Vom 5. bis 19. November wurde, nun bereits zum sechsten Mal, von der Kulturvereinigung Kitharalogos in Bukarest die Reihe „Gitarrenabende“ veranstaltet, die nicht nur einer interessierten Öffentlichkeit die Möglichkeit bot, hervorragende Gitarren- und Lautenkonzerte zu besuchen, sondern auch an einer fachwissenschaftlichen Konferenz zu interpretatorischen, stilistischen und historischen Fragen der Gitarren- und Lautenmusik teilzunehmen. Darüber hinaus wurden in diesen zwei Novemberwochen für fortgeschrittene Gitarristen Meisterklassen angeboten, die von internationalen Solisten der diesjährigen Konzertreihe geleitet wurden. Dazu zählten etwa Susana Prieto aus Spanien und Alexis Muzurakis aus Griechenland, die unter dem Namen „Duo Melis“ gemeinsam auftreten, ferner Lorenzo Micheli aus Italien, Radu Vâlcu aus Rumänien sowie András Csáki aus Ungarn.
Der einzige Lautenist in diesem Kreise von Gitarristen, der ungarische Instrumentalist, Buchautor und Musikwissenschaftler István Kónya, war im Programm der diesjährigen Folge der „Gitarrenabende“ gleich doppelt vertreten. Er hielt auf der wissenschaftlichen Konferenz, die am 16. November an der Nationalen Musikuniversität Bukarest organisiert wurde, einen Vortrag über stilistische Aspekte des Gitarren- und Lautenspiels im Repertoire des Barock und der Renaissance, und er gab am Abend zuvor ein Solokonzert mit Werken für Barocklaute aus dem 17. und 18. Jahrhundert, das im Ungarischen Kulturinstitut „Balassi Intézet“ in Bukarest stattfand. Der von Kron- und Wandleuchtern erhellte Vortragssaal des Ungarischen Kulturinstituts war an diesem Abend bis auf den letzten Platz besetzt, was den Solisten, der in englischer Sprache durch das abwechslungsreiche Programm des Solokonzertes führte, gleich nach einem ersten, das eigentliche Programm präludierenden, kurzen Musikstück, zu einigen Ausführungen über eine ständige Begleiterscheinung des Lautenspiels veranlasste: nämlich das unablässige Stimmen. Die große Zahl der Konzertbesucher, die kulturell und geistig betrachtet durchaus zu begrüßen sei, gereiche, wegen der durch ihre Körper produzierten Wärme und Luftfeuchtigkeit, dem Lautenvortrag bedauerlicherweise zum Nachteil. Schon der junge Goethe, dessen Vater bekanntlich dem Lautenspiel frönte, habe in einem Brief einmal ironisch bemerkt, er habe seinen Vater die Laute eigentlich niemals spielen, sondern immer nur stimmen gehört.
Das erste Werk des Abends war die Suite in d-Moll für Laute solo von Robert de Visée, der eine herausgehobene Stellung unter den mehr als hundert Lautenisten innehatte, die Ludwig XIV. am Versailler Königshof beschäftigte. Robert de Visée, der zahlreiche seiner Kompositionen dem Sonnenkönig widmete, durfte oder musste seiner Majestät beim Zubettgehen so lange auf der Laute vorspielen, bis dieser eingeschlafen war. Und bei Spaziergängen durch die berühmten Gärten von Versailles hatte Robert de Visée seinem Dienstherrn im Abstand von zwei Metern auf dem Fuß zu folgen, dabei unablässig die Laute schlagend. Mit großer Virtuosität und Hingabe brachte István Kónya dieses aus den fünf Sätzen Prélude non mesuré, Allemande, Courante, Sarabande und Gigue grave bestehende Werk zu Gehör, wobei der Solist die musikalische Form des Eingangssatzes musikhistorisch aus den Bedingungen der frühen französischen Barockmusik mündlich noch näher erläuterte.
Das zweite Stück des Abends stammte von dem deutschen Komponisten und Lautenisten Silvius Leopold Weiss. Der Zeitgenosse Johann Sebastian Bachs, der im selben Jahr wie der berühmte Thomaskantor, aber nicht in Leipzig, sondern in Dresden, starb, war in seiner zweiten Lebenshälfte Kammerlautenist am Hof von August dem Starken, dem Kurfürsten und Herzog von Sachsen. Weiss verfasste über 600 Werke für Sololaute, war aber auch für seine stupende Improvisationskunst berühmt. Zeitgenossen berichten von gemeinsamen Improvisationen Weiss’ und Bachs in Leipzig, bei denen die beiden Musiker zusammen um die Wette phantasierten. István Kónya ließ vier Sätze (Entrée, Menuet, Sarabande, Courante) aus der weitaus umfangreicheren Sonate in a-Moll für Laute solo von Silvius Leopold Weiss erklingen und bereitete damit das Hauptwerk des Konzertabends vor, die unmittelbar darauf folgende Suite in g-Moll für Sololaute, ebenfalls von Silvius Leopold Weiss. In den insgesamt acht Einzelsätzen dieses Werkes entfaltete sich eine überreiche Klangwelt, die der Qualität und der Tiefe der Bachschen Lautenkompositionen in nichts nachsteht, souverän zu Gehör gebracht von István Kónya, der die langsamen Sätze wie Prélude oder Sarabande gekonnt von den schnellen wie Courante oder Gigue abzuheben wusste und dabei die Vielfalt in der Einheit, wie sie der Form der Suite eignet, meisterhaft zum Ausdruck brachte.
Von Blohm de Vienne, dem Komponisten des vorletzten Stücks dieses Konzertabends, ist außer dessen Namen, der damit verbundenen Anspielung auf die Stadt Wien sowie seinen approximativen Lebensdaten 1730 bis 1780 kaum etwas bekannt. Seine Kompositionen liegen heute in Brüssel und harren dort ihrer Veröffentlichung in Druck und Klang. Das Stück, das István Kónya im Ungarischen Kulturinstitut in Bukarest vortrug, war „Galanterie“ überschrieben und umfasste folgende fünf Sätze: A tempo giusto, Menuet, Drôle, Tempo di Polonoise und Vitement. Hier gelang es dem Solisten, auf seiner Barocklaute verblüffende Cembaloeffekte zu erzeugen und die spezifische Klangwelt dieses um ein bis zwei Generationen jüngeren Komponisten, die sich deutlich von der Robert de Visées und Silvius Leopold Weiss’ unterschied, hör-, fühl- und spürbar werden zu lassen.
Das Schlussstück des Abends stammte wiederum von Silvius Leopold Weiss. Es war die Ciacona in g-Moll, die mit ihrer absteigenden Tonfolge stark an Heinrich Ignaz Franz Bibers „Passacaglia“ erinnerte und den gewaltigen Variationsreichtum der Barockmusik dabei eindrücklich vor Augen und Ohren führte. Was für alle Solokonzerte im Allgemeinen gilt, galt auch für den Bukarester Soloabend von István Kónya im Besonderen: Wenn ein Meister sein Instrument zum Klingen bringt, ist das Lauschen immer ein voller Genuss. Dass man an diesem Abend außerdem einen Einblick nehmen konnte in die für die Laute kompositorisch so ertragreiche Epoche des Barock, war ein schöner Nebeneffekt, der ebenfalls dem Solisten István Kónya geschuldet war, einem der besten ungarischen Lautenisten der Gegenwart und einem profunden Kenner der Geschichte dieses Instruments in Europa im Zeitalter der Renaissance und des Barock.