Kristiane Kondrat ist als Lyrikerin hervorgetreten – zuletzt 2017, als sie den Publikumspreis für Lyrik der Zeitschrift „Spiegelungen“ gewann. Seither sind einige Jahre vergangen, in denen sich die 1938 in Reschitza als Aloisia Bohn geborene Autorin der Prosa gewidmet hat. Nach dem Roman „Abstufungen dreier Nuancen von Grau“ (2019) ist 2021 der Erzählband „Bild mit Sprung“ erschienen. Aus der Perspektive des Kindes wird eine Familiengeschichte aus dem Banater Bergland entrollt, die Erschreckendes wie Rührendes bietet.
„Es war mein Wunsch gewesen (…), die Landschaft und den Ort meiner Kindheit wie auch die Atmosphäre der damaligen Zeit wieder erstehen zu lassen (…) Doch nicht nur ‚eine Welt, die es so nicht mehr gibt‘, wollte ich in Erinnerung bringen, sondern vielmehr das Kindsein selbst.“ Dieses Versprechen, das die Autorin im Vorwort formuliert, löst sie in ihrem Buch ein. Die Erwachsene geht zurück an jenen Ort, wo Vater und Mutter, Tanten und Onkel zu Hause sind, und trifft auf ein Kind, umgeben von Menschen, die wissen: „Ja, ja, wir kommen alle auf den Hätschelberg“. Dem Kind ist klar: Da die Erwachsenen in „einer schwermütigen Sehnsucht“ schwelgen, wenn sie diesen Satz aussprechen, kann es nur „sehr schön für sie sein (…), auf den Hätschelberg zu kommen und von dort in den Himmel“.
Das Kind vermutet, dass sich in dem „Talkessel“, in dem es lebt, viele seltsame Geschichten zugetragen haben müssen. Anders kann es sich die wechselvolle Gegenwart mit ihren Widersprüchen nicht erklären. Mal lassen die Schüler den König hochleben, mal müssen sie sein Bild abhängen. Die Familie liest „Zeitschriften, in denen sehr viele Soldaten mit Helmen und Gewehren“ vorkommen, doch plötzlich werden diese in die hinterste Ecke der Speisekammer verbannt. Das Kind begleitet die „Gisitant“, wenn sie den „gefangenen Russen“ Essen bringt, versteht aber nicht, warum ausgerechnet die „Russen“ den Vater mit nach „Russland“ nehmen – und mit ihm auch „alle Männer, die zu Hause Deutsch sprachen, und auch einige Frauen“. Eines Tages strömen unbekannte Menschen in den Ort, sie sprechen eine andere Sprache, die dann aber in der Schule „Landessprache“ genannt wird. Da diese „Lehmmenschen“ die Landschaft zerstören und „vaterländische Lieder“ singen, werden sie zu „denen“ deklassiert – zu Namenlosen.
Erfreulich ist, dass neue Spielgefährten in den Ort kommen. In Mundi-Onkels Wohnung ziehen neue Mieter ein: Frau Roth mit ihren beiden Jungs. Hansi spielt Akkordeon und Michl bastelt aus allem, was die Kinder finden, Spielsachen. Lustig ist, wenn Nandi-Onkel vom namenlosen Gänserich der Familie attackiert wird. Doch verwandelt sich das „Federvieh“ in einen Gänsebraten, vergeht dem Kind das Lachen und es möchte wissen, wohin dessen Seele fliegt. „Zur Mimitant nach Orawitz“, so die „Gisitant“ prompt. Ja, die „Gisitant“ ist allgegenwärtig in diesem Erzählband. Kein Wunder, ist sie doch „ein Baum. Ein umfangreicher, wandelnder, polternder, lachender Baum mit knorrigen rauen Ästen, die bis nach unten reichten und an denen man sich festhalten konnte“. An den vielen Metaphern und dem lyrischen Sprachduktus erkennt man die Dichterin Kondrat wieder. Mit der Niederschrift ihrer Kindheitserinnerungen ist ihr ein Prosaband von seltener Schönheit gelungen.