Der vor 200 Jahren in Klausenburg/Cluj geborene und vor 125 Jahren in Bukarest gestorbene Zeichner, Maler, Grafiker und Fotograf Carol Popp de Szathmáry gilt nicht nur als Vater der modernen rumänischen Aquarellmalerei, sondern auch als Wegbereiter eines neuen künstlerischen Orientbildes in Rumänien. Für Carol Popp de Szathmáry war der Orient, den er auf seinen zahlreichen Reisen durch verschiedene Territorien des Osmanischen Reiches kennenlernte, keine primitive, unterentwickelte, abstoßende oder unzivilisierte Welt, sondern eine Quelle menschlicher Faszination und künstlerischer Inspiration.
Als offizieller Begleiter der rumänischen Herrscher Gheorghe Bibescu, Barbu [tirbei und Alexandru Ioan Cuza wie auch des rumänischen Königs Karl I. hielt sich Carol Popp de Szathmáry öfters in Istanbul auf.
So findet sich unter den 47 Exponaten jener Ausstellung, die noch bis 26. Mai nächsten Jahres im Nationalen Kunstmuseum Rumäniens in Bukarest besichtigt werden können, auch eine Bleistiftskizze, datiert auf den 20. Mai 1864, die eine Besprechung des rumänischen Herrschers Alexandru Ioan Cuza mit dem osmanischen Sultan Abdul Aziz und dessen Berater Fuad Pascha in Konstantinopel wiedergibt. Zu jener Zeit, als Rumänien seine Unabhängigkeit noch nicht erlangt hatte, war es eine außenpolitische Notwendigkeit für die Herrscher Rumäniens, sich von der Hohen Pforte bestätigen zu lassen. Unter dem in Galauniform auf einem Sofa sitzenden rumänischen Fürsten stehen die mit Bleistift geschriebenen Worte „Prince Cuza“.
Eine Bleistift- und Tuschezeichnung aus dem Jahre 1861 hält ein weiteres politisches Ereignis fest, das drei Jahre zuvor stattgefunden hatte: im Botschaftersaal seiner Residenz, des Dolmabahçe-Palastes am Bosporus, empfängt der osmanische Sultan den rumänischen Fürsten Alexandru Ioan Cuza, um mit ihm die Proklamation des Fürstentums Rumänien, die am 24. Dezember jenes Jahres offiziell verkündet werden sollte, auf der internationalen politischen Bühne vorzubereiten. Besonders beeindruckend ist ein Aquarell aus dem Jahre 1866, das den Empfang des rumänischen Fürsten Karl I. bei der Hohen Pforte zum Thema hat.
Ein mächtiges Segelschiff mit rumänischem Banner am Bugmast liegt im Bosporus vor Anker, während zeremoniell geschmückte Ruderboote auf den Dolmabahçe-Palast zuhalten, wo Soldaten in Uniform am Eingangstor ein Spalier bilden und wo sich auf der Terrasse der Sultansresidenz eine Empfangsdelegation bereit macht, um den frisch gewählten Herrscher Rumäniens willkommen zu heißen. Betrachter aus dem Volke am Kai, die im Vordergrund wiedergegeben sind, bilden einen interessanten Kontrast zur Haupt- und Staatsaktion auf dem Wasser wie auch vor dem Palastgebäude, dessen Architektur barocke, rokokohafte, neoklassizistische und ottomanische Elemente in eklektischer Weise vereinigt.
Zahlreiche Aquarelle Carol Popp de Szathmárys geben Motive aus dem Großen Basar in Istanbul wieder: Unter den hohen steinernen Gewölben türmen sich Waren aller Art, Teppiche, Brokat, Seide, Waffen, Tuchballen, Gewürze in großen Säcken, schwarzer Pfeffer, gelb leuchtender Safran. Das Aquarell „Frauen im Basar“ aus den Jahren 1866-1869 ist die von der Hand Szathmárys geschaffene Kopie (die einzige in der Ausstellung!) eines Gemäldes von Amadeo Preziosi, einem italienischen Maler, der 1842 in Konstantinopel ein Atelier eröffnet hatte und in der Stadt am Bosporus jahrzehntelang nach orientalischen Motiven für seine Malkunst suchte. Die anmutig drapierten und farbenfroh gekleideten Frauen tragen einen „Yaschmak“ genannten Schleier, der nur die Augenpartie freigibt und dennoch, weil er transparent ist, den Blick auf das verhüllte Gesicht ermöglicht.
Stadtansichten von Istanbul mit dem Galata-Turm, dem Goldenen Horn, der Hagia Sophia und der Blauen Moschee finden sich neben Aquarellen mit Motiven aus Karawansereien und islamischen Friedhöfen.
Orientalische Wohnhäuser mit zur Straße hin vorgewölbten Erkern, geöffneten Fensterläden und dekorativen Maschrabiyya-Gittern sind in der Ausstellung ebenso zu bewundern wie eine Straßenszene mit Geschäften und Brunnenhaus oder auch mehrere Ansichten vom Vorhof der Istanbuler Beyazit-Moschee: die schönste, ganz in Brauntönen gehaltene, zeigt auf Teppiche hingelagerte, ihre Waren feilbietende oder miteinander disputierende Gruppen von Männern, an Säulen des Wandelgangs gelehnt oder unter mächtigen ausgespannten Zeltbahnen sitzend und vor der sengenden Sonne Schutz suchend.
Mehrere Aquarelle geben Szenen aus dem Dolmabahçe-Palast wieder, auf eine davon hat Szathmáry mit Bleistift in deutscher Sprache notiert: „Tyrkischer Teppich“. Ein nur zur Hälfte ausgearbeitetes Aquarell aus den Jahren 1864-1866 breitet vor dem Auge des Betrachters die Brautgeschenke Tefvik Paschas, des späteren letzten Großwesirs des Osmanischen Reiches, aus: Die Wasserfarben fließen durch, in und um Kerzenständer, Vasen, Tee- und Speise-Service, Tafelgeschirr, Schalen, Karaffen.
Überhaupt macht es einen Reiz dieser Ausstellung aus, dass nicht alle der gezeigten Aquarelle bis ins Letzte ausgeführt sind. Das Porträt einer Bukaresterin im orientalischen Kostüm aus dem Jahre 1843 (Aquarell, Bleistift und Gouache) beispielsweise lässt lediglich Kopftuch, Haartracht und Jacke in detaillierter Ausarbeitung und kräftiger Kolorierung hervortreten, während der Halsschmuck, der wallende Rock und die Wasserpfeife mit Bleistiftstrichen und grau lavierten Farbtönen nur schwach angedeutet oder bloß skizziert sind.
Auch in Rumänien und Bulgarien findet Szathmáry orientalische Motive, seien es Männer vom Balkan mit Gewehren, sei es eine Gruppe farbenprächtig gekleideter bärtiger Türken aus Ruse/Rustschuk, seien es orientalische Musiker mit Flöten und Trommeln auf dem Bukarester Pfingstjahrmarkt, seien es kolorierte Porträts oder Darstellungen von Türken und Persern mit Krügen, Wasserpfeifen, Tschibuks, Kaftanen oder Pluderhosen.
Geradezu programmatisch ist das fast biblisch anmutende Motiv eines Aquarells aus dem Jahre 1883, das einen auf einem Esel reitenden alten Mann zeigt, der ein Kind vor sich auf dem Sattel hält. Im Hintergrund erkennt man den Bosporus, gesäumt von Schlössern, Palästen und Burgen, die Atmosphäre ist licht, die mit Turban und Fes geschmückte Reitergruppe im Vordergrund umrahmt von mediterraner Vegetation. Als Szathmáry dieses Bild malte, war er einundsiebzig Jahre alt, sein Sohn Alexandru zwölf. Aus der Welt des Orients, so könnte man das Bild biografisch deuten, geleitet der Vater seinen Sohn in dessen Zukunft, die ihn ebenfalls zu einem Maler machen sollte, mit den Landschaften der Dobrudscha und der Hafenstadt Baltschik als dessen eigener „Porta Orientis“.
Ein 44-seitiger Katalog der Kuratorin Elena Olariu, der etwa zur Hälfte aus Text und zur Hälfte aus Abbildungen besteht, gibt umfassend Auskunft über Szathmárys künstlerisches Orientbild und die 47 Exponate der sehenswerten Ausstellung im Bukarester Kunstmuseum.