Vom 28. August bis 13. Oktober findet im Freien Deutschen Hochstift (FDH) in Frankfurt am Main eine nicht nur für Germanistinnen und Germanisten einmalige Ausstellung statt. Sie wurde zum 264. Geburtstag Goethes in einem Jahr eröffnet, in dem in ganz Deutschland mit zahlreichen Veranstaltungen und Publikationen Jean Pauls 250. Geburtstag gefeiert wird. Es geht darin um das vielschichtige Verhältnis zwischen den beiden Genies, das bis jetzt noch nie im Rahmen einer Ausstellung beleuchtet wurde. Goethe und Jean Paul haben sich zeitlebens immer wieder aufeinander bezogen, von einer Freundschaft kann aber nicht die Rede sein, sondern eher von einem angespannten Verhältnis voller Widersprüche. Jean Paul setzte sich mit seinem geliebten und ebenso gehassten Dichteridol in Briefen, verschiedenen Werken und Aufzeichnungen auseinander. Goethe beantwortete keinen seiner Briefe. So sehr Jean Paul Goethe verehrte, so trotzig konnte er ihm gegenüberstehen, ohne auf die eigene Anerkennung verzichten zu wollen.
Die Ausstellung geht über das Persönlich-Anekdotische hinaus und dokumentiert gleichzeitig einen der wichtigsten Konflikte in der klassisch-romantischen Literatur um 1800. Gezeigt werden Handschriften, Bücher und Kunstgegenstände der Klassik Stiftung Weimar (Goethe und Schiller-Archiv, Graphische Sammlung und Skulpturensammlung), der Staatsbibliothek zu Berlin, der Biblioteka Jagiellonska (Krakau), aus dem Goethe-Museum Düsseldorf, dem Deutschen Literaturarchiv in Marbach, dem Stadtarchiv Hannover, dem Institut für Stadtgeschichte (Frankfurt am Main), dem Freien Deutschen Hochstift / Frankfurter Goethe-Museum und aus Privatbesitz.
Zur Ausstellung erschien ein reich bebilderter Katalog (176 Seiten, 74 Abb.), der über das Freie Deutsche Hochstift zu beziehen ist. Kuratiert wird die Ausstellung von Prof. Dr. Helmut Pfotenhauer (Universität Würzburg) sowie von Dr. Konrad Heumann und M.A. Bettina Zimmermann (Handschriftenabteilung FDH). Weitere Beiträge stammen von Anne Bohnenkamp, Roland Borgards, Elsbeth Dangel-Pelloquin, Barbara Hunfeld, Alexander Rosenbaum und Bettina Schmitt.
Den ausgestellten Handschriften entnimmt man, dass Goethe den Brief Jean Pauls vom 27. März 1794, der mit dem Satz beginnt: „Mit einer namenlosen Empfindung schreib‘ ich dieses Blat“, nicht beantwortet. Es ist Jean Pauls erster Brief an Goethe, dem er seinen Roman „Die unsichtbare Loge“ beilegt. Drei weitere Brief an Goethe folgen. Aus Wielands „Agathon“ weiß man, dass „eine namenlose Empfindung“ der Ausdruck tiefster Zuneigung ist, der Goethe hätte beeindrucken müssen. Die Beziehung zwischen den beiden schwankt von Anfang an zwischen Verehrung und Zurückhaltung, Nähe und Distanz.
Dem zweiten Brief Jean Pauls an Goethe vom 4. Juni 1795 ist der Roman „Hesperus oder 45 Hundsposttage“ beigelegt. Auch dieser bleibt unerwidert. Den ausgestellten Handschriften entnimmt man, dass es trotz der Irritationen, Missverständnisse und Kommunikationsstörungen oft auch Gefühle der Wertschätzung, ästhetische Verbindungen und geistige Nachbarschaft in der Beziehung zwischen den beiden Dichtern gegeben hat. Die Berührungen beider Schriftsteller kennzeichnen sich nicht durch Gleichgültigkeit, sondern sind jedes Mal echte Herausforderungen.
Goethe ist für Jean Paul zeit seines Lebens eine Projektionsfigur seines Strebens nach Selbstbehauptung, ein idealisierter Dichtergott, dem er sich in pathetischem Ton adressiert. Goethe reagiert darauf anders, seine Äußerungen sind meistens knapp, beherrscht oder ambivalent. Auch wenn eine Freundschaft zwischen den beiden Schriftstellern im Leben nicht möglich war, so wie sie in der Literatur oft anzutreffen ist, zieht uns heute gerade der widersprüchliche Charakter der Beziehung zweier Titanen an und macht die Ausstellung äußerst sehenswert. Den Organisatoren und Herausgebern des Katalogs sei gedankt für das akribische Zusammentragen von Handschriften und Deutungen.
Auszüge aus dem Katalog findet man hier.