Am 20. November 2014 wurde im Nationalen Kunstmuseum Rumäniens eine Ausstellung eröffnet, die noch bis zum 29. März dieses Jahres in drei Sälen im Erdgeschoss des ehemaligen Königspalastes an der Bukarester Calea Victoriei besichtigt werden kann. Gezeigt werden dort 73 Gemälde, Zeichnungen und Druckgrafiken, von denen einige erst kürzlich restauriert worden sind. Die vom 16. bis zum 19. Jahrhundert entstandenen Kunstwerke entstammen verschiedenen Epochen der europäischen Kunstgeschichte und gehören zu den Beständen der Rumänischen Akademiebibliothek, des Nationalen Kunstmuseums Bukarest sowie des Brukenthal-Nationalmuseums Hermannstadt/Sibiu.
Der Titel der Ausstellung „Ars amandi“ lässt sogleich an Ovids Lehrgedicht „Ars amatoria“ denken, wobei die Ovidsche Kunst der Liebe in der Bukarester Kunstschau um den Aspekt der Liebe zur und in der Kunst ergänzt und erweitert wird. Mehr noch als seine „Ars amatoria“ ist in der Bukarester Ausstellung ein anderes Werk Ovids präsent: sein mythologisches Opus „Metamorphosen“, in dem das Phänomen der Liebe in der Götter- und Menschenwelt extensiv behandelt wird.
So kann man in der Bukarester Ausstellung etwa ein Ölgemälde bewundern, das eine Episode aus dem ersten Buch von Ovids „Verwandlungen“ aufgreift. Der liebestolle Apollo verfolgt die Nymphe Daphne, die allerdings von seiner ungestümen Liebe nichts wissen will. Um seinen Nachstellungen zu entgehen, bittet Daphne ihren Vater Peneios, er möge sie erretten, worauf Peneios seine Tochter daraufhin kurzerhand in einen Lorbeerbaum verwandelt. In dem in Bukarest ausgestellten Gemälde ist sehr schön zur Darstellung gebracht, wie den Fingerspitzen Daphnes bereits Lorbeerzweige entsprießen und wie ihr Körper farblich und figürlich schon jenem Baum ähnelt, vor dem sich der Kampf zwischen Apoll und Daphne abspielt. Zum Gedenken an die durch Verwandlung ihm entgangene Geliebte trug Apollo fortan einen Lorbeerkranz und schmückte seine Leier mit Lorbeer.
Die Bukarester Ausstellung „Ars amandi“ mit italienischen, niederländischen, französischen, schweizerischen und deutschen Kunstwerken ist in vier Abteilungen gegliedert. Die erste Abteilung trägt den Titel „Mythologie der Liebe“ und ist der Liebesgöttin Aphrodite/Venus mit ihrem Sohn, dem Bogenschützen Eros/Amor/Cupido, gewidmet. Hierbei können selbstverständlich der Gatte Hephaistos/Vulkan und der Geliebte Ares/Mars nicht fehlen. Ein Stich des Mantovaners Giorgio Ghisi aus den Jahren 1546-49 zeigt Venus in der Werkstatt des Vulkan. Während jener mit dem Schmiedehammer einen Pfeil bearbeitet, sitzt seine Gattin Venus, gleichsam abwesend und mit den Gedanken ganz woanders, in aufreizender Pose da, ihren Sohn Amor zärtlich streichelnd. Hermes/Merkur, Poseidon/Neptun und viele andere Göttinnen und Götter der griechischen und römischen Mythologie ergänzen diesen Liebesreigen, der sich selbstverständlich auch in der Menschenwelt fortsetzt. Ein Stich des bereits erwähnten Giorgio Ghisi aus den Jahren 1543-46 thematisiert das Motiv der Eifersucht am Beispiel der bei Ovid überlieferten Geschichte von Kephalos und Prokris. In einer überreich ausgestalteten Waldszene wird der Moment bildnerisch festgehalten, wo Kephalos gerade seine eifersüchtige Gattin Prokris versehentlich mit dem niemals fehlgehenden Speer getötet hat, der ihr vom kretischen König Minos überreicht worden war, als diese selbst vor der Eifersucht des Kephalos bei jenem Zuflucht suchte.
Das Motiv des Todes aus Liebe wird in einem Ölgemälde des Schweizers Johann Rudolf Byss aus den Jahren 1730-38 weitergeführt, das den Selbstmord Didos zeigt. Weitere Frauenselbstmorde aus Schande – Lukrezia wegen erlittener Vergewaltigung, Porcia wegen der Schandtat ihres Gatten Brutus – kommen in anderen Gemälden zur Darstellung. Auch zwei Bilder mit alttestamentarischen Themen finden sich in der Bukarester Ausstellung. In beiden geht es um zu Unrecht Beschuldigte. Josef entwindet sich Potiphars Frau, die ihn später der versuchten Vergewaltigung bezichtigt. Und in dem Ölgemälde des 1663 in Heidelberg geborenen Johann Melchior Roos sieht man Susanna im Gespräch mit den beiden alten Richtern, die der jungen Frau mit falschen Zeugenaussagen drohen, um sie sich gefügig zu machen.
Die „Liebe in der Literatur“ betitelte zweite Abteilung der Ausstellung bringt weitere berühmte Liebespaare ins Spiel: Rinaldo und Armida aus Torquato Tassos Epos „Das befreite Jerusalem“; Medoro und Angelika aus Ludovico Ariostos Epos „Der rasende Roland“; Penelope aus Homers „Odyssee“, die, auf die baldige Rückkehr ihres Gatten Odysseus hoffend, das tagsüber gewobene Totentuch für ihren Schwiegervater Laertes nachts immer wieder auftrennt, um vor den Nachstellungen der Freier gefeit zu sein, bis diese sie endlich nächtens bei ihrem listigen Treiben überraschen (Gemälde eines anonymen flämischen Meisters). Diana und Endymion, Venus und Adonis, Aurora und Tithonus, Europa und der als Stier getarnte Zeus und noch etliche andere Liebespaare mehr sind in der Bukarester Ausstellung präsent, wobei man die Gemälde durchaus auch dann genießen kann, wenn man den literarischen, historischen oder mythologischen Hintergrund des jeweils dargestellten Sujets nicht kennt.
Die dritte Abteilung der Ausstellung „Ars amandi“ befasst sich mit verschiedenen Aspekten der Liebe, wie sie sich in den griechischen Begriffen Eros, Philia, Agape oder in den lateinischen Begriffen Libido, Amor, Caritas widerspiegeln. Das Gemälde „Konzert“ (1655-62) des in Amsterdam geborenen Malers Abraham van der Schoor bringt die Sinnlichkeit, Körperlichkeit und Erotik der Musik in Gestalt der dort abgebildeten Sängerinnen und Instrumentalisten lebhaft und eindringlich zum Ausdruck. Zu dieser Abteilung gehören auch die zahlreichen Maria Magdalena-Darstellungen sowie verschiedene Personifikationen der Caritas, sei es als stillende Maria (Virgo lactans), als stillende Venus oder als die ihren Vater Cimon säugende Pero.
Die vierte und letzte Abteilung schließlich versammelt Werke, die die allegorische und symbolische Dimension des malerischen Liebesdiskurses hervorheben. Ein Vogel, der heimlich entfleuchen will, ein Hündchen, das anmutig gefüttert wird – was können uns solche Bilder über die Liebe sagen?
Ein reichhaltiges Beiprogramm begleitet die Gemäldeschau „Ars amandi“. So hält etwa der Kurator der Ausstellung Cosmin Ungureanu am Samstag, dem 21. Februar, um 11 Uhr im Bukarester Kunstmuseum einen Vortrag in rumänischer Sprache mit dem Titel „Die liegende Venus. Von Giorgione bis Manet“.