Frank Stürmer möchte als Reiseleiter bezeichnet werden. Der Fotograf, der 1972 in Bukarest geboren wurde und in München arbeitet und lebt, hat Künstlerkollegen und Freunde zu einer Ausfahrt in seine alte Heimat überredet. Bis nach Bukarest haben es die Künstler aus der Galerie Christine Mayers nicht geschafft. Temeswar/Timişoara war der erste und vorerst letzte Halt ihres Rumänienbesuchs.
Wenn Künstler reisen, ist es besonders für die Gastgeber herrlich. Vor allem, wenn sie Vergnügen mit Arbeit verbinden und statt mit den Händen in den Hosentaschen aufzukreuzen, eigene Werke mitbringen, um sie in der östlichen Ferne auszustellen. Wenn Frank Stürmer also eine Reise nach Rumänien plant, dann endet das mit einer Gruppenausstellung in einer 666 Quadratmeter großen Halle. Von wegen Deutsches Kulturzentrum, Konsulat, Jecza, Calina oder Calpe Galerie. Stürmer und die weiteren sechzehn Gegenwartskünstler wurden von dem Deutschen Staatstheater Temeswar eingeladen. Die Ausstellung sollte zeitgleich mit der dritten Auflage des Eurothalia Theaterfestivals stattfinden, obwohl der Großteil der Werke mit Theater nichts am Hut hat. Macht nichts, finden Kunstliebhaber, während die skeptischen Nörgler noch daran herumbeißen. Der Kontext ist im Grunde egal, solange „New Western Art“ seinen Weg nach Temeswar schafft.
Und die neue Kunst aus dem Westen zeichnet sich durch Vielfalt aus. In der Ausstellung ist alles vorhanden: Fotografie, Skulptur, Zeichnungen, Malerei. Bei der Eröffnung wurde es sogar literarisch, dank Sonja vom Brocke und Hank Schmidt in der Beek, die Gedichte vorlasen.
New Western Art im Osten
Christine Mayer gründete 2001 eine Galerie in München und vertritt inzwischen rund 18 Künstlerinnen und Künstler. „Wichtig ist es, dass ich bei den Werken das Gefühl habe, wäre ich Sammlerin, ich würde sie kaufen“, so die Galeristin. Bei ihr stellen US-amerikanische Maler wie Dan Graham und Trevor Shimizu sowie Deutsche und Österreicher wie André Butzer, Aribert von Ostrowski, Franka Kaßner und Berthold Reiß aus. Letzterer hat eigens für die Ausstellung an einem Gemälde gearbeitet. Drei Tage brauchte der Salzburger für sein Werk mit dem Titel AION (gr. Zeitraum/Ewigkeit). Das an griechische Fresken angelehnte Bild, das zwei Menschen darstellt, die auf Rollschuhen aneinander vorbeifahren, handelt von Vergänglichkeit und Dauer. „Wichtig ist, dass das Bild hier entstanden und nur hier bestehen kann“, erklärt Reiß. „Es wird wahrscheinlich nach der Ausstellung übermalt.“ Es stellte einen enormen Aufwand für den Künstler dar: Er malte das Bild mit Graphitpulver und verwendete ein Pigment, das man schwer benutzen kann. „Es ist, wie wenn man mit Sand malen würde.“
Genauso aufwendig ist Aribert von Ostrowskis zweiteilige Wandarbeit „Sans Titre“. Seine überdimensionale Arbeit besteht aus dem Blow-up zweier Anzeigen eines Kapital-Investmentfonds aus der „Neuen Zürcher Zeitung“.
Die Auswirkungen moderner Technik auf die Kunst thematisiert Josef Knoll: Mithilfe von digitalen 3D-Programmen und einer Zeichenmaschine setzt er seine Zeichnungen im Egoshooter-Darstellungsmodus um. Hank Schmidt in der Beek bedient sich unter anderem der Popkultur, die seine Kindheit prägte, um sie in seinen Collagen mit bekannten Motiven aus der Kunstgeschichte zu konfrontieren. Sein Werk in der Ausstellung „Vom Rathaus in die Diskothek (ist es nur ein kurzer Weg)“ kombiniert Malewitschs „Rotes und schwarzes Quadrat“ mit der Welt der Comics und Farbsymbolik der Rastafari-Religion.
Der New Yorker Trevor Shimizu schaut sich in seiner Serie „Won the Lottery“ an, was mit den Lottogewinnern danach passiert. Seine minimalistisch-kalligrafischen Werke üben sich in sozialer Kritik, ohne auf ein Quäntchen Humor zu verzichten. Und die aus Leipzig gebürtige Franka Kaßner möchte es „als Ostkind – ohne Angst – mit der eigenen und der anderen Geschichte“ aufnehmen.
Zum Reiseleiter
Frank Stürmer ist Sohn des Bühnenbildners Helmut Stürmer, der zuletzt am Deutschen Staatstheater die Kulisse zu der Dramatisierung von Herta Müllers Debütprosaband „Niederungen“ schuf. 1977 wanderte seine Familie in die Bundesrepublik Deutschland aus. Als Kind besuchte er öfters Rumänien. Seit zehn Jahren hat er sein altes Heimatland zum Gegenstand seiner Kunst gemacht. Als Fotograf und Videokünstler versucht er, Situationen und Momente einzufangen. Es geht ihm um Stadtporträts, um Alltagsbilder. Meist bleiben seine Werke ohne Titel. Das gilt auch für die Aufnahme einer Bukarester Straße mit streunenden Hunden sowie einem Foto eines Schwabenhauses aus dem Heimatdorf der Nobelpreisträgerin Herta Müller, Nitzkydorf.
Vor einem Jahr entstand der Kontakt mit dem Intendanten des Deutschen Staatstheaters Temeswar, Lucian Vărşăndan. Damals schon wurde die Idee angesprochen, eine Ausstellung in Temeswar einzurichten. Im Frühjahr folgte dann die offizielle Einladung und Zusage.
Bis Dezember ist „New Western Art“ in der Timco-Halle in Temeswar zu sehen. Siebzehn Künstler aus dem deutschsprachigen Raum sowie aus den Vereinigen Staaten stellen jeweils eins bis zwei ihrer Werke aus.