Zum 500-jährigen Jubiläum von Luthers Reformation veranstaltete die Germanistikabteilung der Kronstädter Transilvania Universität in Zusammenarbeit mit der Gesellschaft der Germanisten Rumäniens (GGR) in der vergangenen Woche einen internationalen Kongress in Kronstadt/Braşov, der selbst ein Jubiläum darstellte. Es war die zwanzigste internationale Kronstädter Tagung dieser Art in Folge, weswegen der Dekan der Philologischen Fakultät der Transilvania Universität, Adrian Lăcătuş, in seinem Eröffnungsgrußwort die Reihe der Kronstädter Germanistiktagungen lobend auch als die langlebigste Kongressreihe seiner Fakultät bezeichnete. Am Vorabend der Tagung konnte das internationale Kongresspublikum bereits einer Buchpräsentation beiwohnen, die die rege Publikationstätigkeit der Kronstädter Germanistik in den Blickpunkt rückte. Der rumänische Schriftsteller und Hochschullehrer Caius Dobrescu präsentierte in deutscher Sprache die beiden zuletzt erschienenen Bände der Kronstädter Beiträge zur germanistischen Forschung; die Leiterin der Kronstädter Germanistikabteilung und Organisatorin der Tagung, Carmen Elisabeth Puchianu, stellte das wissenschaftliche Buch „Kleingeschriebenes“ ihres jüngeren Kronstädter Kollegen Robert G. Elekes vor; und gleich drei Rednerinnen widmeten sich der soeben erschienenen Festschrift zum sechzigsten Geburtstag von Carmen Elisabeth Puchianu: die Hermannstädter Germanistikprofessorin Maria Sass würdigte die Jubilarin in ihren vielfältigen Aktivitätsfacetten und zugleich grundsätzlich als Mensch und Erzieherin, die Hermannstädter Germanistikdozentin Doris Sava stellte die sprachwissenschaftlichen Beiträge der Festschrift vor und die Herausgeberin der Festschrift, Delia Cotârlea, präsentierte die literaturwissenschaftlichen Aufsätze dieser akademischen und künstlerischen Hommage an Carmen Elisabeth Puchianu.
Nach einer kammermusikalischen Einstimmung durch Elena Cristian (Violine) und Paul Cristian (Klavier) mit Werken von Felix Mendelssohn-Bartholdy und César Franck sowie nach mehreren Grußworten seitens diverser Förderer und Partner des Kongresses begann dann am nächsten Morgen die eigentliche Tagungsarbeit zum Thema „500 Jahre Reformation“, sinnigerweise mit dem Vortrag eines Pfarrers der Evangelischen Kirche Augsburgischen Bekenntnisses: Peter Klein aus dem nahe Kronstadt gelegenen Petersberg/Sânpetru sprach über Luthers Verständnis von Psalm 37, der in der gegenwärtigen Zeit auch als Ermahnung an die Wohlstandsbürger des heutigen Rumänien gelesen werden könne. Daran anschließend beschäftigte sich Adina-Lucia Nistor (Jassy/Iaşi) mit Luther aus onomastischer Sicht, wobei sie auf den von Luther selbst initiierten Wandel in der Schreibung seines eigenen Nachnamens, nämlich von „Luder“ zu „Luther“, besonders einging. Gudrun Liane Ittu (Hermannstadt/Sibiu) brachte in ihrem Vortrag über den protestantischen Bildersturm und das ikonografische Programm der Gegenreformation anschauliche Beispiele gerade auch evangelischer Sakralkunst, so etwa den Hermannstädter Passionsaltar von 1519 oder den Wittenberger Reformationsaltar von Lucas Cranach d. Ä. aus dem Jahre 1547. Robert G. Elekes (Kronstadt/Braşov) verstand im Anschluss an Überlegungen des britischen Theologen Graham Ward den Protestantismus als allgemeines intellektuelles Prinzip, das auch in den Diskussionen um den geistigen und kulturellen Wandel von der Moderne zur Postmoderne Anwendung finden könne.
Fortgesetzt wurde die Tagungsarbeit dann mit zwei Beiträgen zu Werken des großen deutschen Reformators: der an der Selçuk Universität im türkischen Konya tätige Yüksel Gürsoy sprach über Luthers Schriften über die Türken, wobei er besonders den zeithistorischen Kontext – 1529 belagerten die Türken zum ersten Mal Wien – hervorhob; und Ioana Crăciun (Bukarest) verglich die Übersetzungen des Psalms 130 durch Martin Luther (1524) und Michael Vehe (1537) insbesondere im Hinblick auf die unterschiedliche theologische Beurteilung der Gnadenlehre seitens der beiden Psalmenübersetzer. Sigrid Haldenwang (Hermannstadt) stellte interessante Überlegungen zur Auswirkung der Reformation auf die kulturelle Identität der Siebenbürger Sachsen an und verband diese mit zahlreichen sprachlichen Beobachtungen und vielfältigen Belegen zur Verwendung der Wörter „deutsch“, „sächsisch“ und „evangelisch“ im Gegensatz zu „katholisch“ und „museresch“. Die Hermannstädter Doktorandin Cristina Mihail beschäftigte sich anschließend mit der Luther-Rezeption im Spiegel der Kultur.
Nach dem Mittagessen widmete sich Stefan Lindinger (Athen) dem 1806 erschienenen Drama des romantischen Dichters Zacharias Werner mit dem Titel „Martin Luther oder die Weihe der Kraft“, wobei er besonders die Bedeutung dieses Schauspiels für Fontanes Gesellschaftsroman „Schach von Wuthenow“ (1882) hervorhob. Roxana Nubert (Temeswar/Timişoara) beleuchtete den Einfluss der Reformation auf den siebenbürgisch-sächsischen Humanismus, und János Szabolcs (Großwardein/Oradea) untersuchte die Reformation als Bezugsrahmen der dramatischen Literatur in Siebenbürgen. Maria Sass (Hermannstadt) hielt unter dem Titel „Heute will man Luther hören!“ einen ausführlichen Vortrag über Egon Hajeks Roman „Meister Johannes. Aus dem Werdegang der Deutschen in Siebenbürgen“ (1936) und Delia Cotârlea (Kronstadt) untersuchte die Repräsentation reformatorischer Ideale am Beispiel von Traugott Teutschs Drama „Johannes Honterus“ (1898). Den Abschluss des ersten Kongresstages bildete der Plenarvortrag von Sunhild Galter (Hermannstadt) über das Bild der Ehefrau Luthers, Katharina von Bora, in Christine Brückners Sammlung von zornigen und aufsässigen Frauenmonologen „Wenn du geredet hättest, Desdemona. Ungehaltene Reden ungehaltener Frauen“ (1983/1996).
Der Abend war dann einer Theaterperformance durch das DUO BASTET gewidmet. Das aus Carmen Elisabeth Puchianu und Robert G. Elekes bestehende Zweipersonenensemble brachte sein neues Stück mit dem auf Redundanz anspielenden und zugleich Abundanz verheißenden Titel „Das neue Stück“ auf die Bühne des Arlechino-Puppentheaters in der Kronstädter Hirschergasse. In 75 lebendigen und abwechslungsreichen Minuten mit Monologen, Dialogen, Rezitationen, Tanz- und Performanceeinlagen wurde der Zuschauer staunender Zeuge der Urschöpfung eines Dramas in statu nascendi. Das Performance-Duo sprach „Es werde das neue Stück!“ Und es ward das neue Stück, wobei in dieses im Fluss befindliche Werk auch improvisierte und extemporierte Anspielungen auf Vorträge und Diskussionen des zurückliegenden Kongresstages oder auf eine lautstarke abendliche Konkurrenzveranstaltung in der unmittelbar benachbarten Redoute einflossen.
Der zweite Kongresstag wurde mit einem Vortrag der Veranstalterin eröffnet: Carmen Elisabeth Puchianu sprach über evangelische Krippen- und Auferstehungsspiele im Geiste Martin Luthers und veranschaulichte das Gesagte durch Fotos von Aufführungen aus der Kronstädter Kirche St. Bartholomae. Kinga Gáll (Temeswar) referierte über Tiere und Tiermetaphern in der Bibel, Carmen Iliescu (Bukarest) berichtete über Erfahrungen bei der didaktischen Vermittlung der Reformation im Hochschulunterricht und Mihaela Parpalea (Kronstadt) sprach, ausgehend vom biblischen Sprichwort „sein Licht unter den Scheffel stellen“ aus Jesu Bergpredigt, zum Thema „Üb-Ersetzen ist kein Wortspiel“.
Damit war dann auch der Reigen der Vorträge zu Luthers Reformation erschöpft. Es folgten noch weitere interessante fachwissenschaftliche Vorträge von germanistischen Forscherinnen aus Jassy (Delia Eşian über Wilhelm Schäfers Drama „Jakob und Esau“ aus dem Jahre 1896), Kronstadt (Ioana Andrea Diaconu über Günter Grass’ Reflexionen zum Thema „Erziehung“) und Bukarest (Evemarie Draganovici über die Entstehung ihres DaF-Lehrwerks für die Grundschule; Ioana Hermine Fierbin]eanu über den Sprechakt „Bitten“ im deutschen und rumänischen Kulturkreis) sowie von Doktoranden der Germanistik (Benjamin Vekas, Claudia Spiridon, Ileana Panţu und Andreea Rusen), auf die hier leider nicht weiter eingegangen werden kann. Über allem stand aber immer das Motto dieser Kronstädter Jubiläumstagung, das Luthers Kirchenpostille („Auslegung des Evangeliums am andern Sonntage nach Ostern“) entnommen war: „Und ist keine Lehre so närrisch oder schändlich, die nicht auch Zuhörer und Schüler finde.“