Obwohl, oder gerade weil in Hermannstadt/Sibiu kulturelle Ereignisse einander die Klinke in die Hand geben, habe sie auf der Suche nach einem Austragungsort für das von ihr initiierte Internationale Clara-Haskil-Musikfestival hier Halt gemacht, sagte die aus Piatra Neamţ gebürtige Pianistin Alina Azario, zurzeit Professorin an der Hochschule für Musik und Theater Hamburg. Hermannstädter Publikum, Thalia-Saal und der darin befindliche Konzertflügel seien wie geschaffen für ein Kammermusik-Fest als Hommage an Clara Haskil (1895-1960), ein musikalisches Wunderkind im Bukarest der vorletzten Jahrhundertwende. Schon als Kind zog es Clara Haskil in die großen Musikzentren des europäischen Abendlandes, wo sie ihre Ausbildung weiterführte und beendete, um danach auf allen Erdteilen Zuhörer in ihren Bann zu schlagen.
Gleiches geschah im Eröffnungskonzert am 30. August, als Tiberiu Soare, Dirigent des Bucharest Symphony Orchestra, einen sichtbar für alle auf der Bühne postierten Plattenspieler in Betrieb setzte, dessen Nadel während der folgenden Minuten eine Langspielplatte aus dem Jahre 1960 abspielte. Im Thalia-Saal wurde es dunkel und allein die sich drehende LP beleuchtet.
Auf einer Leinwand ein schwarz-weißes Porträt von Clara Haskil, deren zeitlos wunderschönes Klavierspiel auch durch die alte Aufnahme einer Sonate von Scarlatti transzendierte. Um den sinnlichen Gesamteindruck zu vervollkommnen, wurden im Foyer Zeichnungen der französischen Künstlerin Margot Point ausgestellt, eine Schülerin des aus Großwardein/Oradea stammenden Malers Ben Ami Koller (1948-2008). Zwei der Bilder verstehen sich als Nachzeichnung des Gesichtsausdrucks, bzw. der Hände Clara Haskils.
Unvollständig war leider die instrumentale Besetzung des Bucharest Symphony Orchestra. Tschaikowskys Serenade für Streicher in C-Dur op. 48 spielte es hervorragend und gab dem Publikum einen Ohrwurm in Gestalt des russisch-melodiösen Themas aus dem letzten Satz mit auf den Weg nach Hause, verfügte aber über kein Cembalo oder ein anderes Continuo-Instrument, welches in der Sinfonie in C-Dur von A. Vivaldi nicht fehl am Platz, ganz dringend aber bei Johann Sebastian Bachs a-Moll-Violinkonzert nötig gewesen wäre.
Unbeirrt davon spielte die Solistin Marina Chiche und beantwortete die stets polarisierende Frage nach der stilistisch einzuschlagenden Richtung nicht ausweichend, sondern deutlich. Nicht mit allen Tönen gleichstark heruntergesäbelt, dafür aber interessant phrasiert und farbig gestrichen, hörte man sie das bekannte Violinkonzert interpretieren. Und doch stand die leise Frage nach den auf der Giuseppe Galiano-Violine von 1762 nicht immer frei durchschwingenden Tönen im Raum. Marina Chiche sollte vier Tage später wieder auftreten, diesmal in Begleitung der künstlerischen Festivalleiterin Alina Azario, sah sich aber unvermittelt in der Situation, am 2. September den ersten Teil eines Ersatz-Konzerts bestreiten zu müssen, da der Pianist Adam Laloum – er hätte einen Klavierabend geben sollen – nicht mehr rechtzeitig in Hermannstadt eintreffen konnte. Marina Chiche hatte kurzfristig eine sehr couragierte Programmauswahl getroffen und sich für Bachs Sonate Nr. 1 g-Moll BWV 1001 und Partita Nr. 2 d-Moll BWV 1004 für Violine solo entschieden, Stücke, die mit zum schwersten gehören, was für das Instrument je geschrieben wurde. Ein Feuerwehreinsatz und Seiltanz zugleich, aber die Violinistin bestand ihn unfallfrei.
Über jeden Zweifel erhaben war Alina Azario, die im selben Ersatz-Konzert auswendig Auszüge aus den 24 ,,Preludes“ für Klavier von Claude Debussy vortrug. Klingende Pianissimi an der Grenze zur Unhörbarkeit entlockte sie dem Steinway-Flügel des Thalia-Saales, der in seinem bisherigen Leben bestimmt noch nie von geschickteren Händen gespielt worden ist. Alina Azario stellte am nächsten Abend eine ebenso gute Klavierbegleiterin bei Béla Bartóks Sechs Volkstänzen für Violine und Klavier und auch die 2. Sonate für Violine und Klavier in f-Moll op. 6 von George Enescu brachte sie nicht um ihre Geduld. Marina Chiche bewies bei letztgenanntem Werk, das von der musikalischen Intensität her auch ein Violinkonzert hätte sein können, eingehende Kenntnis der Enescu-Tonsprache und intonatorische Treffsicherheit auch in den technisch schwierigsten Momenten.
Mit zu bestaunender Leichtigkeit spielte sich der Pianist Julien Quentin als Begleiter durch ein Cello-Rezital. Drei große, von Cellist István Várdai auf dem blitzsauberen Tablett servierte Brocken schaffte er, ohne sich auch nur eine Spur Hektik anmerken zu lassen. Die Sonate für Violoncello und Klavier FP 143 von Francis Poulenc, Robert Schumanns Fantasiestücke in der Originalbesetzung (ab und an auch mit A-Klarinette statt Cello zu hören) und die 2. Sonate für Violoncello und Klavier in F-Dur op. 99 von Johannes Brahms waren Kammermusikerlebnisse auf hohem Niveau für Aufführende und Publikum gleichermaßen.
Eine vollkommene Vorstellung in der Königsdisziplin aller Kammermusik bot das „Arcadia“-Streichquartett aus Klausenburg/Cluj am 1. September. „Intime Briefe“ nannte Leoš Janácek sein 2. Streichquartett, das er etwa ein Jahr vor seinem Tod komponierte und seiner ungleich jüngeren Geliebten widmete, eine Geschichte, die von seiner Ehefrau nur mit Widerwillen geduldet wurde. Beides, glühende Leidenschaft und trockene Ablehnung, sind von Janácek in sein Spätwerk verpflanzt worden. Mittendrin in der Musik enden einzelne Sätze der „intimen Briefe“, jedoch inszenierte das „Arcadia“-Quartett gekonnt jeden abrupten Bilderwechsel.
Eine ähnliche Widersprüchlichkeit auf anderer Ebene war im Quartett Nr. 14 in cis-Moll op. 131 von Ludwig van Beethoven zu erleben. Ein innerer, urgewaltiger Zorn über die eigene fortschreitende Taubheit, aber auch stille Verletzlichkeit stecken in genanntem Streichquartett, welches Beethoven im letzten Halbjahr seines Lebens komponierte. Es greift auf die Eigenheit der Musik Schuberts vor, welcher Beethoven demütig betrachtete. Demut voreinander, vor dem Publikum und nicht zuletzt vor den aufzuführenden Werken zeigten auch die Mitglieder des „Arcadia“-Quartetts, die in ihrem Auftritt keine narzisstische Selbstdarstellung übten, sondern die Musik auftreten ließen, passend zu einem Zitat von Dietrich Fischer-Dieskau: „Wer hinter dem Werk verschwindet, der ist der überlegene Interpret.“
Beim Ansuchen um finanzielle Unterstützung für das Ereignis habe sie den Hermannstädter Stadtrat nicht lange überreden müssen, behauptet Alina Azario, weshalb schon Pläne für eine weitere Auflage des Clara-Haskil-Musikfestivals im nächsten Jahr geschmiedet würden. Wir dürfen auf neue musikalische Sternstunden gespannt sein. Ein politischer Wind, welcher der Musik und sämtlichen kulturellen Ereignissen freundlich-fördernd gegenübersteht, ist in Hermannstadt heimisch geworden. Wird er auch in kommenden Jahren wehen oder von einem anderen abgelöst werden? Letzterer täte gut daran, trotz aller vermutlich strengen Kälte auftretende Künstler aus dem In- und Ausland nicht von der Bühne wegzublasen. Hermannstadt möchte weiterhin hohe musizierende Gäste empfangen dürfen und verstünde es als bittere Kränkung, dieser Möglichkeit – man entschuldige die Wortwahl – beraubt zu werden.