Eines der ehrgeizigsten Projekte des diesjährigen Enescu-Festivals war gewiss die musikalische Realisierung der Wagnerschen „Ring“-Tetralogie. Sämtliche vier Opern dieses monumentalen Gesamtkunstwerkes des vor 200 Jahren geborenen deutschen Komponisten wurden innerhalb einer Woche im Großen Saal des Palais in Bukarest konzertant aufgeführt. Ein hauptsächlich aus deutschen, österreichischen und rumänischen Solistinnen und Solisten zusammengesetztes Sängerensemble wurde begleitet vom Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin unter der Leitung seines Chefdirigenten Marek Janowski.
Wer der konzertanten Aufführung musikdramatischer Werke skeptisch gegenüberstehen mochte, wurde bereits bei der Aufführung der ersten „Ring“-Oper „Das Rheingold“ – Wagner bezeichnete sie als „Vorspiel zu der Trilogie“ – eines Besseren und Schöneren belehrt. Freilich verstößt die konzertante Darbietung von Wagner-Opern gegen das musikdramatische Konzept ihres Schöpfers. Das Orchester, das der Komponist in unsichtbare Tiefen verbannt wissen wollte, war im Großen Saal des Palais in seiner Monumentalität beherrschend sichtbar. Die Sänger wurden von diesem förmlich an den Rand gedrängt und zur Statik verdammt. Dynamik und Dramatik wurden ganz ins musikalische Geschehen verlegt, schauspielerische Darstellung, choreografische Bewegung, bühnenbildnerische Gestaltung ganz der musikalischen Präsentation geopfert.
Der scheinbare Verlust bei diesem Opfer erwies sich jedoch an allen vier Opernabenden als Gewinn. Die Sängerinnen und Sänger konnten sich ganz auf ihren stimmlichen Part konzentrieren, ohne, den Zumutungen modernen Regietheaters ausgesetzt, gegen Bühnengeräusche ansingen oder, choreografischen Direktiven unterworfen, um Atem für den Gesang ringen zu müssen. Die Sichtbarkeit der Instrumentalistinnen und Instrumentalisten machte dabei das musikalische Geschehen durchsichtiger und zugleich vernehmbarer. Das Hämmern der Nibelungen auf die Schmiedeambosse zu Beginn der dritten Szene von „Das Rheingold“ hört man in keiner Opernaufführung, wie man es bei der konzertanten Darbietung in Bukarest hören konnte.
Schauspielerische Elemente wurden ganz in Stimme und Mimik verlagert, ausschreitende Bewegungen durch minimalistische Gesten repräsentiert. Besonders ragte hierbei der niederländische Tenor Arnold Bezuyen hervor, der in „Das Rheingold“ und in „Siegfried“ den Nibelung Mime mit sängerischem Humor und physiognomischer Komik brillant interpretierte. Ebenso glänzte der Fischer-Dieskau-Schüler Christian Elsner in der Gestalt des Loge, dessen versatile Verschlagenheit und verkappte Verachtung seiner Mitgötter der Sänger grandios verkörperte.
Die rumänische Übersetzung der Operntexte, die in deutlich sichtbaren Nebentiteln synchron präsentiert wurde, verzichtete von Vornherein auf jede poetische Nachdichtung der zum Teil schwer verständlichen Wagnerschen Kunstsprache, sondern konzentrierte sich ganz prosaisch auf das pragmatische Geschehen. Was geboten wurde, war keine kongeniale Übertragung des Librettos, sondern eine Verständnishilfe, die ihren Zweck vollauf erfüllte. Freilich ließe sich dazu sprachlich, stilistisch, kultur- und geistesgeschichtlich vieles anmerken – beispielsweise wurden in der rumänischen Übersetzung die Holde zur Blonden, der Herd zum Herz und Riesen zu Giganten –, doch der Zweck heiligte hier die Mittel.
Die Höhepunkte der Bukarester Gesamtdarbietung der Wagnerschen „Ring“-Tetralogie lassen sich kaum aufzählen, so reich war diese mit solchen gesegnet. In „Das Rheingold“ beeindruckte besonders der Auftritt der Riesen Fafner (Sorin Coliban) und Fasolt (Martin Groissböck), die sich zu den sie motivisch begleitenden Blechbläsern gesellten, ferner der musikalische Streit zwischen Mime (Arnold Bezuyen) und Alberich (Martin Winkler) sowie das Schlusstableau, eingeleitet mit dem Motiv des Regenbogens, auf dem die Götter imaginär zur Burg Walhall hinanschreiten.
In „Die Walküre“ begeisterte die Stimmführerin der Cello-Gruppe des Orchesters, die das Motiv der Geschwisterliebe zwischen Siegmund und Sieglinde wunderbar intonierte, und daran anschließend der Wechselgesang der Wälsungenkinder (Torsten Kerl und Melanie Diener). Die über deren Inzest erzürnte Fricka wurde, wie beim ersten „Ring“-Abend, souverän von der österreichischen Mezzosopranistin Elisabeth Kulman gegeben. Der lettische Bassbariton Egils Silins trug als Wotan durch das gesamte musikalische Geschehen der Oper und steigerte sich von Akt zu Akt: wunderbar der Zwiegesang mit Brünnhilde (Petra Lang), in dem der Göttervater zwischen der Liebe zu seiner Walkürentochter und dem Schmerz, sie verstoßen zu müssen, hin und her gerissen wurde.
„Siegfried“, die dritte Oper der „Ring“-Tetralogie, stand ganz im Zeichen des Titelhelden, dessen Rolle von dem deutschen Tenor Stefan Vinke grandios interpretiert wurde. Sei es im Duo mit seinem ungeliebten und ihm übel wollenden Ziehvater Mime (erneut genial in dieser Rolle Arnold Bezuyen), sei es im Zwiegesang mit seinem Großvater Wotan (wiederum bravourös Egils Silins als Wanderer), sei es im Liebesduett mit Brünnhilde (mitreißend die englische Sopranistin Catherine Foster) – immer glänzte der stimmgewaltige Held, der das Fürchten erst in der Liebe lernt. Daniela Denschlag begeisterte erneut als Erda mit ihrer wunderbaren, klangvollen und nuancenreichen Altstimme.
„Götterdämmerung“, die Schlussoper von „Der Ring des Nibelungen“, brachte noch einmal eine Steigerung in Gestalt des amerikanischen Basses Eric Halfvarson, der als Hagen nicht nur mit seinem stimmlichen Volumen, der Vielfalt seiner sängerischen Ausdrucksmöglichkeiten und seiner wunderbaren Artikulation glänzte, sondern auch durch seine Gestik und Mimik die Konzertbühne artistisch genial in eine Opernbühne zu verwandeln vermochte. Er spornte seine Solopartner, insbesondere Siegfried (Stefan Vinke), Brünnhilde (Petra Lang), Alberich (Martin Winkler) und Gutrune (Alexandra Reinprecht), zu sängerischen Höchstleistungen an. Elisabeth Kulman begeisterte am letzten „Ring“-Tag erneut, diesmal in der Doppelrolle als Walküre und Norne.
Nicht zu vergessen ist auch der wertvolle Beitrag der rumänischen Chorsängerinnen und -sänger, Gesangssolistinnen und -solisten, die die herrlichen Stimmen der Bukarester „Ring“-Aufführung durch die ihrigen gelungen ergänzten, sei es als Rheintöchter oder Walküren, sei es als Fafner, Donner oder Froh, als Waldvogel, Gunther oder als Chor der Mannen und Frauen.
Beim überwältigenden, minutenlang anhaltenden Schlussapplaus im vollbesetzten Großen Saal des Palais wurden nicht nur die Sängerinnen und Sänger wiederholt gewürdigt, sondern vor allem auch das Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin und sein Dirigent Marek Janowski, der dem donnernden Beifall nur dadurch Einhalt gebieten konnte, dass er die Instrumentalisten in den späten und wohlverdienten Feierabend schickte.