Mit märchenhaftem Frieden, schneebedeckten Dächern und ruhigen Gassen lud Schäßburg/Sighişoara am Samstag vor dem vierten Advent zum Konzert ein. In der Klosterkirche erklang zum ersten Mal das „Weihnachtsoratorium“ BWV 248 von Johann Sebastian Bach. Zu Beginn der Aufführung wurde erklärt, dass das Wort „Oratorium“ vom lateinischen „orare“ („beten“) abgeleitet ist – in der Tat ist Bachs Meisterwerk das vielleicht größte und schönste musikalische Gebet, das der Feier der Geburt Christi jemals gewidmet wurde. Die Musik erfüllt Gotteshäuser und Konzertsäle weltweit und gehört auch in Siebenbürgen zur Tradition der evangelischen Kirchengemeinden.
Unter der Leitung von Christiane Neubert führten auch in diesem Jahr ein Projektchor, der evangelische Kirchenchor Fogarasch/Făgăraş und Instrumentalisten der Staatsphilharmonie Hermannstadt/Sibiu die ersten drei Kantaten des Weihnachtsoratoriums auf. Wurden zu Weihnachten 2011 nur zwei von den insgesamt sechs Kantaten gesungen, so kam diesmal die dritte Kantate dazu. Und auch heuer gelang es, nicht nur das hohe musikalische Niveau zu halten, sondern auch Freude an den majestätischen Klängen und am Weihnachtsfest selbst ans Publikum weiterzugeben. Die Atmosphäre des Chors „Jauchzet, frohlocket“, mit dem Bach sein Oratorium eröffnet, sprach zu den Herzen.
Die Sopranistin Melinda Samson beeindruckte mit ihrem zarten, glänzenden Timbre und mit der sinngemäßen Interpretation der Rezitative und Arien. Expressiv war insbesondere ihr Dialog mit der Querflöte in der Arie „Frohe Hirten, eilt, ach eilet“. Die jüngste Solistin des Abends, Agathe Halmen, übernahm mit ihrer glasklaren Stimme das bedeutungsvolle Rezitativ „Und der Engel sprach zu ihnen: Fürchtet euch nicht, siehe, ich verkündige euch große Freude, die allem Volke widerfahren wird.“
Etwas mehr Aufregung als bei den anderen Solisten gab die Alt-Partie zu spüren, die von Elisa Gunesch gesungen wurde. Der Bass Löfi Gellért überraschte mit einem bemerkenswerten musikalischen Fortschritt im Vergleich zum Vorjahr und sang nicht nur stilistisch korrekt, sondern auch ausdrucksstark und souverän.
Das Instrumentalensemble glänzte vornehmlich in der „Simfonia“ zu Beginn der zweiten Kantate und die Trompeter erwiesen sich quer durch das Oratorium als feierliche, lichterfüllte Verkünder der Geburt Jesu. Christiane Neubert gelang es, die Instrumentalisten und die Sänger sicher und nuanciert durch die anspruchsvolle Musik zu führen, den kontemplativen Stellen einen lyrischen Charakter zu verleihen und die Choräle mit dem notwendigen Gewicht zu versehen. Das Publikum konnte die Bibel- und Kirchenliedtexte sowie die freien Dichtungen, die der Musik zugrunde liegen, im zweisprachigen Konzertprogramm verfolgen, was das Werk auch für „Uneingeweihte“ zugänglich machte.
Gleich am nächsten Tag, dem 23. Dezember, fand das Konzert in der Fogarascher Kirche noch einmal statt – und die Aufführung wurde zu einem Erfolg, trotz einiger Schwierigkeiten mit dem Transport im verschneiten Siebenbürgen. Die gelungenen Musikabende sind nicht zuletzt den Unterstützern zu verdanken: der Deutschen Botschaft Bukarest, dem Jugendzentrums Seligstadt/Seliştat sowie dem Demokratischen Forum der Deutschen in Siebenbürgen.