Im überfüllten Ausstellungsraum in der Intrarea Armaşului hält nur eine der Kuratorinnen, die Italienerin Marzia Ratti, eine Ansprache. Umgeben von abstrakter Kunst sind bei der kosmopolitischen Vernissage der 418 Gallery in Bukarest zahlreiche Interessierte anwesend, darunter auch Diplomaten und Kunstschaffende, die die Gelegenheit wahrnehmen, Werke von Vincenţiu Grigorescu, Romul Nuţiu und Diet Sayler zu betrachten. Die rumänisch-deutsche Direktorin der 418 Gallery for Contemporary Art (dt. Galerie für zeitgenössische Kunst), Joana Grevers, brachte unter dem Motto „Die Macht der Abstraktion“ Künstler zusammen, die sich von der Wiedergabe der realen Welt entfernt haben und die von den politischen Veränderungen in Rumänien nach dem Zweiten Weltkrieg beeinflusst wurden. Vincen]iu Grigorescu lebte seit 1972 in Italien, wo er auch gestorben ist, Diet Sayler wohnt in Nürnberg seit mehr als 40 Jahren, seitdem er seine Heimatstadt Temeswar verlassen hat. Der standhafte Romul Nuţiu hat sich lebenslang in der Stadt an der Bega der abstrakten Kunst gewidmet.
Marzia Ratti, Direktorin eines Kulturinstituts in Norditalien, sprach über ihre früheren Begegnungen mit den Künstlern, deren Werke im Rahmen der Bukarester Ausstellung gezeigt werden: Vincenţiu Grigorescu und Diet Sayler haben lange in Italien gearbeitet, ihre Ausstellungen hat sie selbst betreut. Es ergeben sich neue Interpretationsmöglichkeiten für die Künstler, die als Vertreter der abstrakten Kunst in der Nachkriegsperiode hierzulande gelten, aber auch eine bestimmte Position auf internationaler Ebene einnehmen. In Rumänien ist es zum zweiten Mal, dass Werke der drei Maler dem Publikum unter dem Titel „Structure and Energy“ präsentiert werden.
Auch wenn Vincenţiu Grigorescu und Romul Nuţiu schon seit ein paar Jahren nicht mehr unter uns weilen, konnte der in Temeswar geborene Diet Sayler von einem Wiedertreffen sprechen, das in ihm nach einer 30-40-jähriger Zeitspanne überraschende Gefühle ausgelöst hat: „Auch wenn wir verschiedene Persönlichkeiten und verschiedene Positionen gegenüber der Kunst hatten, haben wir dieselben Ausgangspunkte – den sozialistischen Realismus und Kommunismus, dem wir alle entfliehen wollten, auch wenn wir uns sehr verschieden entwickelt haben“, erklärt der in Deutschland lebende 75-jährige Maler. Erst 23 Jahren nach seiner Auswanderung hat Diet Sayler wieder Kontakt mit dem rumänischen Publikum aufgenommen: Seit 1996 wurden verschiedene Ausstellungen mit seinen Werken im Bukarester Kunstmuseum oder in der 418 Gallery for Contemporary Art organisiert.
Der ruhige Diet Sayler erinnert sich, dass er in Rumänien sowohl Flügel als auch Wurzel bekommen hat. Die Flügel wurden geschnitten. Seine Wurzeln sind verloren: „Ich bin nicht deshalb weggegangen, weil es mir gut ging. Es gab ein paar Jahre, in denen die Kunst etwas freier war, zwischen 1968 und 1970. Aber die Diktatur wurde immer strenger, es wurde mir unmöglich, an Ausstellungen teilzunehmen oder Kunst zu schaffen. Die Auswanderung war die einzige Möglichkeit.“ In der erwähnten Periode hat Sayler im Rahmen mehrerer internationalen Ausstellungen Rumänien vertreten, seine Werke passten aber nicht zur Ideologie, sie waren sehr weit von der „offiziellen Kunst“ entfernt, die damals gefördert wurde. Die Behörden förderten Propaganda-Kunst, um ihre Macht zu festigen. Die Künstler und die Intellektuellen, die andere Meinungen hatten und durch ihre Werke die Behörden bei der Festigung der Macht nicht unterstützten, wurden ausgrenzt.
„Ich durfte keine einzige Ausstellung ins Ausland begleiten. Die Werke sind zur Ausstellung gegangen und ich blieb hier. Journalisten aus dem Ausland kamen her, um ein Interview mit mir zu führen, aber sie durften mich nicht kontaktieren. Manchmal wurden Ausnahmen gemacht, aber das konnte nur das Außenministerium genehmigen“, vergegenwärtigt sich Sayler das Leben in Rumänien. Vor 40 Jahren wurde der Maler ausgewählt, an dem Internationalen Festival im schottischen Edinburgh teilzunehmen, aber nur diejenigen, die Parteimitglieder waren, durften tatsächlich hinreisen. „Du wirst nur Rumänisch sprechen. Ich übersetze“, wurde dem Künstler von einer Frau von der Securitate gesagt, als Sayler von einer britischen Journalistin interviewt wurde. Sayler konnte Englisch sprechen, durfte aber nicht. Als das renommierte Museum für Moderne Kunst in New York (MOMA) ein Werk Saylers kaufen wollte, wurde die Situation wieder gespannt, denn ohne die Erlaubnis der Behörden durfte man das nicht machen. Ein Vertreter des amerikanischen Museums ist nach Rumänien gekommen, um das Werk in die USA zu bringen. Das Problem war aber, dass das Museum den Künstler in Dollars gezahlt hat, was damals streng verboten war. Die Probleme mit der Securitate wurden immer größer, bis er letztendlich nach Deutschland auswandern konnte: „Eigentlich sind wir zu dem Punkt gekommen, an dem sie tatsächlich glücklich waren, mich los zu werden”, meint der Künstler.
In Deutschland arbeitete Diet Sayler am Anfang als Lehrer. Damals hatte er immer noch den Eindruck, dass er von der Securitate verfolgt wird, so wie das oft in Rumänien vorkam. Er wusste, dass manche im Ausland von der Securitate sogar beseitigt wurden. „Aber ich war nicht so wichtig, das war mein Glück“, schlussfolgert Sayler. „Wenn man zurückschaut, ist das Privileg, in zwei Gesellschaften leben zu können, ein großer Reichtum, eine große Lebenserfahrung. Bis man hingelangt, kann man aber mehrmals sterben. Jetzt fühle ich mich ausgewogen, ich habe eine reiche Lebenserfahrung“. Seine Erfahrung und seine Kunst sind so eng miteinander verbunden, dass er nicht weiß, wo das eine beginnt und das andere endet: „Es geht nicht um Widerspiegelung, die Kunst selbst ist Leben.“
Die Ausstellung kann bis Ende Juli besichtigt werden.