohlensäure versetzte Sekt.
Bei unserem Besuch stand der Rhein Extra Brut Rosé auf den Rüttelpulten, den wir nach eingehenden Erläuterungen auch verkosten durften. Hier und in dem anschließenden kleinen Museum fallen die vielen Fotografien aus der Geschichte des Weinkellers auf, auch alte Werbe-Plakate aus der Zwischenkriegszeit, in der Rhein-Extra praktisch bei keinem größeren Fest fehlen durfte. Bis 1948, als alle Unternehmen enteignet und verstaatlicht wurden, leiteten Heinrich und sein Sohn Otto das Unternehmen. Allerdings diente Azuga auch damals schon der Familie lediglich als Sommerresidenz, während man Wohnort und Hauptsitz der Firma nach Bukarest verlegt hatte. Jedenfalls berichtet Harald Schiel in seinen Kindheitserinnerungen von diesen Besuchen der „Rheinischen“. Die bisweilen kolportierten Gerüchte von den Motorrad-Ausflügen des jungen Prinzen Michael zu den „Rheinischen“ in Azuga stammen wohl auch aus dieser Zeit. Nach dem Zweiten Weltkrieg wanderte die Familie Rhein nach Deutschland aus, und Otto Rhein konnte sein Know-how in die Firma Henkell einbringen.
Verstaatlicht produzierte die Firma vor allem Masse, rund 1,6 Millionen Flaschen pro Jahr, die nach Russland exportiert wurden, wobei man zu verstehen gibt, dass die Entlohnung eher mager ausfiel.
Heute bemühen sich die Betreiber, die Erinnerung an die einstigen Besitzer wach zu halten, sogar ein Treffen mit den Nachfahren der Familie Rhein wurde 2009 in Azuga arrangiert – eine Hommage an diese siebenbürgische Kolonie auf rumänischem Boden, die der industriellen Entwicklung Rumäniens entscheidende Impulse geben konnte und von der nur noch dieser Weinkeller Zeugnis ablegen kann.
Informationen zu der Pension auf der Website:http://www. halewood.com.ro/rom/domenii