Im abgedunkelten Club „Silver Church“, neben Kerzenschein und dezenter Bühnenbeleuchtung, spielte am Samstagabend die deutsche Hardcoreband „Bohren und der Club of Gore“. Die Dunkelheit und Totenkopfsymbolik ließ ein typisches Heavy-Metal-Konzert mit lauter, schneller Musik erwarten.
Doch statt langer Wallemähne präsentierten sich die Bandmitglieder mit Glatze und in schwarzen Anzügen. Auch die Besetzung wirkte befremdlich. Von der typischen Speed-Metallgitarre war ebenso wenig zu sehen wie von einem Mikrofonständer für einen brüllenden und grunzenden Sänger. Stattdessen befanden sich auf der Bühne zwei Keyboards, ein Saxofon sowie das übliche Schlagzeug und eine Bassgitarre. Wie alle Fans längst wussten: Dies ist keine typische Hardcoreband.
Unter dem Namen „Bohren“, in Anlehnung an den noiseartigen Sound einer Bohrmaschine, gründeten die Mühlheimer 1988 ihre Band. Schon vier Jahre später waren sie dem Kampf mit der Geschwindigkeit des Hardcore überdrüssig. „Die jungen Leute sind heute technisch so gut wie nie“, sagte der erst 1996 zur Band gestoßene Christoph Clöser. Er hat an der Musikhochschule Köln Klavier und Saxophon studiert und kennt die musikalische Elite. „Die Studenten heute können Charlie Parker an die Wand spielen“, weiß er daher aus Erfahrung. Aber Musik zu machen, ist für Clöser etwas anderes. „Wer Musik machen will, braucht mehr als technisches Können.“
Und genau da will „Bohren und der Club of Gore“ ansetzen. Sie tauschten Schnelligkeit gegen Langsamkeit aus und Komplexität gegen Minimalismus. Und das scheint zu funktionieren. „Wir kommen damit immer erstaunlich gut an, auch unter typischen Hardcorefans. Denn radikal bleibt radikal“, so der Keyboarder der Band.
Und radikal ist diese Band tatsächlich. Vor allen Dingen radikal langsam. In ihrer Musik setzen sie auf sphärische und düstere Klänge, die von tiefen Bässen unterstützt werden. Dabei vermischt sich der Klang des Saxophons mit dem vibraphonähnlichen Klang des Rhodes-Piano und den Synthesizerflächen des Keyboards zu einer dunklen Klangmasse. Die E-Gitarre wurde aus der Band diskreditiert, das Double-Bass-Spielen am Schlagzeug auch. Stattdessen werden die Becken, Toms und die Basstrommel mit sanftem Besen oder Filzkopfschlägel angeschlagen und vor allen Dingen mit nur 15 Schlägen, statt mit 200 in der Minute.
Es ist faszinierend, dass dieses langsame, rhythmische Extrem die gleiche Stimmung, den gleichen Horror ausdrückt, wie die schnelle und aggressive Hardcoremusik. Nur dass die Band im Gegensatz zur Musik ihrer Artgenossen nicht zum progressiven Austoben, sondern zum regressiven Einschlafen einlädt. „Andere Bands spielen, Bohren ödet an“, sagt Morten Grass über seine eigene Musik. Bewusst wollen sich die Ruhrpöttler damit aus dem eh schon unkommerziellen Hardcorebereich, noch weiter ins Aus schießen.
Aber nicht die Gleichgültigkeit der Musik gegenüber regt beim Zuhören zum Schlafen an. Es ist vielmehr eine natürliche Reaktion auf die schleppenden, tief unter die haut fahrenden Bässe, die zur Tiefenentspannung beitragen. Dazu ließen die träumerischen Flächen, die hauchigen Saxophonmelodien und die dunkle Beleuchtung am Ende alle Zuschauer in Trance verfallen, die nur vom tosenden Beifall ambitionierter Fans gelegentlich unterbrochen wurde.
„Bohren und der Club of Gore“ wollen wie jede andere Hardcoreband provozieren. Und das schaffen sie auch. Nur tun sie es eben mit Eintönigkeit und extremer Langsamkeit. Wie in der Hardcoremusik üblich, können einige Zuhörer ganz in diesem Gefühl aufgehen, während es den anderen schlichtweg zu extrem ist.