Die Begeisterung für die klösterliche Spiritualität ist in Ost- und Südosteuropa nach wie vor ungebrochen. Im Westen erfahren spirituelle Angebote wie „Kloster auf Zeit“ oder Auszeiten für Spitzenmanager in katholischen Klöstern (mit Handyabgabe an der Klosterpforte…) viel Zuspruch. Während hier vor allem die Sinnkrise und Erschöpfungszustände der Gegenwart in die Klöster locken, ist es in der orthodoxen Welt die grundsätzlich starke Prägung der Religiosität durch das monastische Leben und die entsprechende Spiritualität. Während im Westen Klöster aber reihenweise mangels Nachwuchs schließen, gibt es in Rumänien und Ost-europa ein Aufblühen des monastischen Lebens.
Ein aktuelles Themenheft der Zeitschrift „Ost-West. Europäische Perspektiven“ aus dem Verlag Friedrich Pustet widmet sich nun an ausgewählten Beispielen der Klosterwelt in Mittel- und Osteuropa, wobei Südost-europa dabei den Schwerpunkt bildet.
Die neun Autoren zeigen an acht Ländern auf, welche besondere religiöse, aber auch politische und soziale Bedeutung die Klöster für die orthodoxe und katholische Welt in Ost- und Südosteuropa besitzen. Aus Mitteleuropa sind die Klöster aus Pannonhalma in Ungarn und Tschenstochau in Polen, alle anderen Beispiele stammen aus Ländern Ost- und Südosteuropas wie etwa Rumänien.
In der Einführung skizziert Abt Marianus Bieber von der Benediktinerabtei Niederaltaich in Bayern Unterschiede zwischen dem östlichen und westlichen Mönchtum. So haben die orthodoxen Kirchen die westliche Entwicklung zum katholischen Ordensleben nicht vollzogen. Hier bleibe das Mönchtum „in seiner kontemplativen Ausrichtung die einzige Form des geweihten Lebens“ (S. 3 f.), während in der katholischen Tradition die vita activa eine wichtige Rolle spiele. Das habe freilich auch zu einer „Klerikalisierung und Intellektualisierung des Mönchtums im Abendland“ geführt.
Bieber benennt die Krise des westlichen Mönchtums mit einem Rückgang der Berufungen in den letzten 50 Jahren genauso wie die „teilweise erstaunlichen Nachwuchszahlen“ der orthodoxen Klöster, die nach wie vor „Zentren der Frömmigkeit, der Wallfahrt, der geistlichen Begleitung“ seien. Er kommt im Blick auf den Westen zu dem Schluss: „Es gibt eine Tendenz zum Klosterbesuch oder -aufenthalt, aber nicht zum Eintritt.“
Die folgenden Beiträge bieten nun nicht allgemein-abstrakte kirchenhistorische Überblicke, sondern illustrieren das Thema jeweils anschaulich an konkreten Beispielen als pars pro toto. Dabei kommen Klöster von Polen und Russland über die Ukraine, Ungarn und Rumänien bis Serbien, Montenegro und Bulgarien in den Blick. Sie alle zeigen die große religiöse wie politische und kulturgeschichtliche Relevanz dieser Klöster für ihre Kirchen, aber auch jene Länder. Historische Wurzeln, Anfangseifer, Blütezeiten und dunkle Phasen der kommunistischen Verfolgung werden gleichermaßen herausgearbeitet, bevor jeweils ein aktueller Ausblick folgt. Die historische und kulturprägende Rolle einzelner Klöster bzw. im Falle der Moldauklöster auch einer ganzen Klosterlandschaft zieht sich wie ein roter Faden durch alle Beiträge.
Scott M. Kenworthy behandelt den Klosterkomplex des Dreifaltigkeitsklosters der „Lavra der Dreifaltigkeit und des heiligen Sergej“ und damit wohl das berühmteste und angesehenste Kloster Russlands, das im 14. Jahrhundert vom heiligen Sergej von Radonesch gegründet wurde. Es zählt „zu den spektakulärsten Baudenkmälern des mittelalterlichen Russlands“ (S. 9) Schon hier wird paradigmatisch für alle Länder des ehemaligen Ostblocks deutlich, dass der atheistische Kommunismus mit dem Mönchswesen und der Verehrung der Heiligen „zwei Säulen der volkstümlichen Orthodoxie“ zu vernichten trachtete.
Alle Beiträge des Themenheftes arbeiten neben der jeweiligen Klostergeschichte auch die nationale Bedeutung der Klöster heraus. Besonders deutlich wird dies im Beitrag des ukrainischen orthodoxen Bischofs Silvester (Stojtschew) zum Kiewer Höhlenkloster. Seinen Anfang nahm das Kloster mit Eremiten, die in Höhlen lebten. Allmählich entstanden oberirdische Klostergebäude, das Leben wurde schließlich koinobitisch (gemeinschaftlich) organisiert.
Im 12. und 13. Jahrhundert gingen mindestens 50 Bischöfe aus dem Kloster hervor. Selbst der Mongolensturm 1240 konnte das Kloster nur zeitweise zerstören. 1918 lebten dort 784 Mönche. 1929 von den Kommunisten geschlossen, wurde es in den Jahren der deutschen Besatzung wieder eröffnet und erst 1961 unter Chruschtschow endgültig geschlossen. 1988 wurde es wieder eröffnet, seit 1992 ist dort der Sitz des Kiewer orthodoxen Metropoliten. Das Kloster ist „das wahre Herz der Orthodoxie in der Ukraine“ (S. 25).
Den weltberühmten Moldauklöstern widmet sich ein Beitrag von Bischofsvikar Ionel Popescu aus Temeswar. Diese Klosterlandschaft wurde im 15. und 16. Jahrhundert gegründet. Popescu schafft es, einen konzentrierten Überblick zu geben über die Klöster Pătrăuți, Voroneț, Arbore, Probota, Humor, Moldovița, Sucevița und die Kirche „Zum heiligen und großen Märtyrer Gheorghe“ in Suceava, die zum UNESCO-Weltkulturerbe zählen. Popescu würdigt die einzelnen Anlagen von der „Sixtinischen Kapelle des Ostens“ mit ihrem unergründlichen Blauton und der unerreichten Darstellung des Jüngsten Gerichts in Voroneț, aber auch die gesamte Klosterlandschaft als „Wunderwerke des rumänischen Mönchtums“.
Wirklich eindrucksvoll werden mit dem Rila-Kloster in Bulgarien, dem Kloster Cetinje in Montenegro und dem Kloster Žica in Serbien Zentren orthodoxer Frömmigkeit in Südost-europa beschrieben. Bojidar Andonov nennt das ebenfalls zum UNESCO-Weltkulturerbe gehörende Rila-Kloster „das geistesgeschichtliche Zentrum der Bulgarischen Orthodoxen Kirche“ (S. 35) und „eine heilige Stätte des bulgarischen Volkes“, deren wechselvolle Geschichte er kundig beschreibt.
Das von Ekkehard Kraft vorgestellte, Ende des 15. Jahrhunderts gegründete Kloster Cetinje zählt keines-wegs zu den ältesten Klöstern in Montenegro, war aber jahrhundertelang Sitz des montenegrinischen Fürstbischofs und als solches nicht nur das religiöse, sondern auch politische Zentrum des Landes. Die 1493 eingerichtete Druckerei war die erste in Südosteuropa und die zweite in der slawischen Welt nach Krakau.
Rade Kisic porträtiert das Kloster Žica, den Sitz des ersten Erzbischofs der Serbischen Orthodoxen Kirche und Krönungskirche der mittelalterlichen Herrscher Serbiens, das „größte serbische Heiligtum“. Der frühere Abt Asztrik Várszegi beschreibt das berühmte ungarische Kloster Pannonhalma südlich von Györ. Die „tausendjährige Abtei“ ist ebenfalls seit 1996 UNESCO-Weltkulturerbe. Mit dem Paulinerkloster im polnischen Tschenstochau und dem Kloster „Johannes der Täufer“ in Moskau werden weitere prominente Klöster Europas und ihr Kampf ums Überleben im Kommunismus bis zur neuen Blüte heute vorgestellt.
Das Themenheft kann jedem empfohlen werden, der sich für die Kirchengeschichte Ost- und Südosteuropas interessiert. Die gut lesbaren Beiträge vermitteln einen kompakten, doch gleichzeitig hintergründigen Überblick über die Kultur der Klöster und der monastischen Spiritualität, die einen wichtigen Beitrag zur europäischen Spiritualität darstellen. Erfreulich ist, dass hier ganz dem Ansatz der Zeitschrift „Ost-West“ entsprechend die katholische und die orthodoxe Welt gemeinsam abgebildet werden.