Gabriel Liiceanu und Dan C. Mihăilescu, der rigorose Philosoph und der humorvolle Kritiker, ein Thema: „Die Grenzen der Kultur, die Grenzen der Bildung“ und ein Publikum – alles Akademiker, ob jung oder alt – das versprach ein gelungener Samstagvormittag an der Temeswarer West-Universität zu werden. Ein Vormittag, dem man keine Limits auferlegen wollte. Denn die beiden sich eines großen Bekanntheitsgrades erfreuenden Kulturmenschen aus Bukarest sind doch nicht so oft in Temeswar zu Besuch. Da wollten Studenten und Professoren, durchaus aber auch Auswärtige, die über die Medien von der Gesprächsrunde erfahren haben, so viel wie möglich von dem Gesagten mitbekommen und die Gedankengänge der prominenten Kulturschaffenden nachvollziehen.
Die Grenzen der Kultur
Liiceanu ergriff als erster das Wort und brachte das Gespräch auch schon auf den Punkt: „Die Grenzen der Kultur sind an die Jugend gebunden. Wenn man jung ist, denkt man nicht an Kultur, nicht daran, was Kultur als grundlegende Komponente des Lebens bedeutet, an die Beziehungen zwischen den Menschen und dem eigenen Platz im Universum. Um auf die Limits der Kultur in der Jugend zu sprechen zu kommen: In der Jugend erfreut man sich daran, wie gut man ist, wie gut man Fremdsprachen spricht, usw. und so wird man stolz. Erst mit dem Vergehen der Zeit kommt man darauf, dass die Substanz der Kultur woanders liegt. Erst dann beginnt man zu verstehen, dass Lesen und Schreiben zu existenziellen Handlungen werden.
Was das bedeutet? Man muss darauf kommen, was wir Verschiedenes aus der europäischen Kultur absorbieren, man muss verstehen, dass Kultur keine Paradesache darstellt oder ein Raffinement der menschlichen Spezies darstellt, sondern dass sie die einzige Art und Weise darstellt, in der ein Mensch die Grenzen des Lebens erkennen kann. Die Kultur ist die Möglichkeit, uns zu domestizieren, zu kultivieren, wir sind nicht mehr Wilde, sondern eine rare, auserlesene Spezies.
Die Kultur kann die Menschen verbessern, ihnen Verhaltenmuster auferlegen; sie können dann zwischen Gut und Böse unterscheiden. Die gesamte Geschichte der Kultur stellt keine Parade dar, sondern eine Art, menschlich aufzuwachsen und von den anderen das Beste zu übernehmen, all das, was die Generationen vor uns gemacht haben. Wie die Tierjungen lernen, dass sie ohne zu jagen aussterben, so ist das im Falle des Menschen ähnlich. Unsere Ältesten lehren uns auch zu jagen, sie lehren uns, welche Instrumente im Leben des Menschen gebraucht werden können. Sie lehren uns auch, dass diese Instrumente uns zu dem führen, was die Menschheit als Bestes gegeben hat. Jagen Lernen in der kulturellen Ordnung bedeutet eine Art, sich zu bilden. Nach einem gewissen Alter interessieren mich die Zitate nicht mehr, ich habe die Ideen von vielen Autoren verinnerlicht. Das würde ich einem Amphitheater von Studenten sagen, die zur Uni kommen und glauben, dass sie eine Fakultät als Gebildete absolvieren werden“.
Ein definitives Ja der Sinnlichkeit, dem Genuss
Mit viel Witz hat sich der Kritiker und Autor Dan C. Mihăilescu an das Publikum gewandt: „Ich habe vorwiegend Erfahrung mit Lyzeumsschülern gesammelt. Ich kann mich viel besser an sie wenden, wir haben dieselbe jugendliche Hitze. Die Studenten habe ich als Abtrünnige empfunden, als schon verwelkte Menschen. Jeder junge Mensch muss schon sein DNA kennen und wissen, welcher Roman zu ihm passt. Ist man mit 16, 17 Jahren voller Akne und will man gegen Gott und die Welt vorgehen, dann greift man zu Dostojewski und dem russischen Roman, ist man an der sozialen Organisation interessiert, dann greift man zu dem britischen Roman, ist man ein Romantiker, dann interessiert man sich für den französischen Roman“.
Natur- und Kulturerfahrung müssen verbunden sein: „Man hat mir unterstellt, dass ich nur Beethoven und Bach höre, aber das stimmt ganz und gar nicht, in meiner Jugend habe ich Led Zeppelin gehört! Und da kam die oberste Provokation, von einem Studenten, der sagte mir, er müsse nicht lesen, er brauche es nicht. Ich hab ihn gefragt, ob er sich wohl in seiner Haut fühle. Er antwortete, ja. Gut, erwiderte ich, dann hast du keine Dilemmata, keine Depressionen. Er verneinte, sagte aber, dass er sich in letzter Zeit „hopeless“ fühle! Auch meinte er, dass ihm die Kultur nicht in der Beziehung zur Natur helfe, dass ihn die Kultur weniger erfülle. Interessant. Ich habe aber entgegnet, dass ich ein enthusiastischer Bergwanderer bin. Ich wurde oftmals auf meinen Wegen verwundert gefragt: Sitzen Sie denn nicht in der Bibliothek? Ich finde aber durchaus eine Beziehung zwischen Natur und Kultur. Man müsse auch an die Agri-kultur, an die Landwirtschaft denken.
Sehr wichtig sind für mich die sinnlichen Erfahrungen. Wir vergessen das oder wollen es nicht einsehen. Einerseits hat hier die Diktatur, der Kommunismus eine Rolle gespielt, der Genuss wurde verteufelt, der Genuss wurde als billig abgestempelt und so wie wir keine ästhetische Erziehung brauchten – alle Verpackungen waren grau, alles war fahl und traurig – so brauchten wir auch keine kulinarische Erziehung, keine finanzielle Erziehung, keine sexuelle Erziehung. Auch heute traeten wir zurückhaltend auf. Wie viele Menschen betreten schon ein Amphitheater oder eine Kirche oder irgendeinen Saal mit klarem Blick, gerade, mit der Brust vorgestreckt? Nein, wir stehlen uns an den Wänden vorbei. Wir wurden von den Putzfrauen erzogen, nicht die Stelle zu betreten, die sie schon gekehrt hatten. Und der Genuss, die Freude, das Sinnliche wurden als etwas Geringfügiges betrachtet, sie gehörten dem Bereich der Eingeweide an, dem Dämonischen.
Und jetzt komme ich zurück zu meiner Antwort für den Jungen: Die Kultur hilft uns, das Natürliche, das von Gott Geschaffene besser zu verstehen, die Kultur ist ein Filter. Ohne eine Symbiose zwischen Kultur und Natur kann man nicht verstehen, was Heideggers Lichtung bedeutet. Es gibt in Sadoveanus Texten einige wunderbare Fragmente, wo man, wen man einmal durch einen Wald gegangen ist, die Lichtung betritt, wo ein gewisses Licht von oben kommt.
Um dieses göttliche Licht zu verspüren, muss man über eine gewisse Kultur verfügen, muss man wissen, wie man um sich herumblickt. Man muss wissen, wie die Amsel singt, also muss man das Gehör erziehen, mit Beethoven und Bach, aber auch mit Led Zeppelin. Wir haben auch unseren Tastsinn verloren, wir haben Plastik und Metall zu Hause, wie viele Menschen haben Holzobjekte oder Objekte aus Stein zu Hause? Der Geruchssinn ist eine Herrlichkeit an sich, er wird leider nicht ernst genommen. Es ist mein wesentlicher Sinn, auch im Schlaf kann ich etwas am Geruch erkennen. Da kam die Replik, dass wahrscheinlich meine Leber kaputt sei. Mag stimmen, aber der Geruch ist ganz speziell, zum Beispiel der Geruch der Haut, wenn man das Handgelenk einer Frau küsst, oder der Geruch des frisch gemähten Grases. Man kann kein Buch lesen, es verstehen, wenn man die Natur nicht erlebt hat.“
Als der Terminkalender der beiden Autoren, die im Anschluss ihre neuesten Bücher auf dem „Bookfest“ vorstellten, dem Gespräch dann doch ein Ende setzte, erhoben sich die Anwesenden wie nach dem Genuss eines Festessens, hatten sie doch an einem brillanten Spiel der Gedanken teilhaben können.